Lichtblick und Zeichen des Widerspruchs

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Nicht erst Papst Franziskus sieht sich mit seinen wirtschaftskritischen Aussagen scharfem Widerspruch wirtschaftsliberaler Denker vor allem nordafrikanischer Provenienz gegenüber. Schon Benedikt XVI. stand im Visier dieser Kritiker, die die Katholische Soziallehre ablehnen.

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Nicht erst Papst Franziskus sieht sich mit seinen wirtschaftskritischen Aussagen scharfem Widerspruch wirtschaftsliberaler Denker vor allem nordafrikanischer Provenienz gegenüber. Schon Benedikt XVI. stand im Visier dieser Kritiker, die die Katholische Soziallehre ablehnen.

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In den Dokumenten der Katholischen Soziallehre finden sich erfrischende Perspektiven auf die heutigen sozialen und ökologischen Herausforderungen. Doch Gegenwind kommt gerade von ansonsten betont katholischen Gruppen und Medien. Ein Plädoyer für das "bestgehütete Geheimnis der katholischen Kirche" anlässlich der Publikation der Enzyklika Centesimus Annus vor 25 Jahren.

Um der sozial-ökologischen Krise des 21. Jahrhunderts wirksam zu begegnen, braucht es eine vertiefte Reflexion, die in der Lage ist, Sozial- und Naturwissenschaften sowie auch Philosophie und Ethik zu verbinden. Die Katholische Soziallehre hat für die Bewältigung dieser Aufgabe gewiss kein Deutungsmonopol, jedoch bietet sie einige wertvolle Ressourcen: In Zeiten massiver Ungleichheit und unaufhörlicher Umverteilung von unten nach oben ruft sie die Notwendigkeit fairer Löhne und staatlicher distributiver Gerechtigkeit, nach dem Prinzip suum cuique (jedem das Seine), in Erinnerung. Dabei verkennt sie jedoch keineswegs den unverzichtbaren Beitrag des Marktes zum Gemeinwohl, noch bürdet sie dem Staat die Lösung aller Probleme auf.

Angesichts von Klimawandel und Artensterben hält sie die ethische Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung hoch, verfällt dabei jedoch nicht in eine misanthropische Einstellung, die den Menschen als auszukurierenden Virus des Planeten abstempelt. Zur Lösung der heutigen globalen Probleme setzt sie sich für eine Stärkung der global governance ein.

Licht unter den Scheffel gestellt

Doch die Katholische Soziallehre ist öffentlich wenig bekannt und wird immer wieder unter den Scheffel gestellt. Dabei sind es häufig gerade ihrem Selbstverständnis nach betont katholische Gruppen oder Medien, die sich als Kritiker unliebsamer sozialethischer Interferenzen durch Papst oder Bischöfe hervortun. So sah sich Benedikts XVI. Enzyklika Caritas in Veritate (2009) mit Bemühungen konfrontiert, weite Teile davon wegzudiskutieren, wo sie den Befürwortern der ungezügelten Freiheit des Marktes nicht ins Konzept passte, wie Andrea Tornielli und Giacomo Galeazzi in ihrem Buch "Questa Economia Uccide" darlegen.

Der Artikel "Caritas in Veritate in gold and red" des US-Autors George Weigel bietet ein anschauliches Beispiel für eine solche selektive Lektüre der Soziallehre Benedikts XVI. Ein deutschsprachiges katholisches Internetmedium wartete kürzlich mit einer Apologetik der heutigen massiven Ungleichheit auf, die als natürlich und gut dargestellt, Kardinal Schönborns berechtigter Protest gegen diese "himmelschreiende Ungleichheit" aber als wirtschaftlich falsch abgewiesen wurde.

Eine der deutlichsten Stimmen für eine Verbindung zwischen Katholizismus und einer stark wirtschaftsliberalen Gesellschaftsauffassung ist aber ohne Zweifel die nordamerikanische Denkfabrik "Acton Institute", der zufolge "der Kapitalismus des freien Marktes der sicherste Weg zu einer moralischen und sozial gerechten Gesellschaft" ist. Auch bei den Actonianern tut man sich mit der Katholischen Soziallehre sichtlich schwer. So sieht etwa der Sprecher ihrer italienischen Sektion, Kishore Jayabalan, in Papst Franziskus' sozialem Lehramt die "dominierende Tendenz des postmodernen Denkens" am Werk. Regelmäßig äußert der von den amerikanischen Koch-Brothers geförderte Think-Tank Vorbehalte gegen die Klimawissenschaft und den Klimaschutz, so zuletzt im Dezember 2015 auf einer Konferenz an der vom Opus Dei geführten päpstlichen Santa-Croce-Universität, wo man laut dem Vatikanisten Sandro Magister die "Unbegründetheit der umweltschützerischen Thesen der Enzyklika Laudato Si' anprangerte".

Reiner Schutz des Privateigentums

Acton und Santa Croce arbeiten bereits jahrelang zusammen, die Sozialethik-Professoren der päpstlichen Universität, Martin Schlag und Martin Rhonheimer, beliefern die amerikanische Denkfabrik regelmäßig mit Artikeln, während den Veranstaltungen der letzteren immer wieder die Räumlichkeiten der Santa Croce zur Verfügung gestellt werden. Ein illustratives Beispiel dafür ist die mit dem "Novak Award" bedachte "Calihan Lecture" vom Dezember 2014, der zufolge es nur mehr freies Unternehmertum und private karitative Initiative geben solle. Der Staat dient nach diesem Modell lediglich dem Schutz des Privateigentums und der Durchsetzung der Verträge, während Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmern und staatliche Umverteilung nicht notwendig wären. Derartige Thesen haben an der Santa Croce Tradition.

"Allein die Wirtschaft kann das Problem der Armut auf nachhaltige Weise lösen", so Martin Schlag. Nach den Schriften von Martin Rhonheimer geht die Autonomie des freien Marktes so weit, dass auch die Notwendigkeit eines existenzsichernden Lohns abgelehnt wird, und erst recht bestünde kein Recht auf einen Familienlohn. Menschen in Not hätten zudem keinen Anspruch auf Umverteilung von Gütern zu ihren Gunsten, sondern es gäbe lediglich eine "moralische Verpflichtung" der Reichen zu solcher Umverteilung. Die Einnahme von Steuern zur Umverteilung durch den Staat schließlich wäre nichts anderes als "Zwangsenteignung".

Die "Weisung" der Natur erfassen

Solche Lehren widersprechen nicht nur dem Kernbestand der Soziallehre der Kirche, sondern auch der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Beide lassen keinen Zweifel an der Notwendigkeit existenzsichernder Löhne sowie der Aktivität des Staates, zu Gunsten der wirtschaftlichen Rechte seiner Mitglieder einzugreifen. Im Weltbild der oben beschriebenen neoliberal-katholischen Schule steht jedoch die Freiheit des Marktes an erster Stelle. Anstatt der Natur des Menschen und des Prinzips suum cuique werden sozial konstruierte Zweit-Realitäten wie der Marktpreis oder verabsolutierte Eigentumsrechte zur Norm erhoben. Ergebnisse der Naturwissenschaft werden wegdiskutiert, da sie ernst zu nehmen der ungezügelten Freiheit des Marktes Grenzen setzen könnte. Kurzum: Die Realität der Dinge in ihrem ethischen Anspruch kommt in dieser relativistischen "Sozialethik" nicht zu Wort.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die 2011 von Benedikt XVI. gehaltene Berliner Bundestagsrede mit ihrem Anstoß, die "Weisung" der Natur zu erfassen, als besonders aktuell. Papst Franziskus' Laudato Si' führt dieses Programm weiter. Dieser Umstand wirft ein ungewohntes Licht auf Franziskus' Pontifikat: es erscheint dann nicht als -je nach Perspektive erfreuliche oder Besorgnis erregende - Abkehr vom Kurs seiner Vorgänger, sondern vielmehr als Blick aufs Ganze der katholischen Tradition, zu der eben auch die Soziallehre der Kirche gehört.

Ein solches Hinhören auf die Realität ist dabei jedoch selbstverständlich kein katholisches Spezifikum, sondern eine Grundoption der menschlichen Vernunft überhaupt, von der wesentlich abhängt, ob die nächsten Jahrzehnte halbwegs friedlich über die Bühne gehen werden. Dazu jedoch braucht es nicht die interessensgeleitete Forschung neoliberaler, unter der Fahne christlicher Werte auftretender Denkfabriken, sondern eine wissenschaftsfreundliche Perspektive sowie eine Ethik, die die Menschenwürde ins Zentrum stellt.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck.

Lesen Sie hier die Replik auf diesen Artikel von Martin Rhonheimer.

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