"Kunst ist Religionsausübung"

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Ende 2005 inszenierte er seine 122. Aktion am Burgtheater, kurz darauf erhielt er den Staatspreis und seit letzter Woche feiert ihn ein eigenes Museum: Die Rede ist von Hermann Nitsch. Ein Gespräch mit dem Künstler, an den sich das Publikum immer mehr zu gewöhnen scheint, über bürgerliche Wurzeln und christliche Bezüge in seinem Schaffen.

Die Furche: Sie stammen aus einem bürgerlichen Hintergrund …

Hermann Nitsch: … ich hätte keinen Grund, es zu leugnen. Meine Eltern, meine Großeltern, waren alles Bürger. Auch wir Künstler arbeiten letzten Endes für die Bürger, für die Menschheit. Und die Mönche, die haben vielleicht einen direkteren Zugang zum Ganzen, sie machen es aber letztlich auch für die Allgemeinheit, weil sie bis zu ihrem Grab bis zu einem gewissen Grad durch ihr Beispiel erziehen wollen.

Die Furche: Was wären die Unterschiede zwischen einem Bürgerlichen, einem Künstler und einem Mönch?

Nitsch: Weil immer so über die Bürgerlichkeit geschimpft wird, das ist der Ausgangspunkt von allem. Auch ein Priester oder jemand der Mönch wird, hat vielleicht bürgerliche Eltern. Und muss dann natürlich ausbrechen, der Bürger ist irgendwie der Humus.

Die Furche: Wie macht man den Schritt vom Bürgertum zum Künstler?

Nitsch: Es sind oft unglaubliche Glücksfälle. Wenn man einen guten Lehrer hat, der einem irgendwie die Augen öffnet für die Malerei oder die Ohren für die Musik. Und wenn man sieht, was einem Kunst alles bieten kann, dann geht man diesen Weg weiter und versucht das, was man erfahren hat, missionierend weiterzugeben.

Die Furche: Bei Ihnen gab es solche Glücksfälle?

Nitsch: Ja. Abgesehen von einer Begabung, aber ich glaube, die Begabung ist gar nicht so wichtig wie das Glück zu haben, also wirkliche Kunst und wirkliche Tiefe zu erfahren. Dazu gehört auch die religiöse Begabung, wie weit man fähig ist zur Mystik und wie weit nicht.

Die Furche: Die Hinwendung zur Kunst ist also ein paralleles Ereignis zu einer mystischen Lebensweise?

Nitsch: Ich glaube, dass viele Leute, die mit Kunst zu tun haben, oder die Künstler sind, meistens auch die Fähigkeit haben, die Welt mystisch zu erleben. Dass man aus einem tiefen Ja zum Leben die Welt mystisch erfahren kann. Gerade in der Natur.

Die Furche: Welche Beweggründe gab es, das Tafelbild zugunsten der raumgreifenden Aktion zu verlassen?

Nitsch: Da muss ich etwas über die Geschichte meiner Arbeit erzählen. Ich wollte schon als 19-Jähriger ein Existenzfest spielen, das hat damals schon Orgienmysterientheater geheißen. Von der Wortdichtung bin ich dann dazu übergegangen, Anweisungen zu geben, damit die Menschen schmecken und riechen, damit sie Früchte zerquetschen, damit das sinnliche Empfinden jetzt und hier zelebriert wird. Das war auch eine gewisse Überwindung der Sprache. Daneben ist aber meine Aktionsmalerei die visuelle Grammatik meines Theaters auf einem Tafelbild geblieben.

Die Furche: Jetzt haben Sie diese Komponente der Sinnlichkeit angesprochen …

Nitsch: … ganz wichtig, das Sinnliche ist für mich eine extrem geistige Angelegenheit. Das Sinnliche wird über das Bewusstsein ausgebracht. Und diesen Dualismus, hier Geist und dort Leib, den kann ich nicht nachvollziehen. Ebenso wenig die Trennung zwischen Immanenz und Jenseits.

Die Furche: Wie verhalten sich Kunst und Religion zueinander?

Nitsch: Bereits die Fin-de-siècle-Künstler haben sich als Priester begriffen und die Kunst war für sie nicht Religionsersatz, sondern Religionsausübung. Kunst ist Religionsausübung, sowohl als passives Rezipieren der Kunst als auch als schöpferische Tätigkeit.

Die Furche: Sie haben aus dem Christentum, und noch mehr aus dem Katholizismus, direkt Elemente übernommen. Wie sehen Sie diese Auseinandersetzung?

Nitsch: Ich würde mich als einen Religionsarchäologen bezeichnen. Und das Christentum ist mein Ausgangspunkt. Es gibt viele faszinierende Elemente im Christentum, denen ich mich nicht entziehen kann, etwa die Formel von Tod und Auferstehung oder die Wandlung.

Die Furche: Sie haben durch Ihre Arbeit wüsteste Anfeindungen einstecken müssen, von Leuten, die sie nie gesehen hatten. Wie sind sie mit dem umgegangen?

Nitsch: Da gab es den großen Trost, dass es viele Künstler auf der ganzen Welt gegeben hat, die missverstanden worden sind. Man war also in guter Gesellschaft.

Die Furche: Viele der Anfeindungen waren damit begründet, dass ihre Arbeit blasphemisch sei.

Nitsch: Von C.G. Jung her habe ich gewusst, dass es gar keine Blasphemie geben kann. Ich habe Symbole gegenüberstellt, die sich miteinander nicht vertragen, um eine Bewusstmachung zu erreichen. Die ganze antike Götterwelt und antike Religiosität musste dem Christentum weichen. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich religiöse Vorstellungen entwickeln, denen das Christentum wieder weichen muss.

Die Furche: Wie sehen Sie da das Verhältnis zwischen den Aktionen und den Relikten davon im Museum?

Nitsch: Das ist das Problem der Dokumentation. Ich sage immer wieder, eine Dokumentation ist eine Dokumentation und eine Aufführung ist eine Aufführung. Ich wünsche mir, dass die Leute eine Aufführung von mir sehen.

Die Furche: Zu Ihrer Auseinandersetzung mit dem christlichen Kult …

Nitsch: … den ich sehr schätze, sehr bewundere, überhaupt die Messe. Auch wenn es da die extreme Vergeistigung, Sublimierung gibt, worauf die Christen sich sehr viel einbilden, dass es die Blutopfer im Christentum nicht mehr gibt. Viele Theologen haben zu mir gesagt, man sollte mich nicht verfolgen, sondern froh sein, weil ich die ganze Liturgie wieder versinnliche, dadurch dass das alles wirklich vorkommt, Fleisch, Blut, und so weiter.

Das Gespräch führte Hartwig Bischof.

Bürgerlicher Rebell mit Hang zur Mystik

Vom enfant terrible zum Staatspreisträger, so könnte man den Lebensweg von Hermann Nitsch umschreiben. Der 1938 in Wien geborene Nitsch, in seinen Anfängen mit den Wiener Aktionisten eng verbunden, entwickelte in Form des Orgienmysterientheaters ein Gesamtkunstwerk. Als einer der letzten Romantiker erfüllte er sich den alten Künstlertraum, in einer Mischung aus malerischen, theatralischen und musikalischen Elementen ein zumeist mehrere Tage anhaltendes Fest zu Ehren der Kunst zu inszenieren. Dafür lässt er alle Kunstsparten in einer sehr archaischen Form auftreten, wobei es Zuseher oder Zuhörer im Sinne einer passiv anwesenden Menge nicht mehr gibt. Die Musik umfängt die Teilnehmer mit sphärischen Klängen, das Theater erinnert wieder mehr an rituelle Handlungen, wie man sie von Opferungen und Prozessionen aus dem religiösen Kultraum kennt. Seit letzter Woche feiert ihn ein eigenes Museum in Mistelbach, das Publikum hat sich offensichtlich an ihn gewöhnt.

MZM Museumszentrum Mistelbach, Waldstraße 44-46, 2130 Mistelbach, Di-So, 10.00-18.00 Uhr, http:// www.mzmistelbach.at/

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