Leben und arbeiten als FREIE BÜRGER

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Der Theologe und Philosoph Johannes Hoff über Chancengleichheit, die Schattenseiten der Digitalisierung und die spirituelle Krise.

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Der Theologe und Philosoph Johannes Hoff über Chancengleichheit, die Schattenseiten der Digitalisierung und die spirituelle Krise.

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Johannes Hoff ist Professor für Systematische und Philosophische Theologie am Heythrop College der University of London. Beim Europäischen Forum Alpbach unterrichtete er gemeinsam mit Sarah Spiekermann und Chris tian Reimsbach-Kounatze im Seminar "Digitale Kluft".

DIE FURCHE: Ist Gleichheit ein gedankliches Konstrukt? Eine Utopie? Eine Dystopie?

Johannes Hoff: Dass wir alle gleich sind, ist eine Illusion und eine Gleichheitsideologie, die es zu überdenken gilt. Um es mit Hannah Arendt zu sagen: Es gibt keine Gleichheit ohne Ungleichheit.

DIE FURCHE: Sprechen wir exakter von Chancengleichheit ...

Hoff: Jedem sollte dazu verholfen werden, seine Möglichkeiten zu verwirklichen. Das ist nicht immer das Potential zum Nobelpreisträger oder Bundeskanzler. Im Sinne von Aristoteles und Thomas von Aquin sollte es vielmehr darum gehen, ihr oder ihm individuell "gerecht zu werden". Beide hatten deshalb auch kein Problem von wegweisenden Eliten zu sprechen. Eliten sind nicht notwendigerweise reich oder berühmt, sondern tugendhaft; indem sie das, was einen Mensch auszeichnet, in vorbildlicher Weise ausüben.

DIE FURCHE: Welche Ungleichheiten entstehen durch die sogenannte digitale Kluft?

Hoff: Primär gibt es eine Ungleichheit zwischen Gesellschaften, die unbegrenzten Zugang und solchen die keinen oder nur sehr limitierten Zugang zu Technologien haben - aufgrund von Infrastruktur, Einkommen oder Alter zum Beispiel. Daraus resultiert die Annahme - ähnlich wie die Verknüpfung von Bruttosozialprodukt und Glück: Digital ist besser. Doch Digitalisierung kann unsere Lebensqualität und unsere Arbeitsbedingungen auch negativ beeinflussen.

DIE FURCHE: Wie kann man da gegensteuern?

Hoff: Eine postdigitale Kluft wird dann entstehen, wenn nur noch diejenigen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, die ihre Intelligenz noch nicht an den Operationsmodus von digitalen Technologien angeglichen haben. Man muss Lernziele anders ausrichten und Formen nicht-mechanischer, intuitiver Intelligenz mehr Beachtung schenken. Das erfordert so etwas wie Muße. Die Tatsache, dass wir ständig von unseren Computertechnologien abgelenkt werden, untergräbt die Kultivierung derjenigen Fähigkeiten, die uns von Computern unterscheiden.

DIE FURCHE: Wie kommt es zu dieser Ablenkung?

Hoff: Sie ist Folge des Buhlens um Aufmerksamkeit, die momentan die wichtigste Ware am Weltmarkt ist. Wir haben verlernt uns zu sammeln um eine Sache zu begreifen. Diese Kunst spielt eine große Rolle in der religiösen Tradition und ist die Grundlage von Spiritualität. So lassen sich genau diejenigen Formen von Intelligenz kultivieren, die man nicht durch Maschinen ersetzen kann.

DIE FURCHE: Was unterscheidet diese Operationsmodi?

Hoff: Die problemlösende Intelligenz des ergebnisorientierten Arbeitens ist nur Mittel zu einem vorgegebenen Zweck. In der griechischen Antike waren es vor allem Sklaven, die so arbeiteten. Die Bürger einer Polis hingegen konnten Aktivitäten nachgehen, die man um ihrer selbst Willen - also aus intrinsischer Motivation -tut; zum Beispiel über Politik diskutieren oder Philosophie betreiben. Um das zu erreichen muss die Technologie die Sklaven ersetzen - und dürfen nicht wir uns in unserer Arbeitshaltung den Maschinen annähern.

DIE FURCHE: Sie schlagen die Rückbesinnung auf die Musen in der griechischen Mythologie vor. Verstehen Sie darunter sowohl die Beschäftigung mit Kunst, als auch die Stille, in der Ideen entstehen können?

Hoff: Um es christlicher auszudrücken - wir kennen es von den Benediktinern: Kontemplatives Leben sollte nicht im Gegensatz zu Arbeit stehen, sondern Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens sein. In der vormodernen Zeit war die spirituelle Praxis Grundlage des Denkens. Um frei denken zu können, muss man ein freier Mensch sein. Jemand der süchtig ist oder unaufmerksam und alle 15 Minuten den Zwang hat auf sein Handy zu schauen, ist das nicht. Den Unterschied zwischen wirklicher und virtueller Welt wiederzuentdecken, setzt die Fähigkeit voraus, einmal still zu sitzen und nichts zu tun. Für viele ist das furchterregend -doch die Stille schafft eine Wahrnehmungsänderung. Sie ist für die emotionale und soziale Intelligenz unabdingbar.

DIE FURCHE: Was ist von der Tradition der christlichen Art zu leben und zu lernen übrig?

Hoff: Die Moderne ist von Weltbildern und von moralischen Doktrinen, die wie Parteibücher funktionieren, besessen. Bei einer Haltungsänderung, wie es sie hier braucht, sind die Religionen gefordert und zwar nicht indem sie genau sagen, was wir zu glauben und zu tun haben, sondern indem sie die Menschen - durchaus im Sinne eines Dienstleistungsbetriebes - darin unterstützen, kontemplative Lebensformen zu kultivieren. Was Papst Franziskus macht, ist revolutionär: Laut der jüngsten Enzyklika "Laudato si'" sollen wir grundsätzlich unsere Einstellung gegenüber der Schöpfung ändern und einsehen, dass die großen Probleme unserer Zeit, sei es ökologischer oder sozialer Art, die gleichen Wurzeln haben, weil sie einer spirituellen Krise entspringen.

DIE FURCHE: Welche Beziehung zwischen realer und digitaler Welt hielten Sie für erstrebenswert?

Hoff: Das digitale System soll die reale Welt nicht ersetzen, sondern helfen, unsere analoge Welt in Zweifelsfällen präziser zu beobachten, oder klar definierte Probleme effizienter zu lösen.

DIE FURCHE: Welche Auswirkung hat die Entwicklung von künstlicher Intelligenz?

Hoff: Sie ersetzt zunehmend menschliche Arbeitskraft. Prognosen besagen, dass 45 Prozent aller Jobs verschwinden werden, weil die Tätigkeiten - nicht nur sogenannte Blue-collar-Jobs, sondern auch von Rechtsanwälten und Medizinern - durch Computer ausgeführt werden können. Wir müssen umdenken und diejenigen Formen von Intelligenz kultivieren, die wir im Gefolge des Industriezeitalters verlernt haben.

DIE FURCHE: Wie kann das gelingen?

Hoff: Das Denken müsste ganzheitlicher werden und die Wirklichkeit nicht mehr als die Summe ihrer Teile sehen, die sich in analytisch beschreibbare Einzelprobleme auflösen lässt. Diese Art von Intelligenz haben wir in Folge der naturwissenschaftlichen Revolution der Moderne ausgelagert in die Sphären der Kunst und Religion.

DIE FURCHE: Wie geht man in der Wissenschaft mit Undefinierbarem um?

Hoff: Das vollständig durchrationalisierte, naturwissenschaftliche Weltbilde im Stile von Newton, Leibniz und Descartes ist eine Illusion. Wenn man mit analytisch präzisen Begriffen nicht mehr weiterkommt, hilft man sich mit anschaulichen Beispielen, Erzählungen, Symbolen oder Bildern.

DIE FURCHE: Was gibt den Dingen Bedeutung und Seele?

Hoff: Bedeutung produzieren wir nicht im Kopf. Seele ist nicht etwas, das man vom Körper trennen kann. Sie gibt einem Körper Bedeutung, die Einfluss auf mein Verhalten nimmt, also ethische Implikationen beinhaltet. Ich reagiere anders, wenn eine Konservendose vor mein fahrendes Auto rollt, als wenn ein Kind über die Straße läuft. Den damit einhergehenden Erkenntniswert nenne ich symbolischen Realismus: Die Realität selbst ist symbolisch aufgeladen.

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