"Können nicht neutral sein"

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Die Kirche braucht Frauen zur Überwindung der Autoritätskrise: So der Straßburger Theologe Michel Deneken beim internationalen Theologenkongress, der in den letzten Augusttagen in Graz und Maribor stattfand. Deneken plädierte daher auch für den Zugang von Frauen zum kirchlichen Lehramt. Knapp vor dem Grazer Kongress kamen in Salzburg Europas feministische Theologinnen zusammen, um den Stand ihrer Forschungen und Reflexionen zu diskutieren.

Schweigen ist kein Schutz in einem symbolischen Universum, das von Gott-Vater regiert wird und in dem der einzig adäquate Platz für eine privilegierte, weiße Frau - selbstredend rechtmäßig verheiratet - das Haus ihres Ehemanns ist, für das sie die neue Tapete aussucht. Nein, unsere Worte und unsere Arbeit, die Worte und die Arbeit westlicher, christlicher, feministischer Theologinnen, werden dringend gebraucht." So die US-amerikanische Theologin Lucy Tatman, Assistenzprofessorin für Gender und Culture an der Zentraleuropäischen Universität Budapest, bei der 9. Internationalen Konferenz der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR). 160 Theologinnen aus 27 Ländern, darunter christliche Theologinnen unterschiedlicher Konfessionen, sowie jüdische und muslimische Theologinnen, waren Ende August nach Salzburg gekommen, um über den Stand feministischer Theologien und über deren politische Implikationen zu diskutieren.

Feministische Theologien füllen ganze Bibliotheken

Die beredten und dringend benötigten Worte feministischer Theologinnen füllen inzwischen Bibliotheken. Nach den großen, grundsätzlichen Entwürfen der siebziger und achtziger Jahre sind feministische Theologinnen in den Neunzigern ins Detail - in dem ja bekanntlich der Teufel steckt - gegangen. Feministische Theologinnen forschen in allen Disziplinen, von der Bibelwissenschaft über die Liturgie bis hin zur Moraltheologie und Systematik. Die Fülle ihrer Publikationen und die detaillierten Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit sind kaum mehr zu überblicken.

Im Kern geht es - bei aller Unterschiedlichkeit der Zugänge und Detailliertheit der einzelnen Arbeiten - darum, gegen die Meinung, es gebe so etwas wie eine "(geschlechts)neutrale" Theologie, anzuforschen und anzuschreiben und die Unterdrückungs- wie Befreiungserfahrungen, Bedürfnisse und Utopien, kurz das Leben von Frauen theologisch zur Sprache zu bringen. Es geht - in den Worten von Lucy Tatmans gesprochen - darum, theologisches Wissen über das Heilige, die Schöpfung und die Menschen zu produzieren, theologisches Wissen, das Leben verändert.

Die englische Professorin für Pastoraltheologie Mary Grey nennt einige Beispiele theologischen Wissens, das Feministinnen in den letzten Jahren produziert haben: Das Ausgehen von Erfahrungen als theologische Methode; die Entwicklung einer erzählenden, narrativen Theologie; das Heben vergessener Frauengeschichte als "gefährliche Erinnerungen", die über die aktive Rolle von Frauen in spirituellen wie gesellschaftlichen Führungspositionen genauso wie in Widerstandsbewegungen etwa gegen den Holocaust erzählen; und schließlich die Wertschätzung der Praxis als Schlüsselkategorie, die die Theologie vom Staub der Abstraktion und Irrelevanz befreit hat.

Die größte Errungenschaft ist für Mary Grey, dass niemand mehr von feministischer Theologie im Singular sprechen kann. Anders ausgedrückt: Nicht nur die Rubriken Bibelwissenschaft, Ethik, Christologie, praktische Theologie und so weiter finden sich in der umfangreichen Bibliothek feministischer Theologien. Feministische Theologie hat sich auch nach unterschiedlichen Kontexten ausdifferenziert. Seit den achtziger Jahren weisen Theologinnen aus Ländern der so genannten Dritten Welt, schwarze Theologinnen aus den USA, lesbische Theologinnen und schließlich auch Theologinnen aus Zentral- und Osteuropa darauf hin, dass nicht alle Frauen dieselben Erfahrungen machen. Sie haben ihre eigenen, kontextellen Ansätze feministischer Theologie entwickelt. Und weiße, westliche feministische Theologinnen haben begonnen zu lernen, dass auch ihre feministisch-theologischen Arbeiten in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verankert sind.

Theologisches Wissen zu produzieren, das Leben verändert, verlangt, sorgsam mit Unterschieden umzugehen. Dazu gehört, auf Stimmen zu hören, die oft überhört werden, Differenzen und unterschiedliche Zugänge sichtbar zu machen und nach ausschließenden Normen im eigenen Diskurs zu fragen. Diese aktuellen Auseinandersetzungen feministischer Theologien spiegelten sich in unterschiedlichen Referaten bei der 9. Internationalen Konferenz der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen:

Die in Schottland lehrende argentinische Theologin Marcella Althaus Reid zum Beispiel entlarvte die fehlende Auseinandersetzung mit der Ideologie des Heterosexismus, auf dem theologische Ansätze aufbauen, und übte scharfe Kritik an einem theologischen System, das Menschen aufgrund ihres sexuellen Lebensstils negiert. Miroslava Holubova, Mitbegründerin des Gender Studies Center in Prag, berichtete über die Arbeit mit Erinnerungen von Frauen in den ehemals sozialistischen Ländern Zentral- und Osteuropas. Die muslimische Theologin Sa'diyya Shaikh gab Einblicke in der Arbeit muslimischer Feministinnen. Die deutsche Theologin Eske Wollrad schließlich beschäftigte sich mit Rassismus und Konstruktionen von Weiß-Sein.

Akademische Disziplin und Befreiungsbewegung

Feministische Theologie, die theologisches Wissen produziert, das Leben verändert, ist nicht nur eine akademische Disziplin, sie ist auch eine Befreiungsbewegung. Dieses Selbstverständnis lässt feministische Theologinnen politisch tätig werden. Und das ist, obschon das Wort "Gender" besonders in Verbindung mit "Mainstreaming" heutzutage in aller - oder zumindest vieler - Munde ist, nach wie vor notwendig.

"Der gesellschaftliche Wind bläst Frauen derzeit nicht mehr in den Rücken sondern wieder ins Gesicht", stellt die Österreicherin Irmtraud Fischer, ordentliche Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Katholisch-theologischen Universität Bonn und neue Präsidentin der ESWTR, fest. "Die zentralen Herausforderungen sind deshalb leider noch immer die alten. Feministische Theologie muss ihren Anspruch auf gesellschaftliche Veränderungen in Richtung geschlechtergerechte Gestaltung von Kultur, Recht, Religionen und so weiter wahrnehmen. Feministische Forschung, auch wenn sie als Genderforschung betrieben wird, kann nicht neutral sein, sondern muss die politische Option für Frauen wahrnehmen, sonst verleugnet sie ihr Herkommen und ihre Ziele."

Die angesprochene politische Option für die Frauen vor dem Hintergrund der "leider immer noch alten Herausforderungen" wurde konkret in einer Resolution der ESWTR zu neuen christlichen Bibelübersetzungen und zur jüngsten römisch-katholischen Liturgieinstruktion mit ihren Richtlinien zur Übersetzung liturgischer Bücher sowie in einem offenen Solidaritätsbrief an die ökumenische Frauenordinationsbewegung. Die Theologinnen warnen die Kirchenleitungen davor, Erkenntnisse feministischer Theologie weiterhin zu ignorieren und damit sowohl immer mehr an Glaubwürdigkeit als auch engagierte Frauen zu verlieren.

"Wo Gott fraglos und durchgehend als männlicher Schöpfer und Gesetzgeber, als Herr und Vater angesprochen wird, geraten Frauen notwendigerweise in die Position des anderen, des gottfernen oder gar des widergöttlichen Geschlechts, das in seinem Transzendenzbezug auf männliche Vermittlung angewiesen bleibt," heißt es in der Resolution. Die Resolution wendet sich vor allem gegen die Übersetzung des hebräischen Tetragramms JHWH mit "Herr". Denn JHWH mit Herr zu übersetzen, suggeriert eine Identifizierung des Göttlichen mit dem Männlichen und ist eine Einengung, die dem Namen Gottes nicht gerecht wird und gleichzeitig den Anspruch von Frauen auf volle Repräsentation ihres Geschlechts und ihre Kritik an einer jahrhundertealten Tradition der Absolutsetzung des Männlichen ignoriert. JHWH ist in der hebräischen Bibel ein Eigenname für Gott, der - wie Helen Schüngel-Straumann, emeritierte Professorin für Bibelwissenschaften in Kassel, betont - gerade nicht Herrschaft ausdrückt, sondern Gottes Zuneigung: JHWH, der Gott, der sich dir zuwendet, der für dich da ist.

Resümee

Dieser kurze Blick auf den Stand feministischer Theologien als akademische Disziplin und als Befreiungsbewegung zeigt: Viel wurde geforscht, gearbeitet, getan. Manches wurde erreicht. Vieles gilt es noch zu verändern. Der Weg ist noch weit. Wegzehrung auf diesem Weg der Veränderung in einer Zeit, in der alle Erfolge unmittelbar messbar sein müssen, kann vielleicht die Feststellung sein: In einer Welt und in Kirchen/Religionen wie diesen ist allein schon die Existenz feministischer Theologie anstößig. Mit Marcella Althaus-Reid gesprochen: Es ist unsere Pflicht, zu existieren.

Die Autorin

ist Wissenschaftliche Assistentin bei den Theologischen Kursen sowie Sprecherin des Österreichischen Frauenforums Feministische Theologie.

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