"Kreativität im Keim erstickt"

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Rima Kahlaf Hunaidi, UN-Beauftragte für den arabischen Raum und frühere jordanische Vize-Premier, zu Fortschrittshindernissen in arabischen Ländern und der Strategie des Arab Human Development Reports.

Die Furche: Was sind die Faktoren, die den Fortschritt in arabischen Ländern behindern?

Rima Kahlaf Hunaidi: Es gibt eine Reihe von Hindernissen. Das größte ist der Mangel an Freiheit, der kreative Produktion im Keim erstickt, und der Mangel an Unterstützung von Institutionen, die für wissenschaftliche Forschung unerlässlich sind.

Die Furche: Was ist mit der arabisch-islamischen Kultur? Spricht nicht diese Kultur gegen die, sagen wir, "westliche" Art von Forschung, Offenheit und Vernunft?

Hunaidi: Ganz im Gegenteil. Die arabisch-islamische Zivilisation hat einige der größten intellektuellen Strömungen aller Zeiten beherbergt. Sie hat bewiesen, dass Vernunft und Glaube perfekt miteinander harmonieren können. Die arabisch-islamische Kultur war auf ihrem Höhepunkt eine Quelle der Weisheit - und sie hat das Potenzial, es wieder zu werden.

Die Furche: Aber was ist mit islamischen Geistlichen und Fundamentalisten, die jeden Einfluss ablehnen, die arabische Welt abschotten wollen?

Hunaidi: Zweifellos hat die politische Entwicklung in der Region und das Fehlen friedlicher und effektiver politischer Kanäle zum Umgang mit Ungerechtigkeiten in der arabischen Welt einige Geistliche dazu gebracht, politischen Zielen gegenüber den kulturellen oder gesellschaftlichen Zielen des Islam den Vorzug zu geben. Zudem haben repressive Regimes und konservative religiöse Gelehrte gemeinsame Sache gemacht, was zu Interpretationen des Islam geführt hat, die freier Forschung und dem Streben nach rationalem Wissen feindlich gegenüberstehen. Der Arab Human Development Report der Vereinten Nationen stellt klar, dass solche Gruppen nicht repräsentativ für die arabische Kultur und deren moralische, zivilisierte und humane Vision sind, welche die Grundlage des Islam ist.

Die Furche: Woran liegt es aber dann doch, dass 270 Millionen Araber sich vergeblich am Aufbau einer Wissensgesellschaft mühen?

Hunaidi: Die arabischen Staaten besitzen beträchtliches Humankapital mit dem Potenzial, eine Wissensrenaissance zu unterstützen. Doch was wissenschaftliche oder künstlerische Produktion anbelangt, wird es schwierig, dieses Potenzial ohne angemessene Hilfsysteme freizusetzen.

Die Furche: Fehlt es also an den staatlichen Rahmenbedingungen?

Hunaidi: Es liegt nicht an der Zahl der Institute: Es gibt rund 126 spezialisierte Forschungszentren, die an arabische Universitäten angeschlossen sind, und 278 staatlich finanzierte Zentren. Doch den Forschungszentren fehlt es oft an einer klaren Zielsetzung, einer gezielten Konzentration auf Ergebnissen, oder an einem Sinn für Dringlichkeit - was dazu führt, dass Forschungsprojekte nicht in Investitionsprojekte verwandelt werden können.

Die Furche: Welchen Einfluss haben arabische Intellektuelle?

Hunaidi: In den meisten Fällen ist die Beziehung zwischen arabischen Regierungen und Intellektuellen problematisch. Letztere tendieren dazu, entweder mit der Regierung verbündet zu sein oder in Opposition zur vorherrschenden politischen Ideologie zu stehen. Viele politisch neutrale Akademiker sind emigriert. Regierungen stellen oft nur geringe Mittel für staatliche Forschungsarbeit zur Verfügung - was zur Korruption der Forschung und schließlich zur Vernichtung des Wissens führt. Es bedarf eines unabhängigen Wissensmilieus, dass Wissen ohne staatliche Gängelei schafft.

Die Furche: Wie sieht die strategische Vision des Arab Human Development Reports für eine arabische Wissensgesellschaft aus?

Hunaidi: Dem Wissen in den arabischen Staaten wird von politischen Mächten, gesellschaftlichen Kräften und repressiven Splittergruppen hart zugesetzt. Seine Befreiung hängt von der Demokratisierung der Gesellschaft und der Einbürgerung von Wissen, Technologie und globalem Lernen ab. Die Betonung muss in der arabischen Welt von innen heraus auf Entwicklung gelegt werden. Was wir brauchen, ist ein Revival der arabischen Wissenstraditionen.

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