Kritik der reinen Schlemmerei

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Feinschmeckerei: Wonne des Genusses oder Laster leerer Seelen. Eine Philosophie der kulinarischen Genüsse.

Der Mensch ist, was er ißt". Dieser Satz des deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach klang für seine akademischen Zunftgenossen schockierend. Auch die Bemerkung "Essen und Trinken hält Ich und Du zusammen" stieß auf wenig Gegenliebe der professionellen Denker. Sie hatten Besseres zu tun: Untersuchungen über den reinen Geist, Spekulationen über das sich selbst setzende Ich oder Reflexionen über das Ding an sich. So kam es nicht nur zur Vernachlässigung des Körpers, seiner Triebkräfte und Begierden; auch Essen und Trinken fielen unter das Verdikt des Nebensächlichen, ja Verachtenswerten.

Philosophie und kulinarische Genüsse haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. "Der Bauch des Philosophen" - so Michel Onfray in seiner gleichnamigen Studie - geriet meist zum Objekt strenger Disziplinierung. "Man isst, um zu leben, und nicht, um zu genießen", lautete der Wahlspruch zahlreicher Philosophen. Dennoch gibt es auch in der philosophischen Tradition eine Gegenbewegung, die sich der Bedeutung der Ernährung bewusst ist. Neben Feuerbach betonte vor allem Friedrich Nietzsche, dass Fragen der Ernährung wichtiger seien als die metaphysischen Grillen der Philosophen. Nietzsche ersetzte die Metaphysik - die Lehre von den letzten Dingen - durch die Lehre von den nächsten Dingen. Darunter verstand er Themen wie Vegetarismus und Beefsteakgenuss; er pries die Vorteile des Wassertrinkens, das er dem "viehischen Nachgussbedürfnis" des Biertrinkers entgegensetzte, und machte sich Gedanken über die aufputschende Wirkung von Kaffee und Tee. Wesentlich war für Nietzsche der experimentelle Umgang mit der Nahrung: Jedes Individuum sollte herausfinden, welche Diätetik ihm am besten entspräche.

Gestaltung der Wirklichkeit

Für den in Chemnitz lehrenden Philosophen Ferdinand Fellmann stellt das Essen eine symbolische Form dar. Er bezieht sich dabei auf den neukantianischen Philosophen Ernst Cassirer (1874-1945), der den Menschen als ein "animal symbolicum" definierte, das die Wirklichkeit durch Verwendung symbolischer Formen wie Sprache, Kultur oder Technik organisiert. Fellmann ergänzt nun diese symbolischen Formen durch die Ernährung; auch Essen und Trinken konstituieren die menschliche Realität. Essen ist eine Form, in der sich der Mensch selbst begegnet; in der Art und Weise der Nahrungsaufnahme zeigt sich ein spezifisches Formelement, das Fellmann zur Kritik des materialistischen Ansatzes von Feuerbach veranlasst: "Der Mensch ist nicht, was er ißt, sondern wie er ißt".

Askese und Völlerei

Die Frage "Wie zu essen sei" beherrschte die Diskussionen der Philosophen, die sich dieser Thematik widmeten. Die unterschiedlichen Positionen reichten von einer eher asketischen Haltung über die Huldigung der Geschmacksinszenierung bis zur Wertschätzung einer ausgewogenen, qualitätsvollen, bürgerlichen Küche. So betonte Epikur bereits im 3. vorchristlichen Jahrhundert die Bedeutung einer "Lust ohne Katzenjammer", die auch Essen und Trinken leiten sollte. Er war vertrat die einfache Küche gegen die hemmungslose Völlerei: "Einfache Suppen bereiten den gleichen Genuss wie ein üppiges Mahl. Brot und Wasser bereiten den höchsten Genuss für jemand, der sie zu sich nimmt, wenn er Hunger und Durst hat." Ähnlich argumentierte der französische Aufklärer Jean-Jacques Rousseau, leidenschaftlicher Milchtrinker und Vegetarier: "Hat man jemals jemanden gesehen, der sich vor Wasser und Brot ekelt, das ist die Linie der Natur und damit auch unsere Regel."

Die großen Gegner Epikurs und Rousseaus stellten jene Vertreter des hemmungslosen Genusses dar, wie sie in den antiken Festgelagen geschildert wurden. Exemplarisch dafür war das Gastmahl des Trimalchio, das Petronius in seinem Roman "Satyricon" beschrieb. Hier verzehrte man schone ähnlich inszenierte Gerichte wie heute in Feinschmeckerlokalen: Siebenschläfer mit einem Überguss von Honig und Mohn, Schweine, die mit Hühnern gefüllt waren, oder syrische Pflaumen mit Granatäpfelkernen. Solche kulinarischen Exzesse veranlassten Rousseau zur Bemerkung, die Feinschmeckerei sei das Laster leerer Herzen.

Um eine Vermittlung der beiden Positionen bemühte sich der Kunsthistoriker, Gastrosoph und Schriftsteller Carl-Friedrich von Rumohr (1785-1843). Er knüpfte dabei an die "Mesotes"-Lehre von Aristoteles an: "Mesotes" meint einen wohlkalkulierten Ausgleich zwischen zwei Extremen; das Mahl sollte den Vorstellungen einer "gutbürgerlichen" Küche entsprechen; "Schlemmerei" und "Schleckerei" galten als Inbegriff einer dekadenten Lebenshaltung, wie sie etwa Jean-Anthelme Brillat-Savarin im Frankreich des 18. Jahrhunderts verkörperte. Brillat-Savarin, Richter, Politiker und Schriftsteller - einer der Gründungsväter der Gastrosophie - schwärmte von den Wonnen der verfeinerten Küche. In seinem Buch "Physiologie des Geschmacks", in dem er auch äußerst raffinierte Rezepte präsentierte, bezeichnete er den Geschmackssinn als den am feinsten entwickelten Sinn, der dem Menschen höchste Genüsse vermittle. Einen Satz von BrillatSavarin hätten wahrscheinlich alle Philosophen und Gelehrten unterschrieben, die über Essen und Trinken nachdachten: dass die Entdeckung eines neuen Gerichts für die Menschheit von größerem Nutzen sei als die Entdeckung eines neuen Gestirns.

Der Autor ist freier Journalist und ORF-Mitarbeiter.

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