Launische Konventsgötter

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Der EU-Erweiterungsvertrag liegt diesen Mittwoch zur Unterzeichnung bereit. Nicht so die Reform, die garantiert, dass die EU funktionsfähig bleibt: Der EU-Konvent ist in der Krise, eine Verfassung bis Ende Juni unsicher.

Das Europäische Parlament in Brüssel hat nicht nur die äußere Form von ovalen Käseschachteln, der Inhalt gleicht ebenfalls einer ganz bestimmten Käsemarke: "Caprice des Dieux" heißt der französische Schimmelkäse, mit dem die Brüsseler das EU-Parlamentsgebäude in ihrer Stadt vergleichen. Die Parallelen beschränken sich keineswegs auf die Architektur des Baus, auch die Arbeit im Haus an der Rue Wiertz wird derzeit hochgradig von den Launen kapriziöser Götter bestimmt. Allen voran taucht der Name Valery Giscard d'Estaing auf, wenn es um Eigensinn und Willkür im EU-Konvent geht. Arrogant, überheblich, eingebildet ... - die Liste der negativen Eigenschaften, die dem Präsidenten des Konvents zur Zukunft der Europäischen Union zugeschrieben wird, ist lang.

Und nichts Neues, denn schon bei der Einberufung des Konvents im Februar letzten Jahres, regte sich Widerstand gegen d'Estaing. Der Auftrag an den Konvent lautet, die EU-Institutionen soweit zu reformieren, dass die Union auch nach der Erweiterung auf 25 und mehr Mitglieder funktionsfähig bleibt. Um die Reform nicht von vornherein zu erschweren, wünschten sich die Konventsmitglieder einen Präsidenten aus ihren Reihen. Das Anliegen blieb unerhört. Die heutigen Staatschefs hievten den ehemaligen Staatschef Giscard d'Estaing in den Vorsitz - als Aufpasser und Bremser wie viele mutmaßen. Einziger Trost ist die Hoffnung, der für seine Eitelkeit bekannte Franzose werde sich - ganz "Caprice de Dieu" - mit dem Konvent ein Denkmal setzen wollen.

Dieses Monument könnte mickrig ausfallen. "Zweieinhalb Monate vor dem geplanten Abschluss, ist der Konvent noch meilenweit von einem Kompromiss entfernt", sagt ein Brüsseler Diplomat hinter vorgehaltener Hand. Derzeit sei alles in Schwebe und er befürchte das Schlimmste. Durch die Krise, die der Irak-Krieg zwischen dem - aus US-Sicht - "alten und neuen Europa", den "Willigen und Unwilligen" ausgelöst hat, sei die Stimmung im Konvent völlig am Boden. Ein hoher Kommissionsbeamte bestätigt diese pessimistische Sicht: "Man sieht förmlich, wie die Tür zugeht, aber keiner stellt einen Fuß dazwischen." Einig sind sich beide im möglichen Ausweg aus der Sackgasse: "Jetzt hängt alles davon ab, wie d'Estaing agiert."

Dieser nehme die Krise überhaupt nicht wahr, zerstreut Konventsmitglied Johannes Voggenhuber jegliche Hoffnung, d'Estaing würde den verfahrenen Konventskarren wieder flott kriegen. Der Schock, den der Irak-Krieg und die dadurch zu Tage getretene Uneinigkeit der europäischen Staaten ausgelöst hat, "sitzt sehr, sehr tief", ist der grüne Europaparlamentarier überzeugt. Die Briten würden sich auf geradezu dramatische Weise von Europa abwenden, sagt Voggenhuber: "Alle Konsense, die wir im letzten Jahr erarbeitet haben, sind weg."

Johannes Voggenhuber sitzt beim Mittagessen. Am Tisch hat auch Reinhard Bösch, FPÖ-Nationalratsabgeordneter und Konventsmitglied, Platz genommen. Fisch, Lamm und Joghurt lautet die Speisenfolge - Käse fehlt, "Caprice des Dieux" gibt es diesmal keinen. Laune und Eigensinn sind aber auch laut Bösch für die momentane Krise in der EU ausschlaggebend. Im fehlenden Willen der Mitgliedsstaaten sieht Bösch das Grundübel, warum Europa zu keiner gemeinsamen Außenpolitik findet. "Das lässt sich mit den besten Institutionen nicht beheben." Bösch plädiert jedoch dafür, die Krise der Union nicht zu einer Krise des Konvents zu machen. "Mehr gemeinsames Europa lässt sich nicht über's Knie brechen, das braucht Zeit." Voggenhuber schüttelt den Kopf. "In vielen Bereichen hat die EU keine Zeit mehr", bringt der Grüne Dramatik ins Mittagessen und spart auch nicht beim Nachschlag: "In den nächsten Wochen geht es um Alles oder Nichts."

Auf die knappe Zeit angesprochen, die dem Konvent für seine Arbeit noch bleibt, antwortet dessen Vizepräsident Jean-Luc Dehaene mit einem Rückgriff in die Geschichte: Auch die Vereinigten Staaten von Amerika seien 1787 bei ihrem Verfassungskonvent in Philadelphia unter starkem Zeitdruck gestanden. Dass ihm dieser Vergleich eingefallen ist, freut Dehaene selber am meisten. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dann vergräbt der kleine Mann den großen runden Kopf wieder zwischen seinen Schultern. "Caprice des Dieux", diesen Käse kennt der frühere belgische Premier gut, so wie die Launen der Halb- und Ganzgötter im Konvent, Dehaene mit eingeschlossen.

Sollen am Ende des Konvents in Brüssel gar Vereinigte Staaten von Europa herauskommen? Auf diese Debatte lässt sich Dehaene nicht ein. Wichtiger ist ihm davor zu warnen, dass sich die derzeitige Diskussion auf die falschen Fragen konzentriert. Der Streit, wieviele EU-Kommissare es in Zukunft geben wird und ob noch jedes Mitgliedsland einen stellen kann, sowie der Streit über eine Abschaffung der rotierenden Ratspräsidentschaft - das alles sind für Dehaene Nebenschauplätze. Die entscheidende Frage, die der Konvent lösen müsse, meint der als EU-Freund geltende Christdemokrat, sei die Einführung von Mehrheitsentscheidungen. "Denn in einer Union mit 25 Mitgliedsstaaten bedeutet das Einstimmigkeitsprinzip Unbeweglichkeit."

Was, wenn der Konvent scheitert? "Dann wird es Initiativen geben, um ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten zu schaffen", befürchtet Dehaene. "Dann wird sich das Wasser andere Bahnen brechen", formuliert es ein Mitarbeiter des Präsidiums dramatischer. "Schlimmste Dynamiken können in Gang kommen", legt er noch ein Schäuflein an EU-Katastrophenszenario nach. "Das ist die letzte Möglichkeit, die Union der 25 funktionsfähig zu gestalten." In Frack gekleidete Ober servieren Tee und Kaffee an die Konventsmitglieder im Plenum. "Im Juli gehen die Saaldiener in Urlaub", erklärt der EU-Beamte. "Vielleicht hilft ja dieses Ultimatum, dass man sich im Konvent wieder aufeinander zubewegt", fügt er noch ironisch hinzu, "denn im Sommer ist die Käseschachtel in Brüssel verwaist."

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