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Konzil und Kirchenbau (II)

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Die knappen, aber inhaltsschweren Weisungen des Konzils für den Kirchenbau sind kennzeichnend für die neue Einstellung der Kirche zur Gegenwart. Die Weisungen beziehen sich auf kultische Eignung und diszipliniert sinnvolle Verwendung des Bildes und betonen die Bedeutung künstlerischer Qualität. Damit stellt sich die Frage, welche praktischen Auswirkungen im Kirchenbau und in der kirchlichen Kunst zu erwarten sind. Auch mancher Konzilsbeschluß über die Neuordnung der Liturgie selbst wird sich nun indirekt auswirken. Die Probleme, die der Kirche am nächsten liegen, scheinen folgende zu sein:

1. Zuständigkeit: Schon mit der letzten Sitzung der ersten Tagungsperiode, in der Abstimmung vom 7. Dezember 1962 zum ersten Kapitel des Schemas über die Liturgie, zeichnete sich der Weg zu einer Differenzierung der bisher seit der Trienter Reform streng einheitlich geführten römischen Liturgie ab. Artikel 22 sprach dort der regional zuständigen kirchlichen Autorität (Bischofskonferenz) das Verfügungsrecht über die Anpassung an vorhandene Bedürfnisse. Rom nimmt diesen regionalen Initiativen gegenüber nur das Recht der Bestätigung in Anspruch. Was für die Liturgieform selbst gilt, wird jetzt um so mehr auch für die ihr dienende Raumordnung gelten (vergl. Art. 39, 44, 128). Die regionale kirchliche Behörde ist mehr als bisher für entsprechende Vorschläge, Weisungen, Ihre Anpassung und Interpretation zuständig. Um so mehr kann und sollte sie sich nun auch mit den konkreten Problemen der Architekten und Künstler befassen und auf sie eingehen.

2. Anpassung: In Missionsgebieten zum Beispiel besteht die Möglichkeit, örtlich vorhandene Gebräuche und Ausdrucksformen in die Liturgie aufzunehmen. Eine Architektengruppe in der Schweiz hat schon vor Jahren damit begonnen, in Entwürfen für afrikanische Missionsstationen, die im Rahmen der Hilfe für Entwicklungsländer als Beitrag gedacht sind, die Frage zu untersuchen, wie die Tänze der Neger, die in die Liturgie dort Aufnahme finden, eine entsprechende räumliche Ausbildung der Kirchenanlage erfordern.

3. Neuordnung: Hierzulande stellt sich die Frage, wie die alten Dome und Pfarrkirchen, unseren seelsorglichen Bedürfnissen entsprechend, neu geordnet werden können. Freilich kann eine Neuordnung der alten Kirchen nur so erfolgen, daß sie sich in das historische Raumbild verständig einpaßt. Hier sind schon erste Schritte gelungen. In vielen Fällen aber war man zaghaft und abwartend.

4. Neue Kirchentypen: Neben dem Neubau notwendig gewordener Pfarrkirchen wird für die Randgebiete der Großstadt die Anlage von Seelsorgezentren als eine neue, eigene Aufgabe gesehen. Den Begriff Seelsorgeanlage (beziehungsweise Gottesdienstsiedlung) hat schon Pius Parsch gebraucht. Papst Paul VI. hat als Kardinal von Mailand entscheidende Schritte in dieser Richtung unternommen und wegweisende Programme aufgestellt. In seinen Ausschreibungen an Architekten, denen er übrigens eifrig nachgegangen ist und die er auch im Ausland aufgesucht und für seine Aufgaben gewonnen hat, waren ihm Fußballplatz, Heime und Kindergarten wichtiger als ein mächtiger Turm.

Wieweit die Kirche heute in Randgebieten der Großstädte den Gegebenheiten Rechnung tragen muß, zeigt ein durch äußere Bedingungen aufgezwungenes Bauvorhaben für eine demontierbare Kirchenanlage, die zur Zeit in Wien XXI, in der Siemensstraße durch Architekt O. Uhl ausgeführt wird. Die bescheidene Aufgabe führt nicht zu einer fragwürdigen ,.Not-kirche“, sondern zu einem Bauwerk, in dem sich lebendige geistige Auseinandersetzung mit den Problemen der Zei* bezeuet.

5. Tabernafcelort: Zu erwarten ist nun auch eine neue Auseinandersetzung über die Frage nach dem rechten Ort für den Tabernakel in der Kirche. Man will die kultische Verehrung der verwahrten Eucharistie räumlich so anordnen, daß die eucharistische Handlung (Messe als Opfermahl) als das Primäre, von dieser kultischen Verehrung nicht behindert wird. Ihre Unterordnung, was nicht heißt ihre Preisgabe, haben schon die Richtlinien der liturgischen Kommission der deutschen Bischofskonferenz gefordert. Es wird darum gehen, für den Tabernakel die rechte Herzstelle in der Kirche zu finden, zugeordnet zum „Haupt“, das im Altartisch vertreten ist. Dort sind ihm auch leichter Andachtsplätze zuzuordnen. Es war klar, daß es sich mit den laufenden Bestimmungen um ein Zwischenstadium handelt. Nun werden die Bischofskonferenzen vom Konzil her angewiesen, die Fragen zur Disposition des Tabernakels zu prüfen. Ernste Vorprüfungen sind erforderlich, um unsinnige Experimente zu vermeiden. Aus manchen Diözesen liegen bereits Erfahrungen vor. Der Autor selbst hat im Rahmen des Institutes für Kirchenbau reiches Informationsmaterial hiezu gesammelt. Man sollte es jetzt verwerten.

6. Bereich für Wortgottesdienst: Besondere Beachtung ist vom Konzil dem Wortgottesdienst zugewendet worden. Dieser betrifft den vorbereitenden Teil innerhalb der Messe, den vorausgehenden Anruf Gottes, dem die Antwort im Mahlopfer folgt. Er ist aber auch als eigene zusätzliche Gottesdienstform gedacht, zum Beispiel an Vigilien (Vorabende größerer Feste). Die Prozession mit dem Evangelienbuch in der Konzilsaula hat tiefen Eindruck hinterlassen. Für die Architekten entsteht nun die Frage, ob ein eigener Bereich zu schaffen ist, etwas abgerückt vom Altar, der nicht nur den Aufzug mit dem

Evangelienbuch gestattet, sondern vor allem auch deutlich macht, daß, noch bevor der Altartisch in Gebrauch genommen wird, ein anderes Zentrum, nämlich der Platz der Verkündigung im Mittelpunkt der liturgischen Funktion steht. Es gilt das, was sich in der Gestalt der Messe und auch räumlich im Lauf der Zeit ineinandergeschoben hat, wieder so auseinanderzulegen, daß es sinnenfällig klare und leicht verstehbare Gestalt gewinnt. In dieser Aufwertung des Wortes Gottes im Bereich des Ausdrucks — der Sache nach bestand theologisch ja nie ein Zweifel an der Bedeutung und tragenden Rolle dieses Gotteswortes — ergibt sich von selbst auch eine Annäherung an die getrennten Brüder der evangelischen Kirche. Selbst das Evangelienbuch findet sich nun im neuen Kirchenbau häufiger am Platz der Verkündigung frei sichtbar aufgestellt.

Es sollte sich von selbst verstehen, daß die in neuerer Zeit reichlich vernachlässigte Akustik nun auch ihr Recht verlangt. Wo das Wort nicht verstanden wird, fehlt der schaubaren Entfaltung des Wortgottesdienstes der Sinn. Es kann durchaus sein, daß sich aus der Erfüllung der neuen Forderungen nun eine veränderte Gestalt für den Altarbereich ergibt. Mindestens fallweise sind auch Zelebration zum Volk hin und gemeinsames Zelebrieren aller Priester (Konzelebra-tion) vorzusehen.

7. Kunsterziehung: Wie schon das Dekret von 1957, hat auch der erwähnte Abschnitt des Konzils die Bedeutung der Kunsterziehung in den Seminarien in Erinnerung gerufen. Man darf wohl hoffen, daß sich auch in dieser Hinsicht eine Wende zum Besseren abzeichnet, wenn diesen Weisungen entsprochen wird.

Manche fürchten, der Wille zur Überwindung der Mittelmäßigkeit im Kirchenbau werde doch nur ein leeres Wort bleiben. Man hat offenbar schlechte Erfahrungen gemacht. Somit bleibt eine Kernfrage die, was geschehen kann, damit bessere Kirchenräume entstehen und bessere künstlerische Leistungen an Fenstern, Bildern und Gerät gelingt.

Einige Voraussetzungen dazu wären:

1. Weniger Selbstvertrauen der kirchlichen Bauherren in ihre Fähigkeit, künstlerische Werte der Gegenwart richtig beurteilen zu können. — Eine Mahnung, die allerdings mindestens ebenso an die oft unsachlichen und mit den Problemen der Aufgabe durchaus nicht immer vertrauten Kritiker zu richten wäre. — Es ist aber typisch, daß der schon durch die bisherige Gesetzgebung der Kirche geforderte Kunstrat in seiner Zusammensetzung zwar oft brave und verdiente christliche Männer zeigt, aber nicht die auch in ihrem Fach, also in Kunstfragen „hervorragenden“ und „fachkundigen“ Talente, die dafür verlangt werden. Dazu kommt, daß dieser Kunstbeirat in vielen Diözesen nur ganz selten bemüht wird — und dann oft nicht beratend am Beginn einer Unternehmung, sondern erst, wenn es schon zu spät ist. Er nimmt sich oft wie ein Klub verdienter Veteranen aus. Die Zugehörigkeit wird fast wie ein Titel, nicht aber als Aufgabe gewertet. Die Mitzuständigkeit des Laien und der Fachleute wurde damit mehr theoretisch als praktisch anerkannt. Meist wußten die Bauherren selbst, was schön ist und was nicht. An den besten Entwürfen erfahrener Gestalter korrigierte man so lange herum, bis alles wegfiel, worauf es ankam, wenn von architektonischer Qualität oder von bildnerischem Wert gesprochen wird. Waren das wirklich nur Ausnahmefälle? Gerade die Besten hat das abgestoßen. Das Ergebnis ist bekannt. Die dienstbereiten Erfolgsritter ohne künstlerisches Gewissen erhalten immer noch einen Gutteil der kirchlichen Aufträge. Das ist eine Tatsache, die auch der Lagebericht der Arbeitstagung zum deutschen Katholikentag 1962 schonungslos eingestanden hat. Ist es in Österreich anders?

2. Möglichst viele und jedenfalls alle wichtigen Aufträge sollten öffentlich ausgeschrieben werden. Wenn aus Kostengründen nur beschränkte Wettbewerbe durchgeführt werden können, soll an Stelle der bisherigen Geheimnistuerei weiteren Konkurrenten wenigstens die freiwillige Beteiligung mit gleicher Erfolgschance ermöglicht werden. Nur der dann auch vor der Öffentlichkeit jederzeit vertretbare Vergleich zwischen den eingebrachten Projekten gestattet die Beurteilung, ob wirklich Verantwortung für Qualität die Vergabe des Auftrages bestimmt hat. Dieses Prinzip sollte auch für alle wichtigen künstlerischen Aufträge zur Ausgestaltung der Kirchenräume gelten.

3. Es müssen Wege ausfindig gemacht werden, wie die unorganische Trennung von Rohbau und künstlerischer Ausstattung vermieden werden kann zugunsten eines Zusammenwirkens aller Künste, schon vom Stadium der Projektierung an. Daß versucht wird, dem Architekten aus irgendwelchen Gründen Künstler aufzunötigen, ist untragbar. Das ist ein bedenklicher Eingriff in den Verantwortungsbereich des Architekten für das Gelingen des gesamten Bauwerks.

4. Da es im Kirchenbau und bei Kunst im Raum der Kirche nicht nur um Kunstwerke geht, nicht um Museumstücke, sondern um Raumordnung und Bildzusammenhänge, in denen sich christliche Glaubensüberzeugung ausdrückt, soll das Gespräch zwischen Seelsorgern und Künstlern viel nachhaltiger gesucht werden, als es bisher der Fall war. Selten trifft man auf Architekten oder Maler, die für ihr Vorhaben so eifrig auf Belehrung und geistige Einführung bemüht sind, wie das bei Le Corbusier zutraf, als er die Aufträge der französischen Dominikaner annahm.

5. Zu den faulen Ausreden für mißratene Leistungen gehört der Hinweis, man habe der begrenzten Verständnisbereitschaft des Volkes entgegenkommen wollen. Die Sorge um das Verständnis der Gläubigen ist berechtigt. Nicht berechtigt ist das Vertreten minderwertiger Leistungen unter Berufung auf das Volk. Dieses „Volk“ als homogene Gemeinschaft gibt es gar nicht. Wenn man von denen spricht, denen künstlerische Leistung aus den Möglichkeiten der Zeit heraus ein Ärgernis ist, dann muß man um der Wahrheit willen auch von denen sprechen, denen Kitsch und Mangel an echter Leistung ein Ärgernis ist. Man wird sich noch viel mehr als bisher um die Verständnisbereitschaft der Gläubigen bemühen müssen. Hier liegt auch eine Pflicht für die Kirchengemeinde, auf die Kardinal Lercaro hingewiesen hat: „Das Kirchenvolk muß willens sein, mit Einfühlung und Zustimmung das Werk unbefangen anzunehmen, das zu seinem und zu Gottes Dienst geschaffen wurde.“

6. Zuletzt müssen wir uns der Einsicht stellen, daß die Kirche die Kunst mit der zeitgenössischen Welt gemeinsam hat. In der Kirche gewinnt die Kunst eine konkrete inhaltliche Prägung aus dem Offenbarungsgut und einen konkreten, eigenen Sinn aus der Verbindung mit dem Kult, aus der Zuordnung zum Heiligen. Abgesehen davon hat aber die Kirche keine eigene Kunst. Sie hat entweder Kunst, lebendige, menschliche, aus der Gegenwart gezeugte Kunst, wie es sie auch außerhalb der Kirche gibt, oder sie hat keine Kunst. Ihre Leistung ist es, diese Kunst mit Christus und dem Kult in Verbindung zu bringen und gläubig zu verstehen.

Es dürfte ein gutes Zeugnis sein, das sich die Kirche ausstellt, wenn sie — oft sehr im Gegensatz zu Praktiken öffentlicher Institutionen — eingedenk bisheriger Unzulänglichkeiten, im Zuge der Konzilsberatungen aufgebauschte Erfolgsberichte vermeidet und statt dessen ehrliche Wege zum Besseren sucht: auch in der Zusammenarbeit mit dem Künstler. (Schluß)

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