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Luther wieder spürbar machen

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Dietrich Bonhoeffer hatte den theologisch Begabten zur Dissertation gedrängt. Gerhard Ebeling wurde schließlich Professor für Fundamentaltheologie und Hermeneutik. Er gilt als einer der großen Theologen dieses Jahrhunderts.

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Dietrich Bonhoeffer hatte den theologisch Begabten zur Dissertation gedrängt. Gerhard Ebeling wurde schließlich Professor für Fundamentaltheologie und Hermeneutik. Er gilt als einer der großen Theologen dieses Jahrhunderts.

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Einem Professor, der vor der ehrenvollen Emeritierung steht, sieht man es nach, wenn er für die letzten Vorlesungen vor allem in alten Veröffentlichungen blättert, anstatt noch einmal einen großen Wurf zu wagen. Gerhard Ebeling aber, Professor für evangelische Fundamentaltheologie und Hermeneutik in Zürich, wollte es noch einmal wissen. Bevor er 1979 in den Ruhestand trat, begann er eine vier Semester dauernde Vorlesung über Dogmatik, in der er in einem kühnen Bogen das große Ganze des christlichen Glaubens noch einmal ausschritt - als „Haupternte meines Lebens mit der Theologie im kirchlichen Dienst und an der Universität”, wie er selber zu Protokoll gab. Das Ergebnis war eine dreibändige Dogmatik mit weit über 1.000 Seiten, die es zu einiger Berühmtheit gebracht hat und zu den Standardwerken evangelischer Theologie gehört.

Dennoch berichtete Ebeling später, er habe nach einer Japanreise die Lust verspürt, länger dort zu bleiben, um dann aus den neu gewonnenen Erfahrungen erneut eine Dogmatik zu schreiben, um sie „auf das Erlebte hin noch stärker zu präzisieren”. Schon im Vorwort der Dogmatik selbst hatte er angemerkt: „Ein Alleingeltungsan-spruch vergeht einem bei diesem Geschäft gründlich.” Das ist alles andere als Koketterie. Lebendigkeit und Erfahrungsnähe zeichnen das gesamte GLuvre des Zürcher Theologen aus.

Wesen des Glaubens

Dabei war die Dogmatik zunächst gar nicht Ebelings Profession. In einer, wie er es selbst nennt, „bewußten Entscheidung gegen meine systematischen Neigungen” hatte sich Ebeling zunächst der Kirchengeschichte zugewandt. Seine theologische Laufbahn begann in turbulenten Zeiten. Jetzt fürchtete er, er könnte - aus der Praxis kommend und von der Bekennenden Kirche geprägt - zu „spekulativen Kurzschlüssigkeiten verführt” werden und unterwarf sich deshalb der „strengen Disziplin der Historie”. 1912 in Steglitz (heute Berlin) geboren, studierte er 1930 bis 1935 in Marburg (unter anderem bei Rudolf Bultmann), Zürich und Berlin und übernahm dann Vikariate in Crossen und Fehrbellin.

Kein Geringerer als Dietrich Bonhoeffer drängte den begabten Prediger zur Dissertation. Ebeling verfaßte seine Doktorarbeit über „Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik”. Dem mittlerweile von der Gestapo verhafteten Bonhoeffer sandte er das Werk in die Zelle nach - ohne freilich noch eine Antwort zu erhalten.

Nach dem Krieg habilitierte sich Ebeling mit einer Arbeit über ein reformationsgeschichtliches Thema .und lehrte einige Jahre lang Kirchengeschichte in Tübingen, bis er einigermaßen spektakulär die Disziplin wechselte.

Ein zweisemestriges kirchengeschichtliches Seminar über Aristoteles und Luther firmierte im zweiten Teil plötzlich als Lehrveranstaltung aus Systematik. Eigentlich war dies kein Fachwechsel, sondern die „Erweiterung zur gesamttheologischen Aufgabe” , argumentierte er später. Dennoch war Ebeling mit diesem Schritt dorthin gelangt, wo er hingehörte: zur wissenschaftlichen Bemühung um das „Wesen des christlichen Glaubens” -so der Titel eines Furore machenden Büchleins. Im Rückblick wirkt es auch wie ein Versprechen, das mit der „Dogmatik” eingelöst wurde.

Der Lutherforscher

Ebeling hat sich zu vielen klingenden Namen geäußert: Augustinus, Thomas, Heidegger, Bultmann, Bonhoeffer und vielen anderen. Mit keinem aber hat er sich so intensiv auseinandergesetzt wie mit Martin Luther. Als langjähriger Herausgeber der „Zeitschrift für Theologie und Kirche” wie als Präsident der Gesellschaft für Lutherforschung befaßte er sich unermüdlich mit dem Werk des Reformators. Denn in ihm, dem religiösen Genie im Umbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit, sind Fragen nach dem Wesen von Glaube und Erlösung aufgebrochen, die bis heute nichts an Relevanz eingebüßt haben. ,

Dementsprechend wollte Ebeling in seinem Kampf gegen die zeitgenössische „Luthervergessenheit” nicht museale Restände bewahren, sondern den Pulsschlag in der Theologie Luthers spürbar machen. Letztlich geht es nicht um Luther, sondern mit Luther um die Grundlagen des christlichen Glaubens.

Um Gott, das Wort, um den Glauben, die Antwort. „Sola experientia fach theologum”, liest Ebeling bei Luther: Erst die Erfahrung macht den Theologen. Das Wort, um das sich die Theologie bemüht, kann erst wirksam werden, wenn es Person und Gewissen trifft. Glaube und Leben, Theologie und Kirche gehören zusammen.

Atem des Predigers

Im Denken Luthers findet Gerhard Ebeling viele Begriffspaare, die einander antithetisch ergänzen: Gesetz und Evangelium, Geist und Buchstabe, verborgener und offenbarer Gott, Schrift und Erfahrung, ... Das sind nun alles keine Begriffspaare, die Widersprüche markieren. Vielmehr treiben sie das Denken voran, halten es in Spannung und erleichtern einen ständigen Bückbezug theologischer Erwägungen auf die erfahrbare Alltagswirklichkeit.

So ist in den theologischen Schriften Ebelings immer auch der Atem des Predigers zu spüren, der das Wort Gottes selbst verantwortet, indem er es in die Situation der Hörer hineinspricht und so ihre „Grundsituation” zur Sprache bringt: die Situation des Gewissens vor Gott. Ein „Sprachereignis” nennt Ebeling Luther, weil er zur Sprache gebracht habe, was an der Zeit war. Dasselbe läßt sich von der Theologie seines großen Interpreten sagen. Ebeling bemüht sich dabei um eine präzise und verständliche Sprache.

Redlich ökumenisch

In den letzten Jahren seiner Lehrtätigkeit in Zürich war Gerhard Ebeling Vorstand eines extra für ihn geschaffenen Lehrstuhls für „Fundamentaltheologie und Hermeneutik”. Den typisch katholischen Begriff einer „Fundamentaltheologie” reklamierte er auch für die evangelische Kirche - wenn auch nicht als Apologetik, sondern als Besinnung auf Fundament und Aufgabe der Theologie. Diese terminologische Annäherung an katholische Praxis ist freilich nicht der Grund, aus dem die Bücher Ebelings längst auch jenseits des konfessionellen Grabens, in der katholischen Kirche, mit Aufmerksamkeit gelesen und rezipiert werden.

Ebeling selbst zeigte sich darüber bisweilen im selben Maße erfreut wie erstaunt. Denn er ist ganz bestimmt nicht für eine augenzwinkernde Ökumene zu haben, die sich nicht in die Tiefe der Auseinandersetzungen wagt, um einen oberflächlichen Burgfrieden zu bewahren. Schon 1967 warnte er vor solch allzu raschem Brückenschlag: „Die echte ökumenische Chance wird heute in alarmierender Weise überall da verpaßt, wo Verständigung betrieben wird ohne Verstehen der Tiefe des Gegensatzes und wodas Interesse an der Einheit die Wahrheitsfrage überspielt.” An der Reformation vorbei ist für Ebeling keine Ökumene zu gewinnen. Denn nirgendwo sonst in der Kirchengeschichte habe sich die Frage so zentral gestellt, die es immer noch und immer wieder zu beantworten gilt: was das Wesen und das Unwesen des christlichen Glaubens ist, und wie der Mensch vor Gott steht.

Seit 1979 ist Gerhard Ebeling im „Ruhestand”, aber trotz seines Alters sind seine Nachdenklichkeit und seine Schaffenskraft ungebrochen. „Luthers Seelsörge” heißt ein in diesem Jahr erschienenes Buch. Es soll, sagt er, sein letztes sein. Trotzdem denkt er nicht daran, die theologische Arbeit einzustellen. Gegenwärtig arbeitet er an einem Vortrag. Das Thema? Erraten, Luther. Noch immer und immer wieder Luther? „Es hat sich so ergeben”, sagt er und lächelt.

Es hat sich so ergeben.

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