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Konzil der Professoren?

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Im Frühjahr 1962, also noch viele Monate vor dem Beginn des Konzils, schrieb ein Journalist an Papst Johannes XXIII. folgenden Brief:

„Rom, den 31. März 1962

Seligster Vater

Von Sohnesvertrauen erfüllt, lege ich vor, was mir heute Nacht in den Sinn kam, nachdem ich den ,Osser- vatore Romano Nummer 74 gelesen hatte:

Der Ausgang des Konzils hängt entscheidend von der Frage ab, ob es — das Wort sei gestattet — ein Konzil der Prälaten oder ein Konzil der Professoren oder ein Konzil der Propheten sein wird.

Im höchsten Grad bin ich sicher, daß Ew. Heiligkeit vollkommen verstehen, was ich mit diesen Worten sagen will. Nicht die geringste Unterschätzung der Prälaten oder Professoren als solchen ist mir eigen. Denn ich fühle mich als ihr dankbarer Schuldner. Nichtsdestoweniger sind jene Männer ,erprobt“, die Gott durchschlagend ,empfiehlt“, nämlich die Propheten, das heißt, Menschen, die sich nicht nur des weihnachtlichen oder österlichen, sondern auch des pfingstlichen, des wahren ,Friedens des Herrn“, eben .Seines Friedens“, erfreuen, die nach dem Lieblingsjünger Johannes durch ,die Macht“ mächtig sind, durch die sie wahrhaft ,Söhne Gottes’ oder auch .Licht der Welt“ werden und Empfehlungen erfahren, das heißt, Menschen, die wirksam ,die Welt“, nämlich alle Menschen guten Willens, anziehen, bewegen und entflammen.

Nach besten Kräften ist zu verhüten, daß deren Stimme geringgeschätzt und zurückgesetzt wird. Die dritte ist in vollem Gang. Ist es Offenkundig werden Ew. Heiligkeit nicht angebracht, einmal darüber ungenügend unterrichtet. Denn nur nachzusinnen, welche Bezeichnung so können einige Beschlüsse der es nun eigentlich verdient, noch letzten Zeit (gemeint waren die deutlicher gesagt, ob es in die Zeit Rüge Pater Lombardis und der Er- der Atomgefahr, in die Zeit des bis- laß über das Kirchenlatein, ,Vete- her gewaltigsten Umbruchs, in die rum scientia“) erklärt werden. O wefi, Zeit der Wende verwiegend gebieteweich ein Schmerz für die wachen risch, gelehrt oder prophetisch spre- Geister — für unzählbare Seelen — eben wird.

Die Entscheidung liegt bei den Konzilsvätern

Die Entscheidung hängt von den Konzilsvätern ab, und zwar, wie sie sich auf die drei Gruppen verteilen und zuletzt, aber nicht zumindest, ob die prophetische Gruppe brüderlich zusammenwirkt und männlich das Wort ergreift.

Die Konzilsväter sind entweder Prälaten oder Professoren oder Propheten, je nachdem in ihnen der amtsmäßige, der verstandesmäßige oder der gnadenmäßige Wesensanteil vorwiegt. Das Ideal wäre natürlich, daß sie alle drei Elemente in höchstem Grad besitzen. Wie das Beispiel Cölestins V. oder auch Pius’ V. beweist, verbürgt der gnadenmäßige Wesensanteil für sich allein auch nicht den größten Nutzen für die Kirche.

Die Prälaten

Nicht wenige Bischöfe sind vor allem Prälaten. Es ist in riesengroßen Bistümern unvermeidlich, daß der Oberhirte in diese Richtung gedrängt wird. Nicht weniger bedeutsam ist aber die Tatsache, daß gemäß dem kirchlichen Rechtsbuch die meisten Bischöfe den Doktor des Kirchenrechts erworben haben. Zwar steht im kirchlichen Rechtsbuch, das der heilige Pius X. beschlossen und Benedikt XV. 1918 herausgegeben hat, an allererster Stelle: „Das höchste Gesetz ist das Heil der Seelen“. Doch enthält es so viele Paragraphen, daß es schwerfällt, vor lauter Bäumen den Wald zu sehen. Und der „Wald“ ist heute nicht nur die Unmenge von Paragraphen, sondern auch, ja, noch mehr, die höchst kompliziert gewordene Welt, die so stark entsittlicht und entchristlicht ist, daß ihr mit besseren Mitteln als mit Paragraphen geholfen werden muß. Zwar ist der Geist des kirchlichen Rechtsbuches vorbildlich; es ist eben Geist Pius’ X. Im wirklichen Leben aber entscheidet nicht der Geist des Gesetzbuches, sondern der Geist dessen, der das Gesetz anwendet. Ist es

für Christus, den Herrn — für den Heiligen Geist, die wahre Seele der Braut des Herrn!

Ew. Heiligkeit von Herzen den vollen Frieden des Herrn wünschend,

am Altar und im Gebet unaufhörlich ergeben, (Unterschrift).“

Inzwischen haben zwei Sitzungsperioden des Konzils stattgefunden.

nicht der Geist der Liebe, der Papst Johannes so lebendig beseelte, dann ist dem Rechtsirrtum und der Rechtsbeugung Tür und Tor geöffnet. Bischöfe, die zuerst ihr Recht ins Feld führen, und ist es auch noch göttlich, müssen heute mit vielen seelsorglichen Mißerfolgen rechnen und sind daher vielleicht geneigt, sich durch „standesgemäße“ Lebensweise oder ausgiebige Ehrenansprüche schadlos zu halten. Ob sie sich dessen bewußt sind, wie sehr sie dadurch das Vorbild des Herrn verlassen? Was von allen Christen gilt — und das hat das Konzil kräftig unterstrichen —, daß jeder Getaufte strahlendes Licht, würziges Salz, wirksamer Sauerteig, flammendes Feuer sein soll, das gilt überragend von den Nachfolgern der Apostel. Gerade die betont amtsmäßig eingestellten Konzilsväter sollten das bis in die Zeit des heiligen Ignatius nachwirkende urchristliche Anliegen der „apostolischen Lebensform“ ernstlich ins Auge fassen, wenn ihnen die früh-

christliche Ära zu primitiv erscheint. Drei Milliarden Menschen blicken auf sie. Sechs Milliarden werden es im Jahre 2000 sein. Wer spürt nicht die ungeheure Verantwortung? Unsere Zeit braucht dringend Hirten, die mehr darauf bedacht sind, ihre Herde zu weiden als sie zu hüten, sie zu befehlen oder gar von ihr zu leben.

Die Professoren

Andere Bischöfe sind vorwiegend Professoren, nicht Männer des Rechtes, sondern der Wissenschaft. Ihre Hauptstärke ist das Wissen. Nun aber ist in ürtsefen Tagen das menschliche Wissen unbeschreiblich gewachsen. Es übersteigt-schon di menschliche Kraft, auch nur eine einzige Wissenschaft zu beherrschen. Über das gesamte Wissen, ja dazu noch über die Welt des Glaubens eine echte Tiefen-, Breiten- und Zusammenschau zu besitzen, ist deshalb äußerst schwer. Außerdem ist die Erfahrung nicht weniger wichtig als das Wissen. So unerläßlich wichtig die Wissenschaft auch sein mag, ohne gründliche und vielseitige Erfahrung schwebt sie in der Luft. Ein Gelehrter ist nicht ohne weiteres ein Seelsorger, Erzieher, Prediger und Hirte. Wenn er es nicht jahrelang im kleinen gewesen ist, kann er es kaum im großen sein. Und je mehr er das Wissen, vielleicht sogar nur sein bisheriges Fachwissen wertschätzt und weiterpflegt, desto wahrscheinlicher wird er wirklichkeitsfremd sein. Wenn er schließlich aus Enttäuschung in die Wissenschaft oder ins Schrifttum flieht, wird seine Herde nicht geringen Schaden leiden.

Die Propheten

Die dritte Art Von Konzilsvätern sind die Propheten. Natürlich nicht im Sinn von Zukunftskündern, sondern von flammenden Gottesboten, die an die Propheten des Alten Bun-

des und an Johannes den Täufer erinnern. Sie sind Männer, denen es gegeben ist, nicht nur die abgefallenen Katholiken zu bekehren, die mittelmäßigen zu entflammen und die feurigen pfingstlich zu einen, sondern auch die übrigen Christen und Nichtchristen in die eine Herde Christi heimzuholen. Es sind Männer, die — wie Pater Lombardi sich treffend ausdrückt — „von der Gangart ordnungsgemäßer Verwaltung zum Rhythmus des Kampfes (der Eroberung) übergegangen sind“ („Grundriß einer besseren Welt“,

Feldkirch, 1956). Es sind Männer, die alle Gnaden, die ihnen zugedacht waren, in hohem Grad oder ganz angenommen haben. Es sind Männer, die weder nach Karriere noch nach Wohlwollen oder Unangefoch- tenheit fragen, sondern einzig ’und allein dem Herrn zu dienen suchen. Ks sind Männer dip den Rann der

Es sind Männer, die den Bann der Mittelmäßigkeit durchbrochen haben und nicht mehr auf halben Touren arbeiten können. Es sind Männer, die an sich erfahren haben, daß die Liebe leichter fällt als der rationalistische oder rationalisierte „gute Wille“ und deshalb vorleben, was es bedeutet, „von Gott empfohlen“ zu werden, „die Macht empfangen“ zu haben, „Kinder Gottes“ — mündige Söhne Gottes zu sein. Es sind Männer, die nicht erschrecken vor dem Gedanken, daß „die Kirche die Seele der Menschheit“ (Pius XII.) ist. Es sind Männer, die Gott niemals vorzuwerfen wagen, daß Er zuwenig Gnade gebe, sondern die felsenfest davon überzeugt sind, daß es uns an Gnade nie fehlen kann, wenn wir durch wachsendes Vertrauen immer aufnahmefähigere und willigere Werkzeuge Gottes werden. Naturgaben und Einfluß sind zweitrangig. Der Herr hat unter zwölf Aposteln zehn ungelehrte und keinen hochgestellten berufen. Gewiß, das amtsmäßige und das verstandesmäßige Wesensstück, beide sind bedeutsam, ja sogar unersetzlich. Am wichtigsten aber ist das gnadenmäßige.

In den Tagen des Trienter Konzils gab es beinahe keine Bischöfe der dritten Art, dagegen nicht wenige, die es gar nicht für nötig hielten, ihre Weltlichkeit, ihre Ehrsucht, ihr Machtstreben, ihre Unkenntnis, ihre Abhängigkeit von ihrer Familie oder von weltlichen Herrschern zu verbergen, die jedoch verantworten zu können glaubten, die wahrhaft fähigen und berufenen Männer zu verdrängen oder mit allen Mitteln zu bekämpfen. Wer sich darüber Rechenschaft gegeben hat, wie es in dieser Beziehung um das Zweite Vatikanische Konzil bestellt ist, der kann nur freudigen Herzens Gott dafür danken, daß es nicht nur an ausgezeichneten Prälaten und Professoren, sondern auch an Propheten reich ist.

Eines steht über allen Zweifeln fest: Für außerordentliche Aufgaben gibt Gott außerordentliche Gnaden — für größte Aufgaben gibt Gott größte Gnaden — für pfingstliche Aufgaben gibt Gott pfingstliche Gnaden.

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