Liebe besteht im Kommunizieren

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Ende der Karwoche bekamen wir Jesuiten aus Rom Bilder zugesandt, in denen Papst Franziskus und der Generalobere der Jesuiten Alfonso Nicolás sich umarmen. Eine historische Begegnung, die auch die Frage weckt: Was kennzeichnet ignatianische Spiritualität und macht ihr Profil aus? Spiritualität ist die Antwort auf die Fragen: Wie spielen Lebensziel und Lebensstil zusammen? Wovon und wie lebt ein Mensch? Wie denkt, handelt, empfindet, entscheidet er, welche Werte und Haltungen leiten ihn? Christliche Spiritualität ist glaubend-hoffend-liebender Umgang mit Realität - im Geist Jesu und seines Evangeliums.

Ignatius von Loyola (1491-1556) baskischer Adliger, Mann von Welt und darauf aus, durch Waffenübungen zu imponieren und Ehre einzuheimsen. Eine Kriegsverletzung zwingt ihn zur Begegnung mit sich selber. Auf dem Krankenbett und dem Tod nahe beginnt eine Verwandlung in ihm durch den Blick auf Jesus und durch die Lektüre von Lebensbeschreibungen von Heiligen - auch die von Franziskus. Jetzt experimentiert Ignatius mit seinem Leben. Kein Geld will er mit sich nehmen auf seinen Pilgerreisen, auch keine Weggefährten. Er begründet dies im "Bericht des Pilgers“ mit den Worten: Er "wünsche drei Tugenden ganz zu besitzen: Liebe, Glaube und Vertrauen.“ Wenn er später einmal schreibt, er wolle "in Armut predigen“ und seine Bücher weggeben, so sind sich nicht nur hier Ignatius und Franziskus sehr nahe.

Regeln für die Kommunikation

"Endlich habe ich den Weg gefunden, der sich mir zeigen wollte“, so schreibt der 53-jährige Ignatius. Es sei dies der Weg der "ehrfürchtigen Liebe“, der liebevollen Achtsamkeit. Diese innere Entwicklung gehöre zu den größten geistlichen Geschenken seines Lebens. Sie bezog sich zunächst auf Gott, dehnte sich dann aber aus auf den ganzen Kosmos, die Natur, die Menschen. Entscheidend dabei ist für Ignatius die Beziehung zu Jesus Christus, zu ihm als dem Weg. Alle Betrachtungen der biblischen Szenen auf dem Weg der Exerzitien und des Gebets wollen Versuche der Annäherung sein an die Wirklichkeit Jesu, in dem die Menschenliebe Gottes, seine "Philanthropie“ (Titusbrief 3,4), sich mitteilt.

"Die Liebe besteht im Mitteilen von beiden Seiten“ (Exerzitienbuch Nr. 231). Liebe besteht im ständigen Wechselspiel von Geben und Empfangen. Jeder bietet dem andern an, was er hat und kann und weiß, ja, letztlich sich selber: "Die Liebe besteht im Kommunizieren.“ Dies ist ein Programm. Ignatius ist ein exzellenter Kommunikator. Besonders deutlich wird dies in einer Instruktion im Jahr 1546 für drei Jesuiten, die Berater auf dem Konzil von Trient sind. Er gibt ihnen sieben Regeln zur Kommunikation mit. Deren zentrale lautet: "Ich wäre langsam im Sprechen, indem ich das Hören für mich nutze; ruhig, um die Auffassungen, Gefühle und den Willen derjenigen, die sprechen, zu verspüren und kennen zu lernen, um besser zu antworten oder zu schweigen.“ Ignatius trägt seinen Mitbrüdern auf, einander jeden Abend eine Rückmeldung zu geben, wie sie das Kommunizieren der andern wahrgenommen haben. Welche Kultur des Gesprächs!

Der Ausdruck "unterscheidende Liebe“ wird oft gebraucht, um ignatianische Spiritualität zu kennzeichnen. Sie ist die Kunst, mit der Frage zu leben, was wirklich gut ist für eine Beziehung, ein Unternehmen, eine Entscheidung. Die Antwort sucht Ignatius auf der Ebene der intuitiven Herzensmitte, auf der Ebene der Empfindungen und seelischen Regungen sowie auf der Ebene des nüchternen und mit Erfahrungen gesättigten Abwägens von Pro und Contra. Mit Recht gilt seine Spiritualität als besonders hilfreich für Entscheidungen.

Fundamental für das Entscheiden ist die Bedeutung der seelisch-geistigen Befreiung und Entängs-tigung. Ohne die Freiheit, auch das Gegenteil von dem zu tun, was man tut, ist nach Ignatius weder gutes Entscheiden noch echtes geistliches Wachsen möglich. "Vom Kennen zum Können führt nur das Üben“. Dieses Wort von Otto Friedrich Bollnow gibt eine Erfahrung von Ignatius wieder. Sein "Bestseller“ spricht vom Üben: "Geistliche Übungen - Exercitia spiritualia“. Exerzitien - meist eine Woche lang - sind eine Zeit der Besinnung, des Gebetes, der Stille, der Annäherung von Gott und Mensch.

Für den Alltag empfiehlt Ignatius die Übung der Gewissenserforschung, auch "Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“ genannt. Sie besteht darin, täglich ein paar Minuten innehalten - sein Leben bewusst in Kontakt mit Gott bringen, erspüren, wo es einer Umorientierung bedarf, sich vertrauensvoll auf Zukunft ausrichten.

Ignatius kennt auch eine Übung zur konkreten Lebensgestaltung: Bei einem "Projekt“ (Ordnung auf dem Schreibtisch, liebevollere Sprechkultur …) ein paar Wochen bleiben - jeden Abend sich Notizen über Erfahrungen dazu machen - nach Möglichkeit sich gelegentlich mit jemandem besprechen. Frei und kein Krampf ist dieses Üben nur, wenn es ein Zusammenspiel von motivierender Liebe und Arbeit ist. Bei diesem Tun und Lassen fühlt sich Ignatius, wie er schreibt, "in der Schule Gottes“.

Gott in allen Dingen finden

Karl Rahners Wort von der "Mys-tik des Alltags“ drückt aus, was Ignatius so sagt: "Gott in allen Dingen suchen und finden … - im Gehen, im Hören, im Tun, überhaupt in allem.“ In diesem Wort leuchtet die Weltfrömmigkeit, die Wirklichkeitsnähe, der "Liebesrealismus“ ignatianischer Spiritualität auf: Gott ist Freund und Liebhaber des Lebens. Von diesem Gott und von sich selber sagt Ignatius: "Ich glaube, ich könnte nicht leben, wenn ich nicht in meiner Seele etwas spüren würde, das nicht von mir stammt und überhaupt von keinem Menschen, sondern nur von Gott.“

Mystik des Alltags bedeutet auch Bescheidenheit. Ignatius nennt die "Gesellschaft Jesu“ immer wieder minima societas, kleinste, arme, ärmliche Gesellschaft; der Blick auf die Geschichte der Jesuiten zeigt, wie angemessen diese Kennzeichnung ist, bei aller geistigen Kraft und "großen Spiritualität“ dieser Ordensgemeinschaft. Dass Ignatius ausdrücklich nicht wollte, dass Jesuiten kirchliche Würden und Ämter annehmen, sich einfach kleiden sollten, und nun erstmals ein Jesuit zum Papst und kirchlichen Hoffnungsträger gewählt wurde, könnte man als Ironie der Geschichte bezeichnen. Oder aber als eine der Überraschungen des Heiligen Geistes.

Die 34. Generalkongregation der Jesuiten 1995 hat versucht, ignatianische Spiritualität ins Heute zu übersetzen: Glaube, Gerechtigkeit, Kultur, Dialog - dies sind die vier Eckfahnen davon. Dieser Spiritualität liegt die Sehnsucht zugrunde: "In allem lieben und dienen“. (Exerzitienbuch Nr. 233)

* Der Autor ist Exerzitienbegleiter u. Jesuiten-Superior in München |

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