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Am 30. September starb in Zürich Gerhard Ebeling, 89, einer der bedeutendsten protestantischen Theologen des 20. Jahrhunderts: Der Schüler Dietrich Bonhoeffers und Kenner Martin Luthers verstand sich auch selbst als "Instrument Gottes".

Sein unwiderruflich letztes Buch befasste sich mit Luther, und das war alles andere als überraschend. Denn Gerhard Ebeling hat sein ganzes Werk in Auseinandersetzung mit Luther entfaltet. "Luthers Seelsorge" heißt das Buch, Untertitel: "Theologie in der Vielfalt der Lebenssituationen an seinen Briefen dargestellt." Pastoraler Schlusspunkt im Werk eines Theologen, der als Kirchenhistoriker begann und dann in die Systematik wechselte? So könnte es scheinen. Aber die gesamte Theologie Ebelings, wie sie etwa in den drei Bänden seiner "Lutherstudien" und erst recht in seiner ebenfalls dreibändigen "Dogmatik des christlichen Glaubens" nachzulesen ist, ist auf Seelsorge, genauer: auf die Predigt ausgerichtet. Sie ist in einem präzisen Sinn der Ernstfall der Theologie.

Predigt und Theologie, das hieß für Ebeling: das Wort Gottes zur Sprache zu bringen. Gottes Wort im Menschenwort. Nicht das in der Schrift geronnene, sondern das in Sprache verflüssigte Wort erreicht die Gegenwart. Mit seinem stupenden theologischen und historischen Wissen, seinem Sinn für Zusammenhang und Unterscheidung, seiner großen Formulierungskunst war Ebeling letztlich das, was jeden großen Theologen auszeichnet: ein Diener am Wort. Wie Luther.

Das Bedenken dessen, was Sprache bedeutet, hat denn auch zentralen Stellenwert. "Wort und Glaube" heißt sein Standardwerk, eine Sammlung mit Aufsätzen. Im berühmt gewordenen Büchlein "Das Wesen des christlichen Glaubens" präzisiert Ebeling das Geheimnis des Wortes Gottes so:

"Dass dieses Wort geschehen ist und darum auch weiter sagbar ist, dass also ein Mensch dem andern Gott zuzusagen vermag als den, der sich darin selbst zusagt, das ist Gewissheit des christlichen Glaubens ... Wenn aber Gott zu Worte kommt, so wird dadurch die ganze uns angehende Wirklichkeit neu zur Sprache gebracht."

Gott zur Sprache zu bringen, das bedeutet nicht einfach Interpretation und Auslegung der Schrift. Es bedeutet, in einer kühnen Umkehr, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass das Wort selbst den Hörer auslegt. Es spricht in die Situation, es öffnet auf die Grundsituation des Menschen vor Gott, es nimmt die ganze Wirklichkeit mit hinein.

"Sola scriptura", dieses reformatorische Prinzip der Konzentration auf Christus und die Schrift, ist auch Ebelings unerschütterliche Maxime. Er liest bei Luther aber auch ein anderes Prinzip: "Sola experientia facit theologum", erst die Erfahrung macht den Theologen. Das Wort muss das Gewissen treffen.

Glaube als Ernstfall

Gerhard Ebeling wurde 1912 in Steglitz (heute Berlin) geboren, studierte in Marburg, Zürich und Berlin und lernte im Predigerseminar Finkenwalde Dietrich Bonhoeffer kennen. Im Gespräch mit ihm erkannte er, welche Bewährung auf die Kirche zukommen würde. Bonhoeffer war es auch, der Ebeling zur Dissertation drängte und damit den Anstoß zu seiner akademischen Laufbahn gab. Ebeling schickte seine Dissertation Bonhoeffer ins Gefängnis. Eine Antwort erhielt er nicht mehr.

Die Begegnung mit Bonhoeffer, die Bewährungsprobe als Prediger der Bekennenden Kirche waren für Ebeling prägend. Auch für den Professor in Tübingen, dann in Zürich blieb der Glaube Ernstfall und Bewährung. Unbeirrbar unterschied er die Sache des Glaubens von den Moden ihrer Verbrämung.

Im Nachhinein könne er in seinem Leben eine Führung erkennen, sagte Gerhard Ebeling in einem Interview zum 85. Geburtstag. "Man hat sein Leben nicht selber in der Hand. Es wird einem geschenkt und wieder genommen. Solche elementaren Beobachtungen findet man schon in Luthers Werken, eine unerhörte Ansammlung von Grunderfahrungen menschlichen Lebens. Luther war ein Instrument Gottes, und wir sind es mit unseren Leben, jeder in seiner Weise, auch."

Ebelings Verweis auf Luther und mit ihm auf das Wort Gottes hat nichts an Aktualität verloren. Sein Werk wird über seinen Tod hinaus in Bewegung setzen, vielleicht neue Instrumente zum Klingen bringen. Als Hilfe für alle, die sich glaubend ins Tiefe wagen.

Der Autor ist Religionsjournalist im ORF-Fernsehen.

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