Lies! Und dein Herr ist allgütig

Werbung
Werbung
Werbung

Elternhaus, Schule oder Moschee: Im Zentrum muslimischen Lernens steht der Koran.

In der Rauchfangkehrergasse ist die Stimmung grau in grau. Ein "seltsames Schweigen" liegt an diesem regnerischen Mittwochmorgen in der Luft. Und nicht nur über den kargen Mauern des Islamischen Gymnasiums, glaubt Ludwig Sommer.

Mit seinem unguten Gefühl ist der Schuldirektor nicht allein. Auch Kenan Ergün, islamischer Religionslehrer an der Schule im 15. Wiener Gemeindebezirk, spricht am Tag nach den Terroranschlägen in den USA von einem komischen Gefühl. "Dabei verdammen wir Muslime terroristische Akte, egal von welcher Seite." Als Vorsitzender des Trägervereins der konfessionellen Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht fühlt er sich von der Situation besonders herausgefordert. Schon der Name des Vereins ist in diesen Tagen Programm: "SOLMIT" - solidarisch miteinander.

Seit Herbst 1999 bietet das Gymnasium muslimischen Eltern die Möglichkeit, ihren Kindern sowohl islamische Werte zu vermitteln als auch - geleitet vom österreichischen Lehrplan - ihnen den Weg zur Universität zu ebnen. "Wir wollen, dass aus unseren Kindern Akademiker werden", bringt Ergün eines der Ziele der Schule auf den Punkt: "Intellektuelle und Akademiker sind in der Gesellschaft dominierend. Und so werden diese Kinder eine Brücke sein zwischen den Kulturen." 122 Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 13 Jahren, die meisten türkischer Abstammung, besuchen mittlerweile das Gymnasium und werden von 13 (Wiener Landes-)Lehrern unterrichtet. Stehen am Vormittag die herkömmlichen Schulfächer inklusive zwei Stunden islamischem Religionsunterricht pro Woche auf dem Programm, so werden die Kenntnisse am Nachmittag durch Arabischunterricht und das Koranstudium vertieft. In dieser Form sei das Gymnasium einzigartig im gesamten deutschsprachigen Raum, ist Kenan Ergün stolz.

Der Schulalltag vieler muslimischer Kinder in Österreich sieht freilich anders aus. An den meisten Schulen befinden sie sich in der Minderheit und werden zum (meist nachmittäglichen) Religionsunterricht an einer so genannten Standschule zusammengezogen. Insgesamt 70.000 Schülerinnen und Schüler bekennen sich hier zu Lande zum Islam. Davon haben sich 10.000 vom Religionsunterricht abgemeldet. Außerdem bleiben 25.000 aus Lehrermangel unbetreut, klagt Hisham Albaba, Schulkoordinator für Wien, Salzburg, Vorarlberg und Tirol. Zwar bringt die noch junge Islamische Religionspädagogische Akademie im 7. Wiener Gemeindebezirk ab nächstem Jahr rund 30 Absolventen hervor (Interview mit Direktor Hassan Mousa siehe unten). Dennoch würden erst in drei Jahren genügend Religionslehrerinnen und -lehrer zu Verfügung stehen. Heuer stehen rund 300 Lehrkräfte im Einsatz - gebraucht werden 500.

Eine der begehrten Pädagoginnen ist Katibe Saglam. Während die 25-Jährige noch im zweiten Jahrgang der Islamischen Pädagogischen Akademie die Schulbank drückt, unterrichtet sie in Wien an drei verschiedenen Schulen Religion. "In der zweiten Volksschulklasse beginnen wir mit den arabischen Buchstaben. Erst in der vierten Klassen lernen die Kinder den Koran zu rezitieren", erklärt Saglam. Je nach kulturellem Hintergrund der Kinder seien unterschiedliche Kenntnisse festzustellen: "Arabische Kinder können durchwegs mehr Suren rezitieren. Türkische kommen eher mit religiösen Erfahrungen aus dem Elternhaus." Steht in der Volksschule noch das Glaubenswissen im Mittelpunkt, so führt in der Hauptschule kein Weg an Diskussionen über die muslimischen Bekleidungs- und Speisevorschriften vorbei, weiß die Lehrerin. Dauerbrenner ist und bleibt das Kopftuch (vgl. auch Folge 5 dieser Serie). Anders als im Islamischen Gymnasium, wo die Mehrzahl der Mädchen ihren Kopf bedeckt, ist das Kopftuch unter ihren Schülerinnen Mangelware. "Bis zur Pubertät steht es muslimischen Mädchen frei, das Kopftuch zu tragen. In meinen Klassen trägt es aber niemand. Und ich mache da auch keine Vorschriften."

Etwas strenger geht es dagegen in Österreichs Moscheen zu. Vor allem türkische Eltern schicken ihre Kinder Samstags und Sonntags dorthin zum Religionsunterricht, weiß Hisham Albaba. "Kinder zwischen sechs und 14 Jahren werden hier nicht nur von unseren Religionslehrern, sondern auch von Imamen unterrichtet." Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Koranstudium, reichen doch die zwei wöchentlichen Religionsstunden für viele zum Erlernen des Arabischen nicht aus. Vermittelt wird auch Glaubenspraxis. So nimmt der Lehrer hier gemeinsam mit dem Schüler die rituelle Waschung vor, es wird gemeinsam gebetet und gegessen.

Dass der Islam durch Bildung im Allgemeinen und das Koranstudium im Besonderen geprägt ist, macht schon die erste Botschaft Gottes an Muhammad offenbar (Sure 96,1-4): "Lies! Im Namen deines Herrn, Der erschaffen hat, / Erschaffen hat den Menschen aus geronnenem Blut. / Lies! Und dein Herr ist der Allgütige, / Der gelehrt hat durch die Feder".

Und noch etwas lehrt der Koran, weiß Kenan Ergün vom Islamischen Gymnasium. Jenen Satz (Sure 5,32), den er seinen Schülern in der Rauchfangkehrergasse an diesem trüben Vormittag mit besonderem Gewicht - und aus besonderem Anlass - nahe bringen will: "Wenn einer einen Menschen tötet ... so ist es, als hätte er alle Menschen getötet."

Infos zum Islamischen Gymnasium Wien: www.igwien.com

Buchtipp

WAS JEDER VOM ISLAM WISSEN MUSS. Hrg. von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, 6. überarb. Aufl., Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2001. 263 Seiten, TB, öS 181,-/e 12,50

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung