Der Karfreitag 1998 war ein Hoffnungstag - für alle, die ein friedliches Europa ersehnen. Der Karfreitag 1999 markierte beinahe das Gegenteil: Alle, die an Frieden in Europa glauben mochten, konnten ihre Hoffnungen fahren lassen. Die tiefe Ernüchterung bezieht sich nicht nur auf die Greuel im Kosovo und den Krieg in Jugoslawien, sondern auch auf den uralten Haß in Nordirland, der Ostern 1999 wieder zutage trat.
Zumindest gelang es nicht, den mit Karfreitag 1998 begonnenen Friedensprozeß zwischen Protestanten und Katholiken nachhaltig und zeitgerecht weiterzutreiben. Trotz der Regionalwahlen, die vor bald einem Jahr abgehalten wurden, konnte in Belfast bis dato keine Regierung gebildet werden, zu tief bleiben die Gegensätze. Etwa bei der Forderung der Entwaffnung der paramilitärischen Verbände (mit terroristischer Vergangenheit). Jedenfalls wurden die Verhandlungen über Regierungsbildung und Waffenabbau (von Entwaffnung ist schon keine Rede mehr ...) einmal mehr vertagt.
Auch die Ostersignale aus dem äußersten Westen Europas versprachen wenig. Oder - aus pessimistischerem Blickwinkel - dokumentierten, daß Nordirland einen Schritt zurück unterwegs ist: Gerry Adams, Sinn-Fein-Führer, bezeichnete Forderungen nach Entwaffnung der katholischen IRA als "provokativ", und Brian Keenan, einer der sieben IRA-Führer, sprach davon, daß die IRA ihren Weg eher wieder allein gehen würde als aufzugeben.
Derweilen begann in ganz Nordirland die Marschsaison der Protestanten: Traditionalisten wie die Mitglieder des Oranierordens gedenken der Siege ihrer Vorfahren; um die Provokation in Grenzen zu halten, wurde heuer beim Ostermontag-Umzug der "Apprentice Boys" durch Belfast darauf verzichtet, durch katholische Viertel zu marschieren. Der Anlaß für die Märsche liegt Hunderte Jahre zurück: Gerade hier berühren sich die Leiden an den Rändern Europas. Auch im Kosovo spielt weit zurückliegende Geschichte eine fatale Rolle: Die Serben definieren ihre Identität auch über die Schlacht auf dem Amselfeld im Mittelalter. In Nordirland feiern andere in durchaus verwandtem Geist ihre Siege, die schon lang Geschichte sind.
Erinnerung ist notwendig - gerade im jüdisch-christlichen "abendländischen" Kulturkreis . Aber wer aus der Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart lebt, verspielt die Zukunft. Im Kosovo ist dies brutale Wirklichkeit. Für Nordirland gilt dies nicht minder.
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