Konflikte, die heute noch nachhängen

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Vor 100 Jahren verurteilte Pius X. den "Modernismus" als Häresie. Die römischen Argumente von damals klingen heute nur allzu bekannt. Von Otto Friedrich

Nicht alle Ereignisse der Kirchengeschichte sind im Gedächtnis der Zeitgenossen gleichermaßen präsent. Der Kampf gegen den "Modernismus" gehört zu den heute wahrscheinlich unterbelichteten Episoden des Katholizismus, auch wenn seine Auswirkungen der älteren Generation von Katholiken keineswegs unbekannt sein dürften: Bis 1967 musste jeder Priester den Antimodernisten-eid (vgl. Kasten, Seite 3) schwören. Und manche kirchliche Entwicklung der letzten Jahre findet Parallelen in den Vorgängen um den Modernismusstreit - man denke etwa an die Denunziationen der österreichischen Kirche der Ära Kardinal Königs in Rom durch eine kleine, aber potente Kritikerschar, was nach dem Rücktritt des Kardinals zur konservativen "Reconquista" führte, oder an die "Erfolge" (ultra)konservativen Lobbyings in Rom, welches bekanntlich jüngst die breite Wiederzulassung der tridentinischen Messe erreichte.

100 Jahre waren es am 3. Juli, dass das Heilige Offizium (die Vorläuferin der Glaubenskongregation) im Dekret Lamentabili eine Liste von "modernistischen" Irrtümern verwarf, und weil das der antimodernistischen Lobby inner- und außerhalb Roms nicht genügte, legte Papst Pius X. zwei Monate später die Enzyklika Pascendi nach, um dem "Sammelbecken aller Häresien" Herr zu werden. Das 100-Jahr-Jubiläum der beiden Dokumente war auch für den Frankfurter Kirchenhistoriker Claus Arnold Anlass, in seiner Kleinen Geschichte des Modernismus den damaligen Ereignisseen auf den Grund zu gehen - nicht zuletzt anhand von Forschungen in neu geöffneten vatikanischen Archiven: eine spannende Darstellung der Vorgänge (vgl. Buchtipp).

Kein einfaches Unterfangen, beginnt das Problem schon damit, zu definieren, was unter "Modernismus" denn eigentlich zu verstehen ist. Arnold bringt es auf den Punkt: Es waren die römischen Verurteilungen, die ein Gebäude des Modernismus entstehen ließen und nicht etwa ein "Modernistisches Manifest", hinter dem sich böse Häretiker wider die katholische Kirche verschworen hätten.

Die Konflikte, um die es ging, hängen der Kirche heute noch nach: Im Gefolge der Aufklärung, der Entstehung der bürgerlichen Demokratien und der Wissenschaften sah sich die Theologie herausgefordert, in einen Dialog mit der Zeit zu treten. Auch katholische Theologen begannen, sich über die Geschichte und die Historizität von Bibel und Überlieferung Gedanken zu machen sowie - als Konsequenz daraus - die persönliche religiöse Erfahrung in die Reflexion einzubeziehen.

Solches wurde von den Antimodernisten als häretisch gebrandmarkt: Die "rechtgläubige" Philosophie war die Neuscholastik, die Irrtumslosigkeit der Bibel und die Historizität etwa der Schöpfungsgeschichte galten als sakrosankt, und dass Jesus selbst die Kirche in ihrer katholischen Gestalt gegründet und genauso gewollte hatte, durfte ebenfalls nicht in Frage gestellt werden.

Gingen nun Theologen mit historisch-kritischen Methoden an die Texte heran, würde das Glaubensgebäude zusammenstürzen, so die Befürchtung der Antimodernisten (und gleichfalls die Diagnose radikaler Modernisten). Dazu kam eine "nationale" Emanzipation auch innerhalb katholischer Ortskirchen, die Rom Sorge bereitete. (Arnold weist im Buch auch darauf hin, dass ein katholischer Nationalismus die üble Kehrseite des Modernismus war.)

Reform als Häresie

Die Auseinandersetzungen schließen an den Antiliberalismus Pius' IX. an, der 1864 in seinem Syllabus u.a. die Trennung von Religion und Staat, die Demokratie etc. als häretisch qualifiziert hatte. 1893 hatte Papst Leo XIII. die Irrtumslosigkeit der Bibel bekräftigt und erteilte auch dem Amerikanismus, der katholischen Emanzipationsbewegung in der Neuen Welt, eine Absage. In Deutschland bildete sich zur selben Zeit eine reformkatholische Strömung, deren prominentester Vertreter Herman Schell (1850-1906) in Würzburg war. Schell forderte größere Freiheit des Denkens, der Forschung und der Wissenschaft, er trat für die deutsche Sprache in theologischen Vorlesungen und Liturgie ein und empfahl zur Überwindung des Hierarchozentrismus die Erziehung der Gläubigen zu mehr Eigenständigkeit. Schells Werke kamen auf den Index und wurden von Rom verboten.

In Frankreich mit seinem Erbe der Aufklärung, aber auch mit den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche, die 1905 in der Trennung von Kirche und Staat mündeten, was von Rom mit Verve bekämpft wurde, war der innerkirchliche Kulturkampf am heftigsten: Der Exeget Alfred Loisy ( 1857-1940) wurde von seinen Gegnern zum Prototypen des "Modernisten" stilisiert, die Dokumente Lamentabili und Pascendi richteten sich gegen Loisy und seine Ansichten. Dabei war dem 1908 Exkommunizierten um eine Verteidigung der katholischen Kirche zu tun, etwa in seinem Hauptwerk L'Évangile et l'Église (1902) - allerdings mit dem Rüstzeug historisch-kritischer Methodologie. Loisy wurde wohl auch von anderen unter Modernismusverdacht Stehenden wie dem französischen Philosophen Maurice Blondel kritisiert, der meinte, Loisy reduziere den Glauben auf das historisch Rekonstruierbare. Dennoch standen die Maßnahmen gegen Loisy kaum in einem Verhältnis zu den ihm vorgeworfenen Glaubensabweichungen. Ähnliches widerfuhr dem anglo-irischen Jesuiten George Tyrrell (1861-1909), der wegen seiner Betonung der individuellen religiösen Erfahrung ins Visier der Antimodernisten geraten war.

Pius X. und R. Merry del Val

Der Modernismusstreit war das wesentlichste Merkmal des Pontifikats von Pius X. (1903-14) und seines Kardinal-Staatssekretärs Merry del Val. Die wichtigsten Verurteilungen des Modernismus wurden unter Pius X. veröffentlicht. Damals baute auch der Kurienprälat Umberto Benigni das Sodalitium Pianum auf, ein weltwei-tes Spitzelnetzwerk, das alle "Modernisten" aufzuspüren trachtete.

In Deutschland und Österreich richteten die Modernisten-Jäger vergleichsweise wenig aus, obwohl dort wesentliche Ausprägungen des Katholizismus den Antimodernisten ein Dorn im Auge waren: Die Zentrumspartei in Deutschland, die Christlich-Soziale Partei in Österreich, allgemein: der sozialreformerische Katholizismus galten als modernistische Auswüchse. Doch der deutsche Episkopat wandte die ärgsten Eskapaden der Antimodernisten ab. In Frankreich hingegen verbat Pius X. die christdemokratische Laienbewegung Le Sillon*).

Bald nach Pius' X. Tod - der I. Weltkrieg hatte gerade begonnen - nahm der Kampf gegen den Modernismus rapide ab. Das Sodalitium Pianum wurde 1922 formell aufgelöst. Unter Pius XI. begann die Versöhnung der Kirche mit dem säkularen Staat, und in den 40er Jahren unter Pius XII. wuchsen erste Pflänzchen historisch-kritischer Exegese auch bei den Katholiken. Den Durchbruch brachten aber erst Johannes XXIII. und das II. Vatikanum. Übrigens: Der Konzilspapst selbst war als junger Kirchenhistoriker unter Modernismus-Verdacht geraten.

*) Sillon heißt "Furche". Friedrich Funder dürfte bei der Gründung der Furche 1945 die französische Bewegung im Hinterkopf gehabt haben.

Buchtipp: Kleine Geschichte des Modernismus

Von Claus Arnold. Verlag Herder, Freiburg 2007. 160 Seiten, kt. € 10,20

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