Liturgie feiern statt Film sehen

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Gibsons Film trägt nichts zum Verständnis von Leiden und Auferstehung Jesu bei.

Mel Gibsons Film "Die Passion Christi" ist niemandem zu empfehlen. Das Marketing des Produzenten und christlicher Gruppen sowie die massive Kritik im deutschsprachigen Feuilleton werden jedoch viele in die Kinos locken.

Der Film trägt nichts zu einem vertieften religiösen Verständnis des Leidens und der Auferstehung Jesu Christi bei. Er ist bestenfalls eine brutale Provokation, nach einem solchen Verständnis zu suchen. All jenen, die Gibsons Passion sehen werden oder gesehen haben, kann ich nur einen Rat geben: die Evangelientexte zu lesen und in ihrer Kirche die Liturgie der Fastenzeit, der Karwoche und der Ostertage mit zu feiern. Sie werden dann feststellen können: Am deutlichsten im Vergleich zwischen Film und Evangelientexten ist, dass die Frömmigkeit der Evangelisten nicht - wie in Gibsons Film - auf die gewiss gewaltsame Wirklichkeit der Passion Christi fixiert ist. Die Auferstehung Christi, der das Leid und die Schuld der Menschheit trägt, ist die zentrale Perspektive der Evangelien. Gibson hat gerade dies nicht reflektiert, sondern das in den Evangelien geradezu mit Scheu beschriebene Martyrium Jesu noch durch Gewaltszenen aus den Privatvisionen von Anna Katherina Emmerich angereichert. Gerade dadurch erscheinen im Film die Repräsentanten der jüdischen Obrigkeit als besonders böswillig und verabscheuenswürdig. Man kann Gibson nicht unterstellen, dass er einen antijüdischen Film drehen wollte. Ihm mangelt es jedoch an jeglicher Sensibilität für die Problematik von Passionsdarstellungen und -spielen, wie sie etwa die US-amerikanische Bischofskonferenz schon 1988 in einem Lehrschreiben - bezogen auf die Erkärung Nostra Aetate des II. Vatikanischen Konzils - dargelegt hat. Für den Gebrauch der aramäischen und lateinischen Sprache im Film hat Gibson Wissenschaftler bemüht. Er hätte auch die lehramtlichen Aussagen der römisch-katholischen Kirche lesen und Bibelwissenschaftler konsultieren sollen.

Menschen etwa in Osteuropa, die selbst Schweres in Leid tragen mussten und politischer Verfolgung ausgesetzt waren, könnten eine andere Wahrnehmung des Films haben. Man sollte das unbedingt würdigen. Diese Menschen konnten im Leiden Jesu Trost finden und auf die Auferstehung hoffen. Im Spannungsfeld zwischen der religiös flachen Kultur Westeuropas und dem Abgleiten von Frömmigkeit in Leidenslust, die ich an Gibsons Film verspürte, ginge es zentral um die Frage eines tiefen christlichen Glaubens für unsere Zeit.

Der Autor ist Berater für Wissenschaft und Kultur in der Diözese Graz-Seckau.

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