Luther fürs breite Publikum

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In Deutschland erwies sich Eric Tills Luther-Film als Überraschungserfolg. Für die furche war der evangelische Oberkirchenrat michael bünker im Kino - und fragt, warum der Reformator zur Zeit so "in" ist.

Nein, das schmeckt den Luther-Touristen nicht: Die Speisen gewürzt wie zu des Reformators Zeiten, das geht denn doch zu weit. Da verkauft sich die Luther-Socke mit dem Aufdruck "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" eindeutig besser. Mit den Luther-Souvenirs ist es wie mit dem Luther-Film, sagt Mandy Müller von der Thüringer Tourismus GmbH, am besten verkauft sich eine Mischung aus Historie und heutigem Geschmack. Die Mischung ist für den Film durchaus gelungen: Allein die Besetzung der Hauptrolle mit Joseph Fiennes (Shakespeare in Love) zeigt: Es geht um einen attraktiven, klugen Mönch, der leidenschaftlich antritt gegen eine starre und korrupte Kirche. Er sucht nach der Wahrheit, ist sich aber ihrer nie ganz sicher.

Erste Reformationsjahre

Der Film beschreibt das Leben Luthers und die ersten Jahre der Reformation vom Gewitter bei Stotternheim und dem Eintritt ins Augustinerkloster Erfurt 1505 bis zur öffentlichen Verlesung der Confessio Augustana am Reichstag von Augsburg 1530. Den selbstquälerischen Zweifeln und Ängsten des jungen Mönchs begegnet sein väterlicher Mentor Johannes von Staupitz (Bruno Ganz) mit humorvoller Spiritualität. An der jungen Universität Wittenberg ist Luther der engagierte Professor, der mit ironischen Seitenhieben und beißender Kritik an den Zuständen in Kirche und Politik nicht geizt. Schade, dass es keinen adäquaten Platz für den Gelehrten der Reformationszeit, Philipp Melanchthon, im Film gibt. Erst als Verfasser des Augsburger Bekenntnisses kommt er ins Spiel. Die Auseinandersetzung um den Ablasshandel und mit Johann Tetzel (Alberto Molina) führt zum Thesenanschlag.

Die erfolglosen Versuche des Kardinals Cajetan (Mathieu Carrière) und seines Sekretärs Aleander (Jonathan Firth), den störrischen Mönch zum Widerruf zu bewegen, laufen auf den Reichstag von Worms 1521 zu. Sicherlich einer der Höhepunkte des Films, wenn nach all dem diplomatischen Herumgerede Martin Luther den Widerruf verweigert.

Historischer Abenteuerfilm

Rund um den Reichstag und Luthers Verschleppung auf die Wartburg glänzt Peter Ustinov als Kurfürst Friedrich der Weise. Die negativen Seiten Luthers, die vor allem im Alter zum Vorschein kamen, bleiben weitgehend ausgeblendet. Von seinem Judenhass ist keine Rede, auch seine Mitschuld am Niederschlachten der aufständischen Bauern durch die Fürstenheere bleibt undeutlich. Mitten im Bauernkriegsjahr 1525 heiratet er Katharina von Bora (Claire Cox).

Allerdings: Der Lutherfilm ist weder eine historische Dokumentation noch eine Illustration theologischer Auseinandersetzungen. Es ist ein historischer Abenteuerfilm geworden. Das ist zu begrüßen, wenn so das Anliegen der Reformation einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden kann. Die Erfahrungen in Deutschland scheinen den Produzenten Recht zu geben: Nicht nur die unerwartet große Zuschauerzahl spricht dafür, sondern auch, dass mit dem Film ein Publikum angesprochen wurde, das sonst nicht ins Kino geht.

Im Genre des Abenteuerfilms sind auch einige (wenige!) Szenen plausibel, die kaum oder keinen Anhalt in der historischen Realität haben. Darunter sticht die Begegnung zwischen Luther und Friedrich dem Weisen hervor, in der er seinem Landesherrn ein Exemplar seiner Bibelübersetzung überreicht. In dieser fiktiven Szene blitzt das kritische Grundanliegen der reformatorischen Übersetzungsarbeit auf: Jeder und jede soll in die Lage versetzt werden, selbst zu überprüfen, was in der Bibel steht, danach das Gewissen bilden und die Lehre der Kirche beurteilen.

Die Produktionskosten für den Film betrugen mehr als 10 Millionen Euro. Sie sollen durch den internationalen Markt und die prominente Besetzung wieder eingespielt werden. Fast 50 Prozent des Budgets hat die amerikanische Versicherungsgesellschaft "Thrivent Financial for Lutherans" beigesteuert. So konnte der kanadische Regisseur Eric Till, der schon mit "Bonhoeffer - Die letzte Stufe" einschlägige Erfahrungen mit schwierigen kirchengeschichtlichen Stoffen gesammelt hat, die aufwändige Produktion umsetzen.

Generell fällt auf: Martin Luther boomt. Neben dem Film, der in Deutschland zum unerwarteten Hit des vergangenen Jahres wurde, sticht auch der zweite Platz hervor, den der sächsische Reformator in der ZDF Show "Unsere Besten" gleich hinter Konrad Adenauer eingenommen hat. Ausgiebig hat dem der Spiegel eine Titelgeschichte gewidmet. Vor wenigen Jahren schlug der Roman "Q" des italienischen Autorenkollektivs "Luther Blissett" zur Geschichte der Reformation wie eine Bombe ein. Die Reformation - ein Polit- und Geheimdienstthriller? Was macht Luther, was macht die Reformation heute interessant?

Mittelalter - durch und durch

Zu warnen ist vor allen schnellen Versuchen, Luther zu einem unmittelbaren Vorläufer von Aufklärung und Menschenrechten zu machen. Dazu eignet er sich nicht, war er doch viel zu sehr, beinahe kann man sagen "mit Haut und Haar", dem Mittelalter verhaftet und kaum ein Vertreter der beginnenden Neuzeit. Hin und her gerissen zwischen Gott und dem Teufel, unter der Erwartung des baldigen Weltuntergangs, eignet sich Luther als historische Person nicht unbedingt zum Vertreter der Moderne. Und doch ist ohne ihn die spätere europäische Geschichte nicht zu verstehen. Insofern ist der vollmundige Spruch des Filmtrailers, er hätte die Welt für immer verändert, zumindest in der Sache nicht einmal allzu übertrieben.

Warum dieses Interesse?

Was macht nun das Interesse an Luther aus? Dazu vier persönliche Gedanken:

Zuerst: Für Luther ist der Glauben weder ein Geschäft noch darf er für politische Zwecke instrumentalisiert werden. Das ist auch in der heutigen Diskussion um Religion und Politik aktuell.

Dazu kommt zweitens: Er ist als Einzelner gegen die unglaubwürdig gewordenen Mächte seiner Zeit, Kaiser und Papst, Reich und Kirche, aufgetreten. Auch das durchaus aktuell angesichts der Konzentration der ideologischen, ökonomischen und politischen Macht in der US-Hegemonie.

Drittens: Luther lebte in einer Zeit der Angst, mit der hervorragende Geschäfte gemacht wurden. Die Kirche unterstützte das durch apokalyptische Gerichtspredigten. Er wendet sich gegen diese Geschäftemacherei, den Wucher der Fugger und anderer "großer Hansen". Im Gegensatz dazu forderte er die Verantwortung der Regierenden für soziale Sicherung und Bildung ein ("Funktioniert die Regierung nicht, muss das Volk regieren!").

Schließlich steht viertens die Bibelübersetzung für das Anliegen von mündigen und wachen Christen und Christinnen, Bürgern und Bürgerinnen - der bleibende Stachel der Reformation. Ein waches und kritisches Publikum ist auch dem Film zu wünschen.

Luther

D/USA 2003. Regie: Eric Till. Mit Joseph Fiennes, Alfred Molina, Sir Peter Ustinov, Bruno Ganz, Mathieu Carrière. Verleih: Einhorn-Film, 121 Min.

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