"Man gilt sofort als Nestbeschmutzer"

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Der Arzt Norbert Pateisky möchte für den Gesundheitsbereich nationale Leitlinien erarbeiten, um die Transparenz für Patienten zu verbessern.

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Der Arzt Norbert Pateisky möchte für den Gesundheitsbereich nationale Leitlinien erarbeiten, um die Transparenz für Patienten zu verbessern.

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dieFurche: Sie setzen sich als Arzt engagiert für mehr patientenorientierte Qualität im Gesundheitsbereich ein. Was sind Ihre Motivationsgründe dafür?

Norbert Pateisky: Ich arbeite als klinischer Arzt und erlebe täglich, wie schwierig es ist, Verbesserungen durchzusetzen. Dazu kommt, daß man für aktive Arbeit im Bereich medizinische Qualität eher mit Bestrafung als Belohnung rechnen muß. Prinzipiell muß man sagen, daß sich Qualität nicht anordnen läßt. Kein Gesetz der Welt kann bewirken, daß Qualitätsmanagement von heute auf morgen akzeptiert wird, zur Anwendung kommt und funktioniert.

dieFurche: Wie kann man dann im Gesundheitsbereich die Situation für Patienten qualitativ verbessern?

Pateisky: Das Schlüsselwort heißt hier Anreizsysteme. Es passiert nichts, ohne daß ein Anreiz da ist. Denken Sie beispielsweise an das "Leistungsorientierte Krankenhaus-Finanzierungssystem" (LKF), das seit einiger Zeit in Österreich gehandhabt wird. Hier werden teilweise Anreize gesetzt, die schlechter Qualität Vorschub leisten. Ein Beispiel aus dem Fachbereich Gynäkologie: Wird eine Patientin mit einer Eierstockzyste mittels lapraskopischer Operationsmethode (kleine Einstiche im Bauch) behandelt, so kann die Patientin nach drei bis vier Tagen nach Hause gehen und ist in kürzester Zeit wieder arbeitsfähig. Operiert man mittels Bauchschnitt, wie früher üblich und notwendig, bedeutet das einen wesentlich längeren Krankenhausaufenthalt, bei ungleich höherer Belastung für die betroffene Patientin mit einem im Schnitt sechswöchigen Krankenstand danach. Das LKF sieht aber vor, daß das Spital für die schonende neue Operationsmethode wesentlich weniger Geld bekommt als für die Operation mittels Bauchschnitt. Hier ist eindeutig ein Anreiz gesetzt, etwas anderes zu tun, als es das Beste für den Patienten wäre.

dieFurche: Welche Probleme gibt es noch in der Praxis?

Pateisky: Ein weiteres Beispiel betrifft die Anschaffung neuer Geräte für ein Spital. Die beste Argumentationslinie ist dann zu sagen: ich habe letztes Jahr so viele Menschen mit diesem Gerät untersucht, daß ich diese Frequenz damit nicht mehr bewältige. Ich brauche unbedingt ein zweites, um meine Arbeit fortsetzen zu können. Niemand wird sie fragen, ob alle Untersuchungen überhaupt notwendig waren. Auch ist es absolut unüblich der Frage nachzugehen, wie gut Untersuchungen durchgeführt wurden und wie aussagekräftig die erhobenen Befunde waren. In manchen Fällen erleben Patienten durch unnötige Untersuchungen Komplikationen, die nie aufgetreten wären, hätte man diese Untersuchung nicht durchgeführt. Im angloamerikanischen Sprachraum gibt es dafür den Begriff der "adverse effects". Damit werden all jene Komplikationen bezeichnet, die im Rahmen "unnotwendiger" medizinischer "Leistungen" entstehen. Todesfälle kommen hier durchaus auch vor.

dieFurche: Wie sieht die Situation in den Arztpraxen aus?

Pateisky: Auch in den Arztpraxen steht es schlecht um sinnvolle Anreizsysteme. Natürlich wollen und müssen auch Mediziner wirtschaftlich erfolgreich sein. Um das zu erreichen, muß er nach den derzeitig geltenden Regeln möglichst viel untersuchen und behandeln. Er bekommt umso mehr bezahlt, je mehr Leistungen er ankreuzen kann. Das heißt: je kränker der Patient, umso besser für den Umsatz.

Faustregel für guten Verdienst ist, möglichst viele Diagnosen, möglichst viele Blutabnahmen, Injektionen, Zusatzuntersuchungen, Kontrollen und ähnliches durchzuführen. Gute persönliche Beratung wird hier praktisch nicht honoriert. Auch hier heißt es also: mehr ist besser als gut. Das zieht sich durch das gesamte System.

dieFurche: Geschieht punkto bessere patientenorientierte Qualität in der Medizin an den Universitäten und in der Ausbildung etwas?

Pateisky: An den Universitäten gibt es ebenfalls kaum Anreize, sich ehrlich um Qualität zu kümmern. Wenn ein Jungarzt eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, muß er sich seine Daseinsberechtigung in Form von Publikationen erarbeiten. Bemüht er sich um patientenorientierte Qualität, ist das nett, aber er muß nach einigen Jahren die Universität verlassen, weil die entsprechende Zahl von Publikationen fehlt. Gehen wir noch weiter nach hinten. Wie spielt sich das bei den Studenten ab? Welchen Grund hätte ein Student, sich mit Qualität professionell zu beschäftigen? Kurz gesagt: keinen. Der Student möchte schnell fertig werden. Da unser Prüfungswesen so organisiert ist, daß in erster Linie das tabellarische Wissen abgefragt wird, wird auch nur solches gelernt. Selbst wenn sich ein Student mit Qualität beschäftigen möchte, gibt es für ihn keine Ausbildungsangebote.

dieFurche: Wenn die Vorstellung von Qualitätsmanagement bei uns noch nicht verankert ist, wie reagieren Ihre Kollegen dann auf diese Neuerung?

Pateisky: Natürlich ist, wie überall, wenn etwas Neues eingeführt werden soll, Widerstand da. Wir Ärzte haben in erster Linie Angst, daß die Methoden der Qualitätssicherung nicht dazu verwendet werden, die Qualität zu verbessern, sondern um Ärzte zu kontrollieren. Weiters besteht die Furcht, daß die Freiheit ärztlichen Handelns eingeschränkt wird. Ein anderes, ganz wesentliches Problem stellt im Rahmen der Qualitätsverbesserung das Suchen und Eingestehen von Fehlern dar. Erst wenn es ohne persönliche Schuldzuweisung möglich ist, Fehler aufzudecken, können die wirklichen Fehlerursachen mit Hilfe professioneller Instrumente gefunden und beseitigt werden. Unter Qualitätssicherungsprofis gilt daher der Satz: "Jeder Fehler ist ein ungehobener Schatz."

dieFurche: Also wollen Sie Qualitätsmanagement auch mittels Fehlersuche vorantreiben?

Pateisky: In vielen privaten Dienstleistungsbetrieben beschäftigt man sich mit nichts anderem als mit der Fehlersuche. Dadurch wird man besser als die Konkurrenz. In der Medizin bin ich jedoch immer mit dem Satz konfrontiert: "Naja, das stimmt schon, aber in der Medizin ist ja eigentlich alles ganz anders." Das ist bewiesenermaßen falsch. Ein großangelegter Bericht aus den USA hat private Dienstleistungs- und Produktionsbetriebe mit der Medizin verglichen.

Das Ergebnis war einfach und beeindruckend: Erstens ein Vergleich ist durchaus zulässig und zweitens professionelle Qualitätsverbesserungsmethoden funktionieren auch im Gesundheitswesen. Drei Unterschiede - die allerdings dem Gesundheitswesen nicht schmeicheln - wurden auch herausgearbeitet. Es wurde klar festgestellt, daß Mediziner sehr viele Dingen tun, die keine bewiesene Beziehung zwischen angewandter Methode und Behandlungserfolg aufweisen. Etwas provokant ausgedrückt heißt das: wenn jemand mit Grippe, die er bereits fünf Tage hat, zum Arzt kommt, dann kann ich ihm so ziemlich alles geben - in zwei bis vier Tagen wird er gesund sein. Niemand kann beweisen, ob das eingenommene Medikament irgend etwas zur Heilung beigetragen hat oder nicht. Ein zweiter Kritikpunkt der Studie ist, daß Patienten oft nicht zwischen guter und schlechter Behandlung unterscheiden können. Sie können beurteilen, wie freundlich die Ärzte und Pfleger und wie gut die administrativen Abläufe sind. Patienten können auch sehen, ob die Narbe nach einer Operation am Bauch gut oder schlecht verheilt ist. Wie es aber im Bauch aussieht, das können sie nicht wissen. Da sind gute Informationssysteme notwendig. Bei uns ist in diesem Bereich noch sehr, sehr viel zu tun, und darum möchte ich mich kümmern.

dieFurche: Wie wollen Sie als ausgebildeter Qualitätsmanager Änderungen durchsetzen?

Pateisky: Ich möchte mich beispielsweise bemühen, mit Hilfe unserer Fachgesellschaft, der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, deren Präsident ich ab Jänner 2000 sein werde, die Entwicklung nationaler Leitlinien voranzutreiben. Es sind dies Handlungsempfehlungen für typische Krankheitsbilder unter Einbeziehung des besten verfügbaren Wissens. Es soll dabei auch jeweils patientenverständliche Versionen geben, die ein Miteinander erleichtern. Üblicherweise lassen sich dadurch 80 Prozent aller Probleme abdecken.

dieFurche: Warum sind solche Leitlinien überhaupt notwendig?

Pateisky: Das dahinterstehende Problem ist, daß es für ein und dieselbe Krankheit viele unterschiedliche Behandlungsmethoden gibt. Da schwanken dann auch die Ergebnisse beträchtlich, wie wir aus einschlägigen Untersuchungen wissen. Aber selbst wenn es so wäre, daß die Heilungschancen bei den verschiedenen Behandlungsmethoden gleich hoch sind, dann müßte der Arzt doch jene nehmen, die am schonendsten für den Patienten ist. Oder es sind alle gleich effektiv, dann müßte er die nehmen, die am billigsten ist. Wir haben genügend Bereiche in der Medizin, wo Geld eigentlich hinausgeschmissen wird - Geld, das dann dort abgeht, wo es gebraucht wird. Genau deshalb brauchen wir Leitlinien, die uns richtiges und ökonomisches Handeln erleichtern. Auch bei der Frage "Was ist eigentlich ein gutes Ergebnis?" braucht man Standards. Der Erfolg in der Medizin ist nicht einfach zu beurteilen. Wer aber versucht hier Fehler aufzudecken, um sie beseitigen zu können, wird als Nestbeschmutzer beschimpft.

Redaktionelle Gestaltung: Monika Kunit.

ZUR PERSON Qualitätsmanager Universitätsprofessor Norbert Pateisky beschäftigt sich seit 1990 intensiv mit Qualitätsmanagement und Organisationsentwicklung. Der Gynäkologe ist neben seiner ärztlichen Tätigkeit in der Universitäts-Frauenklinik Wien geprüfter "Qualitätsmanager im Gesundheitswesen" und in dieser Funktion auch als Mitglied der Qualitätssicherungskommission des Wiener AKH tätig. Zusätzlich ist Norbert Pateisky designierter Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. kun.

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