Kultivierung der "wilden Religion"

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Sein Fachgebiet ist die Dogmatik, die Vermittlung der Glaubenslehre der (katholischen) Kirche. Für Roman Siebenrock, Professor an der Universität Innsbruck, heißt das, die wissenschaftliche Theologie mit dem Leben der Kirche in Verbindung und deren Überzeugungen in eine verständliche Sprache zu bringen.

Die Furche: Herr Professor Siebenrock, Sie lehren Dogmatik. Wo sehen Sie die größte Herausforderung für diese theologische Disziplin?

Roman Siebenrock: Diese hat wesentlich mit der Kultivierung der "wilden Religion" zu tun. Religion ist anarchisch, wild und gefährlich. Mir ist einerseits ganz wichtig, die ganz traditionellen Orte aufzusuchen, an denen die theologische Wahrheit gefunden wird, andererseits die wissenschaftliche Theologie mit dem Lebensvollzug der Kirche und des Individuellen zu verbinden. Wie präsentiert sich die Kirche in der Gesellschaft? Wie können die Überzeugungen eine verständliche Sprache finden? Wie setzt sich unsere Kirche mit anderen religiösen Überzeugungen auseinander? Darauf müssen wir Antworten geben.

Die Furche: Was ist dabei für die theologischen Ausbildung wichtig?

Siebenrock: Ein Dogmatiker kann nicht das konkrete Handeln bestimmen, er kann aber zur Orientierung beitragen. Wenn wir Christen selbst nicht mehr wissen, was unsere Identität ist, dann wird's schwierig. Damit müssen wir uns in der Ausbildung auseinandersetzen. Die Kirche ist gleichzeitig verstärkt mit neuen Sozialformen konfrontiert, etwa durch die Schaffung von "Seelsorgeräumen" (die immer öfter an die Stelle der herkömmlichen Pfarren treten; Anm.). Die Frage nach der grundlegenden Verfasstheit von Kirche stellt sich angesichts tief greifender gesellschaftlicher Veränderungen in einem neuen Kontext.

Die Furche: Was soll ein Theologe können?

Siebenrock: Der Unterscheidung der Geister kommt eine wichtige Rolle zu. Orientierungshilfe dabei ist die Sicht der kirchlichen Tradition und eine nüchterne Prüfung der Kriterien und Argumente des Glaubens. Ignatius von Loyola hat einmal gemeint: "Der Teufel kommt den Frommen fromm und den Unfrommen unfromm" und trifft damit einen bedeutsamen Punkt. Es ist also nicht von vornherein entschieden, wie es läuft.

Die Furche: Welche Bedeutung hat das II. Vatikanische Konzil für die heutige Theologie?

Siebenrock: Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es nach dem II. Vatikanum eine systematische Theologie gibt, die das Konzil nicht nur zitiert, sondern auch strukturell aufnimmt. Ich glaube, da sind wir noch nicht so weit. Nur die Beschlüsse umzusetzen, erachte ich für zu wenig. Dieser üblichen Konzilsinterpretation stehe ich mit großem Vorbehalt gegenüber.

Die Furche: Wie sollte das Konzil also verstanden werden? Sind nicht gerade heute Strömungen dagegen aktiv?

Siebenrock: Das Konzil war ein richtungsweisender Prozess und hat sich nicht als das letzte Wort verstanden. So wird es oft fälschlicherweise interpretiert. Es ist überhaupt nicht mehr möglich, das Rad hinters Konzil zurückzudrehen. Das ist ja das Tolle daran. Auch die, die es massiv kritisiert haben, stehen auf seinem Boden, selbst Lefebvre, der ohne das II. Vatikanum überhaupt keine Position gehabt hätte.

Die Furche: Gibt es auch Schwachpunkte beim Konzil?

Siebenrock: Brennende Fragen der Gegenwart standen damals noch nicht im Blick der Konzilsväter. Der drohende Klimawandel, die extrem ungerechte Wohlstandsverteilung weltweit, die Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft sind nur einige Themen, die aus heutiger Sicht unterbelichtet sind. Des Weiteren wurde am Konzil das strukturell Böse, wie das schon Kant im 18. Jahrhundert so bezeichnete, nicht wirklich thematisiert. Auf diese inhaltliche Kritik am Konzilsdokument "Dei Verbum" hat Joseph Ratzinger, lange vor seiner Wahl zum Papst, in einem Kommentar hingewiesen. Die Konzilskritik ist nüchtern zu sehen, schmälert seine Bedeutung aber in keiner Weise.

Die Furche: Notwendigkeit eines Dialogs im Sinne des Konzils? Wo sehen Sie kirchenpolitisch heiße Eisen?

Siebenrock: Alle sind wichtig, alle sollen gehört werden! Es sind ja damals auch nicht die gedruckten Konzilstexte entscheidend gewesen, sondern die Erfahrungen und Debatten, die darin zum Ausdruck kamen. Das heißeste Eisen derzeit ist, dass viele Christen ihren Glauben gar nicht mehr kennen und etwa einem Muslimen die wesentlichen Merkmale christlicher Identität nicht schlüssig erklären können. Wir müssen Abschied nehmen von einer uniformen Kirche, die mit einer einzigen Stimme spricht. Ein entscheidendes Qualitätsmerkmal der heutigen Kirche besteht darin, die verschiedenen Spannungen auszuhalten. Auch die österreichische Kirche war ja über Jahre starken Spannungen ausgesetzt.

Die Furche: Meinen Sie hier auch Spannungen bei Bischofsbestellungen?

Siebenrock: Ich bin ein Anhänger eines breit angelegten Konsultationsprozesses bei Bischofsbestellungen, weil es sich dabei um eine spezifisch regionale Frage handelt. Nehmen Sie das Beispiel Frankreich mit seinen herausragenden Persönlichkeiten. Wir haben uns leider noch nicht von jenem reichskirchlichen Machtdenken verabschiedet, das die Entwicklung der Kirche behindert. Gott will eine Kirche, die pastoral geführt wird.

Die Furche: Muss sich die Kirche stärker politisch positionieren - etwa in der Armutsfrage?

Siebenrock: Selbstverständlich. Entweder die Kirche positioniert sich oder sie wird positioniert. Dies erfordert eine Deutung der Geschehnisse im Lichte des Evangeliums. Die Kirche als Institution und Gemeinschaft ist ein Teil des öffentlichen Lebens und kann gar nicht unpolitisch sein. Die klare Stellungnahme von Kardinal Schönborn im letzten Wahlkampf gegen ausländerfeindliche Parolen sehe ich sehr positiv.

Die Furche: Eine neue "Option für die Armen"?

Siebenrock: In der Kirche darf es keine Armen geben. Papst Benedikt hat das in der Enzyklika "Deus Caritas est" bereits unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Wenn das zum Programm würde, wäre schon viel gewonnen. Die katholische Soziallehre halte ich angesichts der brennenden Fragen unserer Zeit für ein unentbehrliches Instrument zur friedlichen Bewältigung der globalen Zukunft.

Das Gespräch führte Karl Heinz Lauda.

"Enkelschüler" Karl Rahners

Nein, er würde es nicht wagen, sich als "Nachfolger" Karl Rahners zu bezeichnen. Er habe, meinte Roman Siebenrock am Rande des nebenstehenden Furche-Gesprächs, Karl Rahner über seinen Schüler Karl-Heinz Weger in München kennen gelernt. Er würde daher die Bezeichnung "postumer Enkelschüler" vorziehen. Solchem Understatement zum Trotz: Seit vergangenem Jahr ist Roman Siebenrock Professor für Dogmatik an der Universität Innsbruck, sitzt also auf demselben Lehrstuhl, den einst auch der große Konzilstheologe Karl Rahner innehatte. Aber nicht nur als "Nachfolger", sondern auch als Rahner-Forscher ist Siebenrock längst ausgewiesen - seit 1985 als Mitarbeiter am Karl-Rahner-Archiv der Universität Innsbruck sowie als Mitglied der Schriftleitung der Karl-Rahner-Gesamtausgabe. Roman Siebenrock wurde 1957 in Baden-Württemberg geboren. Er studierte Philosophie, Theologie und Erwachsenenpädagogik in Innsbruck und München. 1993 promovierte er bei Peter Hünerman in Tübingen, 2001 habilitierte er sich in Fundamentaltheologie.

Neben seinen Rahner-Forschungen arbeitet Siebenrock auch intensiv am Innsbrucker Fakultäts-Schwerpunkt Religion-Gewalt-Kommunikation-Weltordnung mit.

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