Kunstwerk Menschenrechte

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Es ist falsch, die Menschenrechte auf ihre rationale Dimension zu verkürzen. Menschenrechte haben vor allem einen emotionalen Kern, bestechen durch Radikalität und Einfachheit zugleich.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte war in den letzten 60 Jahren wegweisend und prägend für die internationalen, regionalen sowie nationalen Menschenrechtsstandards wie kein anderes Dokument. Auch heute besticht der Text durch seinen einfachen wie radikalen Anspruch: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." (Artikel 1) "Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand […]." (Artikel 2 )

Vergegenwärtigt man sich, dass nur drei Jahre zwischen dem Ende des 2. Weltkriegs, des Dritten Reichs, des Holocausts und der Allgemeinen Erklärung lagen, so müssen die Autoren und Autorinnen vielen Zeitgenossen als unverbesserliche Optimisten oder als Realitätsverweigerer erschienen sein. Heute wissen wir, dass Letzteres schlichtweg falsch ist, und Ersteres viel zu kurz greift. So kurz nach dem Weltkrieg und noch frei vom lähmenden Gleichgewicht des Kalten Krieges wurde der Text mit der gewonnenen Einsicht verfasst, dass nur eine die Würde des Individuums respektierende, schützende und fördernde Gesellschaft dauerhaft in Frieden wird leben können.

In vielerlei Hinsicht anknüpfend an Roosevelts Rede von den "Four Freedoms" (freedom from want, freedom from fear, freedom of worship, freedom of speech) formulierten die Autoren in der Erklärung bürgerliche, politische sowie wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte, deren Erfüllung ein Leben in Menschenwürde ermöglicht. Dabei spiegelt sich im Text ein ganzheitliches Bild vom Menschen wider, den es nicht nur vor unlauteren Eingriffen des Staates zu schützen gilt, sondern dem auch Rahmenbedingungen zu bieten sind, die es ermöglichen, das Leben in seinen unterschiedlichen physischen, psychischen, spirituellen und intellektuellen Dimensionen zu erfahren und den eigenen Vorstellungen gemäß zu führen.

Mit dem ultimativen Ziel des Schutzes der Menschenwürde basieren Menschenrechte auf einem für alle Konfessionen und Kulturen gleichermaßen geltenden Wert. Heute gibt es keinen Staat, der nicht zumindest einen Menschenrechtsvertrag ratifiziert hat. Menschenrechte stellen heute das einzige universell anerkannte Wertesystem dar.

Bei allem Fortschritt muss jedoch heute festgestellt werden, dass es einen beschämenden Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen den ausformulierten Normen und der Implementierung gibt. Beispiele für die unzulängliche Umsetzung gäbe es viele: Noch immer leben mehr als eine Milliarde Menschen in absoluter Armut, noch immer werden Milliarden Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Ethnizität, Behinderung, sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts diskriminiert. Zusätzlich hat sich die Situation mit der primär militärischen Antwort auf die Anschläge des 11. September verschlechtert. Nach der Prämisse, der Zweck heilige die Mittel, werden selbst die robustesten Menschenrechte wie das absolute Folterverbot in Frage gestellt und verletzt.

Ein entscheidendes Element für die Überwindung der beschämenden Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit ist das Wissen und Bewusstsein um Menschenrechte. Menschenrechtsbildung befähigt, eigene und Menschenrechte anderer wahrzunehmen und dafür aktiv zu werden. In diesem Zusammenhang zeigt sich allerdings, dass Menschenrechte oft in negativem Zusammenhang vermittelt werden, nämlich anhand ihrer Verletzung in Form von Folter oder Diskriminierung. Der positive und bereichernde Aspekt, dass Menschenrechte auf Befreiung und Befähigung zu einem Leben in Würde abzielen, geht meist verloren. Des Weiteren werden Menschenrechte häufig in ein akademisches Diskurskorsett gezwängt und auf eine rationale Dimension verkürzt, wodurch der positive und emotionale Kern verloren geht. Künstlerische Ausdrucksformen sind viel besser geeignet, Menschenrechte in ihrer vielfältigen Dimension zu erschließen und nachvollziehbar und nachfühlbar zu machen.

Manfred Nowak ist Professor an der Uni Wien, Direktor des Ludwig Boltzmann Institutes für Menschenrechte und UN Sonderberichterstatter über Folter. Roland Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Boltzmann Institut für Menschenrechte.

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