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Kritischer Glaube

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Zur Autorifäfskrise in der katholischen Kirche nehmen heute sehr viele kirchliche Amtsträger meist von einem aktuellen Anlafy ausgehend Stellung. In Nummer 1/1968 der Schweizer Zeitschrift „Orientierung" schreibt Mario von Galli, der bekannte Konzilsberichterstatter, einen Beitrag „Zur Krise der Autorität in der Kirche", den wir nebenstehend auszugsweise wiedergeben.

Worauf geht die Krise zurück, welches sind ihre Wurzeln? Die Ansichten gehen hier auseinander. Die einen nennen den Glaubensschwund unserer Tage, die andern — fast entgegengesetzt — die tiefere Erfassung des Glaubens im mündig gewordenen Laien. Manche beschuldigen die Träger der Autorität, sie hätten ihre Autorität überspitzt, während andere der Meinung sind, sie seien sonderbar kraftlos und setzten ihre Autorität nicht entsprechend ein.

Wenn heute vom Ausbruch einer Krise geredet wird, handelt es sich um jene Entscheidungen und Anweisungen kirchlicher Autoritäten, die keine Unfehlbarkeit beanspruchen. Sie können doppelter Art sein: entweder handelt es sich um ordnende und leitende Gesetze der Kirche oder um Lehrentscheidungen, die das Evangelium, das Gesetz Christi oder auch das Naturgesetz auslegen. Sie beanspruchen keine Unfehlbarkeit, und doch verlangen sie die innere Zustimmung der Gläubigen und ihren Gehorsam. Mit welchem Recht?

Prof. Schüller (Frankfurt), der sich in dieser Frage spezialisiert hat und dessen Ausführungen wir in diesem Beitrag im wesentlichen folgen, antwortet: „Die Theologie sagt, auch in seiner (bloß) authentischen Verkündigung spreche das Lehramt aus echter Autorität, sei dabei allerdings nicht unfehlbar. Das will sagen: Das Lehramt spricht unter dem besonderen Beistand des Heiligen Geistes, der ihm von Christus zugesichert ist, folglich aus einer überlegenen Einsicht in das Evangelium und Gesetz Christi, die es in besonderer Weise vor Irrtümern schützt.“ Also in der „überlegenen Einsicht“, die aus einem besonderen Beistand des Heiligen Geistes kommt, gründet das Recht der kirchlichen Autorität, Vertrauen und Glauben verpflichtend zu verlangen.

Aber damit ist das Problem nicht ausgeräumt, denn es bleibt die Frage: Wie kann ich mich einer Autorität anvertrauen, noch dazu in so wichtigen Fragen, die mein ewiges Heil betreffen und die zutiefst mein Leben gestalten, wenn sie „möglicherweise“ in die Irre führt? Und wie kann diese Autorität mein Gewissen verpflichten, wenn das, was sie von mir fordert, möglicherweise“ böse ist? Schüller formuliert spitz: „Ist fehlbare Autorität noch wirkliche Autorität?“

Schüller hilft sich mit einem Vergleich: Er meint, ich vertraue mich auch einem erwiesermaßen tüchtigen Arzt an, obwohl seine Diagnose und Therapie möglicherweise auch einmal falsch sein kann, denn selbst der tüchtigste Arzt kann einmal irren.

Freilich, auf die Kirche übertragen, bewirkt diese Deutung bei vielen Gläubigen — und erstaunlicherweise sogar bei Theologen — einen Schock. Dieser Schock bildet den eigentlichen Gegenstand der heutigen Autoritätskrise. Schüller spricht geradezu von einer „geistlichen Pubertät“, in die viele geraten sind. Wie Kinder zunächst ihre Eltern in allem, was sie sagen für unfehlbar halten dann aber allmählich gewahr werden, daß dem keineswegs so ist, und dadurch in eine Krise geraten können, so auch hier: Man wird der Autorität der Kirche gegenüber mißtrauisch, sucht leidenschaftlich nach „weiteren“ Fehlentscheiden, verliert vielleicht sogar alles Vertrauen, kurz, die Autorität wird erschüttert oder ganz in Frage gestellt.

Dies gibt Anlaß zu einer Selbstbesinnung. Alles bisher Gesagte ist nämlich, Schüller betont es mit Nachdruck, durchaus nicht neu. Die kirchliche Autorität und die Theologen haben es seit langem gelehrt.

Waren nicht die Theologen und die kirchliche Autorität in den letzten Zeiten allzu sehr auf eine Stärkung der Autorität aus, so daß sie deren Gewicht überbetonten?

Man tat doch so, als käme ein Fehlurteil praktisch eben doch kaum je vor und eine eingehendere Darlegung, wie sich der Gläubige einer solchen Entscheidung gegenüber zu verhalten habe, erübrige sich deshalb. Die Kirche hat gesprochen, fertig Schluß, lautete der praktische Ratschlag. Viele Katholiken haben sich gutgläubig in diese Haltung leingeübt. In Wahrheit wäre aber zu sagen, daß der .Katholik in solchem Fall die „strenge Verpflichtung hat, diesen Irrtum abzulehnen“, daß er überdies gehalten ist, soweit seine Stellung ihm dies erlaubt, die Autorität über ihren Irrtum aufzuklären.

Es wäre also von allem Anfang an der Gläubige dahin zu belehren, daß authentische Lehramtsverkündigungen, wie auch Ordnungs- und Leistungsanweisungen nur „mit Vorbehalt“ angenommen werden dürfen. Im vorhinein sind sie nämlich zwar „wahrscheinlich“ richtig, aber ein Irrtum ist immer „möglich“. Der Vorbehalt besteht darin, daß, falls sich durchschlagend erweisen ließe, daß der Ausnahmefall eines Irrtums gegeben ist, die Entscheidung abgelehnt, ja bekämpft werden muß.

Daraus ergibt sidi, daß der Gläubige in seiner Zustimmung zur authentischen Lehrentscheidung der kirchlichen Autorität sowie zu ihren Ordnungserlässen immer ein „Risiko“ eingeht. Er muß es bewußt auf sich nehmen. Er kann und muß zunächst geneigt sein, die Entscheidung der kirchlichen Autorität als richtig aufzunehmen — trotzdem bleibt immer die Möglichkeit des Irrtums und des Irregeleitetwerdens, und falls sich schlagend erweisen sollte, daß sie eingetreten ist, muß der Gläubige aus derselben Grundhaltung heraus die innere Zustimmung und den Gehorsam verweigern, ja die Entscheidung sogar bekämpfen.

Aus „derselben Grundhaltung“, das will sagen: die kirchliche Autorität ist niemals ein Selbstzweck, sie ist Mittel zur Erkenntnis der Offenbarung Gottes und Seines Willens. Ein Mittel, das Gott dem Gläubigen gütig gegeben. Aber nichts als ein Mittel. Sie ist also „subsidiär“, das heißt sie springt dort ein, wo der einzelne normalerweise versagen und auf . sich allein gestellt nicht ausreichen würde. Ihr Zweck ist aber nicht, den Gläubigen das Denken abzunehmen — dem Faulen soll sie keine Eselsbrücke sein. Aber leider haben wir sie vielfach dazu gemacht, natürlich in der besten Absicht. Wir wollten die Einzigartigkeit der Er- barmung Gottes herausstellen, die Geborgenheit in Seiner Kirche aufzeigen. Dabei aber haben wir es so weit gebracht, daß wir Mündige entmündigten und Gott zu einem Gefängniswärter machten.

Mangelndes Vertrauen in den Heiligeň Geist

Aus dieser Verkennung der wahren Rolle authentischer Autorität hat sich ergeben, daß ihre Träger es sich angewöhnt haben, niemals einen Irrtum offen einzugestehen. Man wird zwar gerecht sein und die verschiedene Art der Völker, sich auszudrücken, in Rechnung stellen müssen. Wie gerne beschimpfen wir Tote und klopfen mit theatralischer Geste an ihre — der Toten — Brust.

Wenn man nur begreifen wollte: es ist ein Wert und nicht eine schmähliche Blöße, daß die Kirche zumeist nur fehlbare Urteile fällt und fällen kann. Diesen Wert aus falscher Scham zu verhüllen, kann sehr gefährliche Prüderie sein. Einmal erfahren die Gläubigen es doch.

Und dann wird mangelndes Vertrauen von Seiten der Autorität mit gleicher Münze zurückgezahlt.

Geschichte der Fehlentscheidungen

Damit sind nur einige wichtige Aspekte der heutigen Autoritätskrise genannt; das Problem in seiner ganzen Vielfalt und auch Tiefe auszuleuchten, würde weit mehr als einen Kommentar erfordern. Doch ein Punkt muß ohne Zweifel noch erwähnt werden, damit es nicht scheine, als seien nur bei den Trägern der Autorität durch die neue Akzentsetzung Wünsche zu veränderter Haltung anzumelden. Auch die Untergebenen müßten sich sehr weitgehend umstellen. Schüller schreibt, das neue Klima der Freiheit, das der Besinnung auf die rechte Bedeutung der Autorität am Konzil gefolgt sei, habe zunächst, „wie zu erwarten stand“, eine „Hochblüte des Dilettantismus“ gezeitigt. Unter allen möglichen Parolen, wie Mündigkeit der Laien, Mitsprache in Glaubens- und Sittenfragen, glaubten nun viele, sie müßten bei jedem auftauchenden akuten Problem eine eigenständige Meinung haben, auch dann, wenn sie von der Sache wenig öder nichts verstehen. Sie übersehen dabei, daß größere Freiheit erkauft sein will. Sie kostet etwas. Der Preis heißt: größere Verantwortung. Größere Verantwortung verlangt Sachkenntnis und sittliche Reife, das heißt Maß und Zucht, jene vierte, anscheinend bescheidenste und doch krönende Kardinaltugend, die den Menschen „schön“ macht, indem sie den Glanz des geordneten Wahren und Guten aus ihm hervorleuchten läßt. Wir werden zugeben müssen, daß wir im allgemeinen von diesem Glanz heute weiter entfernt zu sein scheinen als manche andere Zeiten. Trotzdem sind wir unerbittlich vor diese Forderung gestellt, wenn die Krise der Autorität nicht ausarten soll zur unverantwortlichen Zuchtlosigkeit und Zersetzung, sondern im Gegenteil zur Entscheidung in ein tiefer gelebtes Christsein werden soll.

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