Laienhaftes Umdenken

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Zum 100er der katholischen Laienorganisation "Semaines Sociales de France" kamen Tausende nach Lille. Ein Grund, auch über die Laien in Österreichs katholischer Kirche kritisch nachzudenken.

Hundert Jahre nach ihrer Gründung und fünf Monate nach der Erweiterung der EU auf 25 Mitglieder hat die französische Laienbewegung Semaines Sociales de France (SSF) die eigenen Mitglieder und Sympathisanten sowie Laien aus den anderen 24 EU-Staaten nach Lille eingeladen, um sich mit den wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen einer zukünftigen europäischen Gesellschaft für die Christen auseinanderzusetzen.

Die SSF wurden 1904 von zwei katholischen Laien gegründet, die die Soziallehre der Katholischen Kirche verbreiten und zu einer Umsetzung im praktischen Leben anregen wollten. Heute haben die SSF rund 2.000 Mitglieder und 16.000 Sympathisanten.

Seit ihrer Gründung haben sich die SSF mit den wirtschaftlichen, politischen, kulturellen, wissenschaftlichen und technologischen Veränderungen und ihren Auswirkungen auf die nationale und internationale Gesellschaft auseinandergesetzt. Dies geschieht vor allem in den jährlichen mehrtägigen Treffen. Die SSF arbeiten in Europafragen eng mit dem Zentralkomitee deutscher Katholiken (ZdK), dem Dachverband katholischer Laienorganisationen in Deutschland, zusammen. SSF und ZdK waren auch die treibenden Kräfte für eine große internationale Europaveranstaltung 2004.

Prodi kontra Riccardi

Dieses international beschickte Jahrestreffen 2004 der SSF, das Ende September in Lille stattfand, widmete sich dem Thema "Europa: Auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft". 4.000 Franzosen und fast 900 Teilnehmer aus neun Ländern Mittel-Osteuropas sowie aus der "alten" EU der 15 kamen vier Tage lang zusammen.

Die Liste der Vortragenden aus Politik und christlichen Kirchen reichte vom Noch-EU-Kommissions-Präsidenten Romano Prodi bis zu Kardinal Roger Etchegaray, der im Auftrag und mit einer Botschaft des Papstes während des ganzen Treffens anwesend war. Es muss hier genügen, nur einige wenige Aussagen zu erwähnen und einen Vergleich der Organisation der Laien und von europaweiten kirchlichen Veranstaltung in Frankreich und Österreich anzuschließen.

Prodi bezeichnete die EU als das bedeutsamste positive Projekt des 20. Jahrhunderts, gab sich aber eher pessimistisch (oder realistisch?) in Hinsicht auf zukünftige Entwicklungen. Als "Europa-Katholik" bedauerte er, dass es nicht gelungen sei, in die Präambel der EU-Verfassung einen Hinweis auf die christlichen Wurzeln Europas einzubringen.

Darauf nahm auch Andrea Riccardi, der Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio, Bezug: Er sei gegen eine solche Erwähnung gewesen, denn dann "hätte man auch sagen müssen, dass die Schoa und Auschwitz konstitutiv für das europäische Bewusstsein nach 1945 sind". Aber: "Das Christentum ist heute keineswegs am Ende seines Weges. Wie Johannes XXIII. sagte, ist es nicht das Evangelium, das sich verändert, sondern wir sind erst dabei, es besser zu verstehen."

Ein Runder Tisch mit Vertretern von vier christlichen Kirchen unterstrich die Bedeutung von gemeinsamen Europa-Initiativen und die Notwendigkeit, ökumenisch vorzugehen. In diesem Zusammenhang betonte der Präsident des ZdK, Hans Meyer, die Qualität des Lobbying der Minderheiten und damit auch der sozial engagierten Christen werde die Politik entscheiden. Und der Präsident der Kommission der europäischen Bischofskonferenzen, Bischof Josef Homeyer, sah ebenso wie der Primas der katholischen Kirche Englands, Kardinal Cormac Murphy-O'Connor, eine Kirche Europas schon als Realität; beide riefen auf, sich vermehrt in Sozial-, Politik-, Friedens- und Wirtschaftsfragen einzubringen und den Dialog mit Nichtchristen zu verstärken. Papst Johannes Paul II. unterstrich in seiner von Kardinal Roger Etchegaray verlesenen Botschaft die Wichtigkeit des christlichen Engagements in der Politik.

Am Ende des Treffens forderte der Präsident der SSF, der frühere Präsident des Internationalen Währungsfonds, Michel Camdessus, die Teilnehmer auf, ihrer Aufgabe als Impulsgeber und Erzieher nachzukommen und ihren Landsleuten zu helfen, die Gestaltung der Welt in die eigenen Hände zu nehmen. Den Abschluss bildete eine sehr eindrucksvolle "Messe für Europa" mit tausenden Teilnehmern und unter Konzelebration von hunderten Priestern und Bischöfen mit Kardinal Etchegaray.

Blick nach Österreich

Das europäische Katholikentreffen in Lille drängt Vergleiche mit der Situation in Österreich auf. Die Großveranstaltung wurde nur von den Laien selbst, von Sponsoren und öffentlichen Stellen finanziert. Planung und Durchführung lagen allein in den Händen der Laien. Die "Amtskirche" war eingeladen, viele kamen und waren Teil der großen Familie. Das Treffen war ökumenisch offen.

Ein Vorschlag der Katholischen Aktion Österreich für eine ähnliche grenzüberschreitende Laien-Veranstaltung mit den Nachbarländern wurde hingegen vor einigen Jahren von der Österreichischen Bischofskonferenz dreimal abgelehnt. Grund dafür kann nicht die erbetene Mitfinanzierung der Bischofskonferenz bzw. der Diözesen gewesen sein. Man muss wohl vermuten, dass der von den Bischöfen geplante, aber nur mit Hilfe der Laien durchführbare "Mitteleuropäische Katholikentag" auch nicht weniger finanzielle Mittel erforderte. Die offizielle Einbindung von sieben mittel-osteuropäischen Bischofskonferenzen war zwar eine kirchenpolitische Meisterleistung von Kardinal Christoph Schönborn, die aber um den Preis einer Marginalisierung der Laien erreicht wurde.

Für Österreich stellt sich daher die provokante Frage, ob und inwieweit die Laienorganisationen in der bisherigen Form noch zeitgemäß sind. Wenn mehrere hunderttausend organisierte katholische Laien nicht imstande sind, für die von ihnen gewünschte und bereits sehr detailliert geplante Veranstaltung gemeinsam die finanziellen Mittel aufzutreiben und sich daher weitgehend auf die Mithilfe bei der Organisation eines von den Bischöfen geplanten "Katholikentages" beschränken müssen, scheint ein Umdenken angebracht.

Auch die österreichische Mitwirkung an der Planung und die Teilnahme in Lille (13 Personen) war unbefriedigend. Österreich kam im Programm nicht vor. Dabei hätte Österreich zumindest für den ökumenischen Runden Tisch einiges anbieten können: So ist die Tatsache, dass in Österreich mit Christine Gleixner eine katholische Ordensfrau dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich vorsteht, europaweit einmalig. Auch dass der Ökumenische Rat der Kirchen 2003 ein gemeinsam erarbeitetes Sozialwort veröffentlicht hat, hätte in Lille ein "Vorzeigeprojekt" sein können. Aber so geht es ja nicht nur den Laienorganisationen in Österreich: Die österreichische Binnenmentalität ist kein guter Impulsgeber für ein selbstbewusstes, aber "professionelles" Auftreten außerhalb der eigenen Grenzen.

Der Autor war bis 2003 Vizepräsident der Katholischen Aktion Österreich.

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