Märtyrer ihres Glaubens

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Vor 600 Jahren wurden in Steyr achtzig Waldenser als Ketzer verbrannt. Eine Spurensuche zurück zur "ersten Reformation" in Österreich.

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Vor 600 Jahren wurden in Steyr achtzig Waldenser als Ketzer verbrannt. Eine Spurensuche zurück zur "ersten Reformation" in Österreich.

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Als der protestantische Prediger Michael Stiefel im Jahr 1522 Einsicht in die Inquisitionsakten des Benediktinerstiftes Garsten nahm, stellte er fest, daß die Waldenser bereits 125 Jahre zuvor unterrichtet hätten, was nun die neue Lehre sei. Heute unternimmt es die evangelische Gemeinde in Steyr, ihrer Vorfahren aus der sogenannten "ersten Reformation" zu gedenken. Eine Stiftung ermöglichte die Enthüllung eines "Mahnmals gegen Haß und Intoleranz".

Die beiden Bronzefiguren beim Schloß Lamberg, geschaffen vom Steyrer Künstler Gerald Brandstötter, erinnern an die Ketzerverbrennungen von 1397 und 1398 (siehe Abbildung rechts). Vor genau 600 Jahren wurden mehrere hundert Personen vor das Inquisitionstribunal gestellt, etwa achtzig von ihnen zum Tod verurteilt.

Endzeit-Prediger Die Erneuerungsbewegung der Waldenser verdankt ihren Namen einem Kaufmann aus Lyon. Um 1170, eine Generation vor Franz von Assisi, faßte Waldus den Entschluß, seinen Reichtum zu verteilen und als Laienprediger durchs Land zu ziehen. Dazu ließ er die Bibel in die Volkssprache übersetzen. Als Zeichen der herangebrochenen Endzeit waren bei den Waldensern Frauen und Männer in Liturgie und Verkündigung gleichgestellt. Dem herrschenden Lehenssystem entzogen sie die Loyalität, indem sie den Eid verweigerten. Gewalt und den Gebrauch von Waffen lehnten sie ab. Auch leugneten sie die Existenz des Fegefeuers und damit den Nutzen von Opfern und Gebeten für die armen Seelen.

Auf der Grundlage ihres intensiven Bibelstudiums verwarfen die "Armen von Lyon" alle kirchlichen Einrichtungen, die nicht durch die Heilige Schrift sanktioniert waren. So glaubten sie auch nicht, daß der Papst auf Erden die gleiche Autorität wie Petrus besitze. So wurden sie zur Zielscheibe der Inquisition, weil sie selbstverständlich in Anspruch nahmen, auch ohne Beauftragung durch das Lehramt predigend durchs Land zu ziehen.

In Okzitanien (Südfrankreich) und in den Städten Oberitaliens fand das Gedankengut schnelle Verbreitung, und schon bald im 13. Jahrhundert lassen sich Waldenser auch nördlich der Alpen nachweisen. 1266 lokalisiert ein Kleriker aus Passau waldensische Häretiker an 42 Orten zwischen Wien und dem Salzkammergut. In und um Steyr waren ihre Gemeinschaften über mehrere Generationen hinweg bis zu ihrer gewaltsamen Auslöschung um 1400 aktiv.

Maßvoll & besonnen Der zeitgenössische Passauer Kleriker identifiziert die Ketzer überraschend sachlich als die tugendsamsten Menschen im Land. "Häretiker erkennt man an ihrem Verhalten und ihren Reden. Sie sind leidenschaftslos und besonnen. Sie treiben keinen übertriebenen Aufwand mit ihrer Kleidung und meiden extravagante oder gemeine Kleider. Sie treiben keinen Handel, um nicht lügen, schwören oder betrügen zu müssen. Sie leben einzig von ihrer Hände Arbeit als Handwerker. Auch ihre Lehrer sind Weber und Schuhmacher. Reichtümer häufen sie nicht an; sie begnügen sich mit dem Notwendigsten. Außerordentlich sittenrein leben sie. Sie halten Maß beim Essen und Trinken. Sie besuchen keine Wirtshäuser, Tanzvergnügen oder andere fragwürdige Veranstaltungen. Sie bezähmen ihren Zorn. Sie sagen nicht ,ehrlich' oder ,ganz gewiß' und ähnliches, weil sie solche Bestätigungen wie einen Eid ansehen."

Vor allem bei Handwerkern und Bauern fand waldensisches Gedankengut fruchtbare Aufnahme. Die Lehren über die Wiederherstellung der urchristlichen, einfachen Kirchenverfassung verbanden sich mit Ideen der kleinbürgerlichen Opposition: Der Klerus sollte durch Verweigerung des Zehnten und Einziehung des weltlichen Besitzes zu Taglöhnerarbeit gezwungen werden. Kennzeichnend für die volkstümliche Ketzerei des Spätmittelalters ist jedoch, daß trotz radikaler Ablehnung bestehender Einrichtungen kein Aufruf zur aktiven Veränderung erfolgte.

Mehrmals im 14. Jahrhundert macht die Inquisition in Steyr Station. Seit 1391 führt der Cölestinermönch Petrus Zwicker im Auftrag des Passauer Bischofs die Untersuchungen.

Die Witwe Els Feur ist eine, die sich vor ihm zu verantworten hat. Sie ist sechzig Jahre alt und gibt an, seit ihrer Geburt Waldenserin gewesen zu sein. Sie mußte zunächst ein öffentliches Schuldbekenntnis ablegen und um Wiederaufnahme in die katholische Kirche flehen. Dann mußte sie schwören, niemals mehr zu den "waldenser chetzern" zu gehen, ihre Lehre zu hören oder bei ihnen die Beichte abzulegen, sondern sie dem Ortspfarrer zu melden. Auch mußte sie sich bereit erklären, die "pein des fewrs" zu erleiden, falls sie rückfällig werden sollte. Nach diesem Eid der Angeklagten folgte die Lossprechung.

Els Feur wurde verurteilt, auf Lebenszeit das Bußkreuz auf ihrem Gewand zu tragen. An sieben Sonntagen mußte sie zudem einen Rundgang um die Pfarrkirche machen, während dem sie vom Pfarrer mit Ruten kräftig geschlagen wurde.

Vor und nach der Messe mußte sie sich rücklings auf die Schwelle des Gotteshauses legen und sich von den Ein- und Ausgehenden treten lassen.

Das letzte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts war in Steyr von religiösen Unruhen begleitet. Am Stadtpfarrhof wird Feuer gelegt, eines Tages stecken ein verbrannter Pflock und ein blutbeflecktes Messer an den Toren. Els Feur steht wieder vor dem Inquisitor: Sie gibt freimütig zu Protokoll, daß sie der Widerruf vor sechs Jahren reute und wird dem weltlichen Gericht übergeben. Die Scheiterhaufen von 1397 und 1398 im Kraxental, das zwischen Steyr und Garsten (siehe Abbildung oben) liegt, bedeuteten das Ende des waldensischen Aufbruchs in Steyr. In Wien, in Böhmen und Mähren finden sich jedoch Nachrichten über Waldenser bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts.

In einigen Seitentälern Piemonts konnten waldensische Gemeinden ihr Bekenntnis bis in die Gegenwart bewahren. Im 16. Jahrhundert schlossen sie sich der Genfer Reformation an. Mit rund 20.000 Mitgliedern sind die Waldenser heute die größte evangelische Kirche Italiens und sind in Union mit der methodistischen Kirche verbunden. Auswanderer gründeten zu Beginn dieses Jahrhunderts waldensische Gemeinden in Uruguay.

Gedenken Die Erinnerung an die mittelalterlichen Waldenser war in Steyr nie ganz vergessen. Auf dem Stadtplatz, wo heute das Bummerlhaus steht, soll sich, so die Überlieferung, eine "Schule" der Waldenser befunden haben. In der Zwischenkriegszeit benützten die Freidenker die Ketzertraditionen, um sich in deren geschichtliche Linie zu stellen.

Friedenswerkstatt und evangelische Gemeinden in Steyr nahmen in diesem Jahrzehnt Kontakt mit der theologischen Waldenserfakultät in Rom auf, um mehr über das heutige Leben dieser Kirche zu erfahren. Doch auch die katholische Kirche unterstützt das Gedenken: Das neu errichtete Waldenserdenkmal wurde ökumenisch gesegnet, und der Linzer Diözesanbischof Maximilian Aichern nannte die Waldenser "Märtyrer ihres christlichen Glaubens".

Der Autor, promovierter Theologe, leitet in Wien das christlich-jüdische Informationszentrum.

Symposion: Die kleinen Leute und ihr Gott Internationale Tagung, bei der theologische und sozialethische Impulse der Waldenser vom Mittelalter bis zur Gegenwart thematisiert werden.

Ort: Museum Arbeitswelt / Steyr Zeit: 24. bis 26. September 1998 Infos, Programm, Anmeldung: Evangelische Akademie Wien, Tel. 01/4080695-0, Fax Dw. 33

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