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Liturgisch geprägte Bauform

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Das Gotteshaus des 19. Jahrhunderts erkannten wir daran, daß uns zwischen stillos ornamen- tietten Wohnbauten ttbitfdsett Fabrikmauern auf einmal neii|ötisches Strebewerk, begegnete. 1 Heute brauchen Wir zÖr BWieicHmirrg heiliger Stätte nichb aVif -die Formeln längst vergangener Stile zurückgreifen. Nicht mehr unter dem Gleichnis des Gestrigen, sondern mit dem lebendigen Wortschatz der Gegenwart sprechen uns die Formen wieder von Gott und Kirche.

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Das Gotteshaus des 19. Jahrhunderts erkannten wir daran, daß uns zwischen stillos ornamen- tietten Wohnbauten ttbitfdsett Fabrikmauern auf einmal neii|ötisches Strebewerk, begegnete. 1 Heute brauchen Wir zÖr BWieicHmirrg heiliger Stätte nichb aVif -die Formeln längst vergangener Stile zurückgreifen. Nicht mehr unter dem Gleichnis des Gestrigen, sondern mit dem lebendigen Wortschatz der Gegenwart sprechen uns die Formen wieder von Gott und Kirche.

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Wer heute vor einer neuen Kirche steht, steht vor den Formen unserer Zeit. Aber ist es wirklich möglich, diesen Formen, die uns bislang aus dem profanen Anwendungsbereich geläufig sind (oder vielleicht auch dort noch ungewohnt wirken), das Heiligtum seiner Wesenseigenart nach zu verkörpern? Das war das große Bedenken, das uns bei den ersten Kirchenbauexperimenten zunächst erfüllte. Heute, da die Zahl der Betonkirchen allein in den Nachbarlähdern Oesterreichs weit in die Tausend geht, dürfen wir diese bange Frage für die meisten der vorliegenden Lösungen bejahen.

Wie kommt es dann, daß so viele noch affektgeladen und grundsätzlich gegen den modernen Kirchenbau Stellung nehmen? Weil sie aus falscher Einstellung heraus an ihn heran treten! Falsch ist diese Einstellung insofern, als sie der Gesinnung und Haltung nicht gerecht wird, die im heütigen Kirchenbau um ihre Verkörperung ringt. Für den einen, der zu den’Christen gehört, „die nur unter dem Spitzbogen beten können“, sind die dämmerigen Winkel alter Kathedralen das Kriterium. Vielleicht versteht er es psychologisch zu recht- fertigen, indem er sagt, er brauche das Dämmerlicht, um sich zum Beten von den lärmenden Alltagseindrücken zu lösen. Einem anderen deckt sich die reiche Pracht weiter Barockräume mit seiner Vorstellung vom heiligen Ort. Die wogenden Formen erheben ihn in eine gefühlsbetonte Stimmung der Feierlichkeit, die er in seinem Gebet nicht missen möchte. Wieder ein anderer erwartet vom Gebet in der Kirche die Flucht und die Erlösung aus dem maschinellen Alltag. Darum lehnt er jeden Kirchenraum ab, der ihn irgendwie an diese Welt der Technik erinnert.

Es ist nicht leicht, über die grundsätzliche Berechtigung der genannten Einstellungen zu diskutieren: Tatsache ist, daß sie vom Opferraum unserer Tage durchweg nicht erfüllt werden. Offensichtlich sind es also nicht diese Haltungen, welche für die jungen aufstrebenden Gemeinden, die unter großen Opfern ihre neuen Kirchen bauen, bezeichnend sind, wenn sie sich um den Altar scharen. In ihnen ist eine andere Einstellung lebendig! Eine

Einstellung, welche die Formen nicht nach ihrem Gefühlsreichtum beurteilt noch nach äußeren Aehnlichkeiten mit dem Gewohnten noch nach strukturellen Gemeinsamkeiten mit der zeitgenössischen Profanarchitektur.

Ihrer Haltung und den Formen ihrer Kirche entspricht vielmehr eine Einstellung, die sich auf den i nneren Sinn der Baugestalt richtet. Eine Einstellung, die bereit ist, die Formen zu sehen als Gleichnis der zentralen Bedeutung des einen Opfers im christlichen Leben. Als Zeugnis unserer Besinnung auf die Liturgie. Nicht den Hang zum lauschigen Gebetswinkel verkörpern diese neuen Kirchen — so wichtig das persönliche Gebet im Leben des Christen bleibt —, sondern die Versammlung der Gemeinde um den Altar, der nun im stützenlosen Raum von allen Seiten sichtbar ist. Das ist — verglichen mit dem herkömmlichen Bauen — ein unerhörter Gewinn! Kein müdes, weltflüchtiges Christentum bezeugt sich sodann in diesen Formen, sondern eines, das sich seiner Sendung in die Zeit bewußt ist und darum auch die Formensprache der Gegenwart wagen darf. Schließlich baut hier nicht genießerische Selbstzufriedenheit, sondern der wache Christ, der nüchtern und sachlich auf seine Bewährung bedacht mit beiden Füßen im Alltag steht. Nur wer diese Einstellung anerkennt, findet ein inneres Verhältnis zu den Formen der neuen Kirchen. Und diese Formen wollen uns gerade in solche Einstellung rufen!

Jeder neue Stil begann aus neuer Einstellung heraus. Zu seinem Verständnis bedurfte es darum dieser neuen Einstellung. Solange sie noch nicht gefunden war, wurde die neue Art mangels der vorausgesetzten Verständnisgrundlage aus der bisherigen Einstellung heraus notwendigerweise zunächst anstößig und sinnlos empfunden. So hielt man sich vorerst auf über das wirre Strebewerk der Kathedralen, um es als eine Sache kulturloser Barbaren und in diesem Sinne als gotisch (wir würden heute sagen bolschewistisch) abzutun. Bis man schließlich verstand, welch hochstrebende, lichtdurchglühte Innenräume als Gleichnis himmlischer Liturgie dadurch möglich wurden. Die Lichtmystik und eine bestimmte Himmelsvorstellung der Zeit trugen das Ihre bei, um dem Stil seine christliche Be deutungsfülle zu geben. — Auch die in ihrer Erscheinung uns heute noch so geläufige Barockbauweise hat man als Verrücktheit empfunden und sie rein äußerlicher Aehnlichkeiten wegen mit dem Spottnamen „schiefe Perle“ (barocco) bedacht. Dann aber lernte man die an den Fürstenhöfen entfalteten Formen auch religiös zu verstehen als Gleichnis der überschwenglichen Erlösung und geistlichen Lebensfülle wie als Ausdruck der sieghaften kirchlichen Restauration. Ueberall, wo neue Formen auftreten, muß man st eine neue Einstellung lernen, um ihnen gerecht zu werden. Denn die Kunst hat viele Sprachen. Für jede Zeit eine eigene. Wer sie nicht in der Sprache seiner Zeit sucht, findet sie überhaupt nicht. Denn Kunst will Leben sein, nicht Muse um.

Trotz aller Mißverständnisse und Schlagworte von der Volkstümlichkeit und von der unmittelbaren Zugänglichkeit echter Kunst bleibt doch dies die Wahrheit: daß wir unsere Urteile über Kunst nicht einfach dem Geschmack überlassen dürfen, wenn wir ihn nicht gebildet haben und wenn wir nicht die lebendige Einstellung berücksichtigen, aus der eine bestimmte Kunst er? wuchs, an die sie sich wendet und die sie darum voraussetzt.

Das treffende Urteil über die Gelungenheit einer Kirche wird nicht bestimmt durch die Tatsache, daß ihre Wände aus Beton sind wie die der Fabrik — dazu zwingt schon Wirtschaftlichkeit: daß sie ebenso im Skelettbau ersteht wie der Bahnhof und das Stadion —, das bedingen die neuen konstruktiven Wege; daß sie ebenso Glasflächen verwendet wie das moderne Büro — das entspricht unserem Verlangen nach befreiender Helligkeit wie unserer Vorstellung von Verklärung; entscheidend ist, daß ihre Form unser heutiges Bekenntnis zur Opfergemeinschaft um den Altar bezeugt.

Lernen wir doch die Formen der sakralen Architektur auf ihren tiefen Sinn hin zu betrachten. Lang genug waren wir gewohnt, uns nur des Reizes ihrer Oberfläche zu erfreuen und uns an ihrem Bild- und Zierwerk sattzusehen. Wer Augen hat, um zu sehen, und so viel Glauben im Herzen, um einer religiösen Einstellung fähig zu sein, wird sogleich feststellen, wie die Rechnung des neuen Kirchengebäudes nur vom Altar her aufgeht. Der Altarraum ist betont. Zuweilen schon im Aeußeren. Das ist der Sinn, warum Clemens Holzmeister seine mächtigen Chortürme über den Altarraum setzt. Sie fangen das Licht ein, das von oben auf den Opfertisch strömt als Bild für den gnadenvollen Einbruch der Ueber- natur in unser gebrechliches Dasein. Fast durchweg wird der Altar heute durch Häufung der Fensteröffnungen zum lichtvollen geistigen Mittelpunkt des Raumes erhoben. Glasflächen oder große farbige Fresken und Wandteppiche markieren die Stelle der Begegnung mit dem ewigen Gott. Sie vollzieht sich an der Schwelle des Altares, der als mächtiger Block den liturgischen Texten gemäß Christus versinnbildet. In einer den Altar umfassenden Bankordnung oder in konischen und parabolischen Grundrißentwicklungen prägt sich die um das Opfer gescharte und auf Christus ausgerichtete Gemeinde aus. Wie gut gelang die Verkörperung solcher Begegnung mit Gott im lichtvollen Altarraum der demütigen Kirchein Salzburg-Parsch. Deutlich spricht das plastische Deckenmotiv des Kramreiter-Baues in Wien-Liesing von der Kraft der Gnade, die vom Altäre ausströmt und machtvollen Kreisen gleich in die Welt hinein ihre heilenden Wellen spendet.

Die Gefahr, daß der neue Kirchenbau in seelenlose Ingenieurbauten abgleite, die zugunsten rein materieller Gesichtspunkte eine Ausprägung lebendiger Aspekte christlicher Tradition nicht mehr zulassen würde, ist heute weithin gebannt.

Kirche ist heute Kirche nicht erst durch die Weihe, die im aufgerichteten Kreuz und in der eingerahmten Urkunde als vollzogen bezeichnet ist. Kirche ist wieder Kirche schon durch ihre architektonische Sprache. Denn ihre Formen sind nur a 1 s Kirche sinnvoll, während sie einer Verwendung wie Festsaal, Kinoraum oder Maschinenhalle als sinnlos und untauglich sich widersetzen. Ein neues Bild des Heiligtums ist uns geschenkt. Und dies, obwohl Kirche und Profanraum sich der gleichen konstruktiven Mittel und der gleichen strukturellen Eigenart bedienen. Das architektonische Sinnbild des heiligen Ortes ist das reife Geschenk der ernsten Wiederbesinnung auf das heilige Opfer als kraftspendender Mitte christlichen Lebens. Einer Wiederbesinnung, die heute zu weltweiter Ausbreitung gelangte. Unsere neuen Kirchen sind die Zeugen dieser kirchengeschichtlich und frömmigkeitsgeschichtlich bedeutsamen Wende.

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