Leadership heißt auch, viel zu verlangen

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Bei der zweiten Auflage des Innovationsforums "PfinXten", das im Kärntner Bildungszentrum St. Georgen am Längsee stattfand, ging es auch um Kriterien für Führungspersönlichkeiten bei Veränderungsprozessen - nicht nur, aber gerade im kirchlichen Bereich.

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Bei der zweiten Auflage des Innovationsforums "PfinXten", das im Kärntner Bildungszentrum St. Georgen am Längsee stattfand, ging es auch um Kriterien für Führungspersönlichkeiten bei Veränderungsprozessen - nicht nur, aber gerade im kirchlichen Bereich.

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Am Beginn meiner Arbeit als Jugendleiter von Nativity musste ich eine Ehrenamtliche entlassen", bekannte Chris Wesley aus Baltimore beim Innovationsforum PfinXten im Stift St. Georgen, wo er über "Leadership" referierte. "Ich habe diesen Konflikt nicht gesehen, oder besser gesagt: Ich wollte mich nicht darum kümmern. Ich hoffte, er würde sich von selbst lösen." Erst als er bemerkte, welche negativen Auswirkungen sein Nichthandeln hatte, entschloss er sich, das zu tun, was seiner Verantwortung als Führungskraft entsprach.

Vermutlich kommt es in Österreich nicht oft vor, dass Ehrenamtliche gefeuert werden. Mit diesem Beispiel rüttelte Chris Wesley auch diejenigen wach, die PfinXten als eine Konferenz genießen wollten, wo man Gleichgesinnte in einem tollen Ambiente trifft, interessante Vorträge mit vorzüglichem Essen kombiniert und den einen oder anderen Impuls mitnimmt. Hierzulande ist man froh, wenn sich Menschen überhaupt noch engagieren. Man wagt es nicht, zu viel zu verlangen oder gar auf die Einhaltung strategischer Vorgaben und Verhaltenscodes zu pochen.

Verschärft wird diese Tendenz durch die scheinbare Aufwertung von Freiwilligen im Zuge der Personalkrise der Kirche. Diese umfasst ja weit mehr als der Begriff "Priestermangel" suggeriert. Offensichtlich ist die Attraktivität der Kirche so massiv gesunken, dass sich Menschen lieber woanders engagieren. So tickt eine Gesellschaft, in der Zeit zunehmend als die wertvollste Ressource betrachtet wird. Ein differenzierter Blick zeigt, dass es vor allem die klassischen Handlungsfelder der Kirche wie Pfarren, Orden oder traditionelle Bewegungen sind, die trotz vieler Bemühungen schrumpfen, überaltern und so in eine Abwärtsspirale geraten.

Natürlich liegt vieles an externen Faktoren. Aber unabhängig davon lässt sich einiges von Initiativen und Orten lernen, wo sich junge und talentierte Menschen vermehrt aktiv beteiligen. Woran liegt denn deren Attraktivität? Sicher nicht an verlockenden Rahmenbedingungen, niedrigen Qualitätsstandards oder verwöhnender Beliebigkeit. Mit solchen Versuchungen werden schlechte Systeme kurzfristig attraktiver, um diejenigen anzulocken, die durch Charakter und Kompetenzen den Negativtrend eher verstärken, statt ins Positive drehen helfen.

Neue Attraktivität und Leadership

Diese Analyse führt direkt zu "Leiterschaft" als zentrales Thema für alle, die Kirche in diversen sozialen oder organisationalen Gestalten innovieren wollen. Im Buch "Rebuilt", bei PfinXten als deutsche Ausgabe präsentiert, beschreiben Pfarrer Michael White und Tom Corcoran den Weg der Church of the Nativity von einer ungesunden, konsumorientierten Pfarre zu einer einladenden und herausfordernden Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu Christi.

Sie sind weit davon entfernt, diesen Weg als Modell für andere Pfarren hinzustellen. Im Gegenteil, sie warnen ausdrücklich vor billiger Nachahmung einzelner Aspekte, ohne sich mit der grundlegenden Veränderung auseinanderzusetzen, die sich zuerst in den Köpfen und Herzen der Verantwortlichen vollziehen muss. Wer fasziniert von den Erfolgen dieser Pfarre rein aktionistisch Methoden abkupfert, wird scheitern. Wer so wie die Teammitglieder von Nativity bereit ist, sich auf einen echten Lernprozess einzulassen, wird die Tür öffnen für echte Gesundung.

Viele Systeme sind im Wesen krank und können daher nicht effizient für andere da sein. Sie brauchen mehr als Symptombehandlung. Sie bedürfen echter Heilung, erst dann können sie Schritt für Schritt wieder Kraft und Ausstrahlung entwickeln. "Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen?", lautet die rhetorische Frage in der Bergpredigt.

Chris Wesley sprach daher nicht in erster Linie von seinen Erfahrungen als Jugendleiter, sondern über die Aspekte von Leiterschaft, die in Nativity ausschlaggebend für Gesundung und neue Fruchtbarkeit waren. Es ist zum einen die Fähigkeit, mit unausweichlichen Konflikten im Zuge von Veränderungsprozessen so umzugehen, dass dadurch die Verbreitung der Frohen Botschaft gefördert wird.

Er verwies auf Paulus, dessen Missionsreisen als Aneinanderreihung interner und externer Konflikte beschrieben werden, die aber dennoch letztlich eine Erfolgsstory sind -nach biblischen Kriterien. Zum anderen betonte der Autor von "Rebuilding Youth Ministry", dass eine Erneuerung nicht davon abhängt, ob die Leiter und Leiterinnen perfekt sind, sondern von deren Bereitschaft, Gott als den eigentlichen Chef zu akzeptieren und von Ihm zu lernen.

Wesley veranschaulichte dies an der Jüdin Ester, die am persischen Königshof Königin geworden war und in einer dramatischen Situation das Unheil vom ganzen Volk abwenden konnte. Der Grund: Sie war bereit, Werkzeug für Gottes Plan zu sein. "Wer weiß, ob du nicht gerade dafür in dieser Zeit Königin geworden bist?"(Ester 4,14) Egal wo jemand gerade wirkt, sei es eine persönliche Glaubensentscheidung, dieser Frage Raum zu geben oder nicht.

Dienend leiten

Das abschließende Kapitel von "Rebuilt" widmet sich der Frage, welcher Typus von Leiterschaft für die Erneuerung in Kirchen relevant ist. Biblische Vorbilder und innovative Kirchen im ökumenischen Horizont geben dabei Orientierung. Da wird Leitung als eine Gabe Gottes gesehen, ein Charisma des Heiligen Geistes. Nicht jeder verfügt über diese Gabe, aber sie ist für die Entwicklung von Kirche und Gesellschaft unabdingbar. Wem sie geschenkt ist, der muss verantwortungsvoll damit umgehen und sie durch beständige Praxis einüben.

Die radikale Sicht Jesu ist dabei die Basis für "dienende Leitung". Worte und Taten Jesu offenbaren einen Gott, der ein völlig anderes Verständnis von Macht, Einfluss und Dienst hat als die Welt. Im Philipperhymnus wird diese Botschaft unüberbietbar verdichtet: "Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave."

Pfarrer White in "Rebuilt":"Eine der schnellsten Methoden, wie sie den Unterschied zwischen einem dienenden oder einem selbstsüchtigen Leiter erkennen können, ist, wie jemand mit Rückmeldungen umgeht, denn eine der größten Ängste selbstsüchtiger Leiter ist es, ihren Status zu verlieren."

| Der Autor ist Theologe und Gründer der ökumenischen Initiative Pastoralinnovation |

Rebuilt

Die Geschichte einer katholischen Pfarre.

Von Michael White und Tom Corcoran.

Pastoralinnovation 2016. 287 Seiten, brosch., € 19,90

Zu bestellen über: www.ezechiel.at

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