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Krise des Konzils?

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Das Vatikanische Konzil steht zwei Jahre nach der Eröffnung vor seiner schwersten Krise. Mit diesen ernsten Worten leitet CIC-Roma, die römische Redaktion der katholischen Nachrichtenagenturen, einen Bericht über die dramatischen Vorgänge beim Konzil zu Beginn dieser Woche ein. Von Krisen hat man schon früher gelegentlich gesprochen, und wenn man das Wort Krise nicht zu tragisch nimmt — Kardinal König hatte die katholischen Journalisten Wiens vor seiner Abreise gebeten, in der Konzilsberichterstattung vorsichtig mit allzu starken und sensationellen Ausdrücken zu sein —, dann sind solche oft mehr vermeinlichten als tatsächlichen Krisen kein Unglück und keine Sensation. Sie beweisen, daß das Konzil eine sehr lebendige Institution ist, in der oft hart gerungen wird, wo Meinung gegen Meinung steht. Das ist gut so, denn um die Wahrheit muß hart gerungen werden.

Wenn diese Krise ernster zu sein scheint als manche vorhergehende, so nicht deswegen, weil hier die an und für sich guten und notwendigen Auseinandersetzungen besonders hart waren, sondern weil es sich einmal um Fragen handelt, mit denen gerade dieses Konzil steht und fällt, und zum anderenmal, weil sich diese Auseinandersetzungen zum Teil in Formen abspielten, die bisher nicht üblich waren. Die Krise kam nicht von ungefähr. Schon in den letzten Wochen zeigte es sich, daß mit der Diskussion über die Kollegialität der Bischöfe, über die Religions- und Gewissensfreiheit und auch über das sogenannte „Judenschema“ Grundfragen des Konzils und natürlich auch Grundfragen der Kirche selbst berührt wurden. Es zeigt sich auch, daß gegenüber einer Mehrheit von Konzilsvätern, die sich immer stärker abzuzeichnen begann, die Minderheit nicht tatenlos einer Entwicklung zusehen wollte, die sie von ihrem Standpunkt aus als gefährlich für die Kirche betrachtete. Diese Minderheit wendet dabei Mittel an, die scharfe Proteste auslösten.

Soll nun wirklich, wie manche fürchten, das Konzil von einer Minderheit, die allerdings in der Kurie stark verankert ist, abgewürgt werden, soll die Erklärung über die Juden aus Rücksicht auf die arabischen Proteste nur als ein kurzes Anhängsel erscheinen, soll das Kapitel über die Religionsfreiheit, das in der katholischen und auch in der nichtkatholischen Weltöffentlichkeit ein so positives Echo gefunden hat, gegen den ausdrücklichen Willen der Konzilsmehrheit nochmals überarbeitet, soll aus dem Abschnitt über die Kollegialität der Bischöfe das entscheidende Wort eliminiert werden? Und soll das alles unter Berufung auf den Willen des Papstes geschehen? Den Papst hier vorzuspannen scheint allerdings mißlungen zu sein.

Die in der Anima in Rom versammelten 15 Kardinale, darunter der Erzbischof von Wien, Kardinal König, sollen in ehrlicher Sorge um den Fortgang, ja überhaupt um den Erfolg des Konzils an den Papst appelliert haben, die Freiheit der Konzilsentscheidung zu wahren. Sie sollen aber auch auf die unbedingte Notwendigkeit einer vierten Konzilssession hingewiesen haben.

Wann soll nun diese vierte Session des Konzils einberufen werden? Im kommenden Frühjahr oder später? Seit zwei Jahren sitzen die Konzilsväter, darunter alle residierenden Bischöfe, mit mehr oder weniger langen Unterbrechungen in Rom. Es ist menschlich nur zu begreiflich, daß sie unruhig werden, daß die Aufmerksamkeit nachläßt, daß sie sich nach Hause sehnen, wo nicht minder drängende Arbeit auf sie wartet, denn sie sind ja auch noch in besonderem Maße für ihre Heimatdiözesen verantwortlich. In dieser Atmosphäre von Ungeduld, Nervosität, mangelnder Aufmerksamkeit, kann es dann zu Kurzschlußreaktionen kommen, zum Abschneiden der Diskussionen, zur vorschnellen Verabschiedung, aber auch zu massiven Interventionen und zu manchem Überrumpelungsmanöver.

Die englischen Bischöfe haben bei dieser Konzilssession den Vorschlag gemacht, vor der letzten und abschließenden Konzilssession eine Pause von zwei bis drei Jahren einzuschieben. Dieser Vorschlag gewinnt gerade durch die Vorfälle der letzten Tage besondere Aktualität. Soll das, was durch das Konzil in Bewegung geraten ist, diese Gärung in der Kirche, soll das nicht ausreifen, ausgären, bevor man es in feste Formen, in Begriffe, Definitionen und Deklarationen gießt? Nicht, daß das Konzil unterbrochen werden soll, die Kommissionen sollten Weiterarbeiten. Aber die Bischöfe und Konzilsväter sollten fern der Atmosphäre von Rom in ihrer Heimat Ge legenheit haben, all das, was auf dem Konzil besprochen, vorgeschlagen, formuliert, aber noch nicht endgültig verabschiedet wurde, in Ruhe zu überdenken, auch mit ihren Mitarbeitern in den Diözesen zu erörtern, auch manche möglichen Auswirkungen vorgeschlagener Änderungen in ihre Überlegungen einzukalkulieren, ohne von Terminen und einer Schlußpsychose gehetzt zu sein. Sollen jetzt Grundfragen der Kirche, der Kirche kommender Jahrzehnte und Jahrhunderte, im Eiltempo verabschiedet oder auch umgebogen, ausgehöhlt, verbessert werden, soll man sich in zehn, fünfzig oder hundert Jahren mit Interpretationen solcher Konzilsbeschlüsse herumplagen müssen, nur weil man jetzt das Konzil schnell hinter sich bringen will?

Die Kirche hat sich in vielen Dingen sehr lange Zeit gelassen. In manchen viel zu lange. Sollen jetzt grundlegendste Fragen der Kirche in wenigen Wochen endgültig entschieden werden? Eine vierte Session des Konzils scheint notwendig zu sein, aber nicht in wenigen Monaten. Soll die augenblickliche Lage in Rom nicht zu einer richtigen Krise werden, dann scheint der Vorschlag der englischen Bischöfe, eine Pause von zwei bis drei Jahren einzuschieben, einer Überlegung wert.

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