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Manager statt Seelsorger

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Parallel zur Überalterung der Priester steigen die pastoralen Engpässe. Bereits jede vierte Pfarre ist verwaist.

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Parallel zur Überalterung der Priester steigen die pastoralen Engpässe. Bereits jede vierte Pfarre ist verwaist.

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Wer ihn kennt, weiß um seine Begeisterung für das Bergsteigen. Andreas Lechner ist 27 Jahre alt und wurde am vergangenen Sonntag im Grazer Dom zum Priester geweiht. Gemeinsam mit vier anderen Kandidaten lag er als Zeichen der Lebenshingabe flach auf dem Boden zu den Füßen des Altars, bevor er Segen und Weihe empfing. Was bringt den jungen Mann dazu, auf Frau und Familie zu verzichten und sich ganz in den Dienst Gottes zu stellen?

Andreas ist sich bewußt, daß der Priesterberuf risikoreich ist. Er vergleicht seine Berufung mit dem Bergsteigen. Jede Bergtour, so der Neupriester, lebe von einem Ziel. „Auch unser Leben kennt ein Ziel, das wir Gemeinschaft mit Gott oder Himmel nennen. Der Weg dorthin verläuft nicht immer gerade, sondern ist oft abwechslungsreich und spannend”, betonter. Ähnlich wie bei einer Wanderung sei man auf dem Weg zu Gott auf Wegweiser angewiesen. „Und so ein Wegweiser zu Gott möchte ich als Priester sein.” Wie es unverantwortlich wäre, untrainiert auf einen hohen Berg steigen zu wollen, genauso unverantwortlich wäre es, völlig unvorbereitet bei der Weihe „Ich bin bereit” zu sagen. Andreas hat sich lange auf den Priesterberuf vorbereitet. Bereits als Ministrant wuchs in ihm der Wunsch, sein Leben in den Dienst des Evangeliums zu stellen. Während des Theologiestudiums und des Pastoralpraktikums hatte er viel Zeit, seinen „geistlichen Rucksack” zu packen. Nun freue er sich schon darauf, diesen zu öffnen und „in die große Route Gottes mit uns Menschen einzusteigen. Auf die erste Seillänge als Kaplan bin ich schon sehr gespannt”, versichert der Neupriester.

Andreas ist einer der 56 Kandidaten (davon 26 Weltpriester), die heuer in Österreich die Weihe empfangen. Spitzenreiter unter den Diözesen sind die Erzdiözese Wien und die Diözese Graz-Seckau mit jeweils fünf Klerikern. Verwirrung über die Zahl herrschte in der Diözese St. Pölten. Am 15. Mai veröffentlichte das unter der Verantwortung von Generalvikar Weihbischof Heinrich Fasching und dem Ordinariatskanzler stehende amtliche Diözesanblatt die Namen von vier Männern, die am 29. Juni geweiht werden sollen. Auch der Regens des St. Pöltner Priesterseminars, Franz Schrittwieser, wußte nur von vier Kandidaten. Zur großen Überraschung meldete das Sekretariat von Rischof Kurt Krenn am 25. Mai, es gebe heuer acht Neupriester. Hinzugekommen sind, wie erst vor kurzem bekannt wurde, Mitglieder der von Krenn geförderten traditionalistischen „Gemeinschaft vom heiligen Josef” in Kleinhain.

Die in diesem Jahr geweihten Kleriker sind nur ein kleiner Tropfen auf dem sprichwörtlich heißen Stein. Der Rückgang der Berufungen ist alarmierend. Gab es 1985 österreichweit noch 422 Seminaristen, so ist ihre Anzahl inzwischen auf 221 gesunken. Auch das vom Canisiuswerk, dem Zentrum für geistliche Berufe, geleitete Seminar für Spätberufene in Horn weist einen Rückgang auf. Nur 38 der 100 Plätze sind belegt. Verzeichnete man vor zehn Jahren in ganz Österreich 5.100 Geistliche, waren es 1995 nur mehr 4.500. Im vergangenen Jahr standen 120 Todesfälle 64 Weihen gegenüber. Diese Entwicklung schlägt sich in der Statistik über die Altersstruktur der Kleriker nieder - so schwer sie zu erstellen ist, , da man Welt- und Ordenspriester sowie Aktive und Pensionisten sorgfältig unterscheiden muß. Die der FURCHE von den Diözesen Eisenstadt,

Graz, Innsbruck, Klagenfurt und Linz zur Verfügung gestellten Daten unterscheiden sich nur um wenige Prozentpunkte. Repräsentativ für alle fünf Diözesen (und damit wahrscheinlich für ganz Österreich) ist die Statisik der Diözese Linz (siehe Graphik), wo der Altersdurchschnitt der Weltpriester bei 59 Jahren liegt.

Parallel zur Überalterung steigen die pastoralen Engpässe. Standen einst für eine mehrere tausend Menschen umfassende Großstadtgemeinde bis zu drei Geistliche zur Verfügung, so ist es heute nichts Ungewöhnliches, wenn ein Pfarrer für diese alleine zuständig ist. Kleinere Gemeinden müssen überhaupt auf einen eigenen Priester verzichten. Eine FURCHE-Umfrage ergab, daß bereits 799 der 3.063 Pfarren verwaist sind (siehe Tabelle). Sie werden entweder vom Nachbarpfarrer mitbetreut oder in Pfarrverbände eingegliedert, in denen mehrere Priester eine bestimmte Anzahl von Gemeinden zu „versorgen” haben.

Vor Ort sind Laien, je nach Bedarf hauptamtlich oder ehrenamtlich, tätig. Sie übernehmen meist die Gemeindeleitung sowohl in der Verwaltung als auch in der Seelsorge, erleben aber ihre Grenzen in der Liturgie und bei sakramentalen Handlungen, die nach wie vor dem Priester vorbehalten bleiben. Die Gefahr ist groß, daß dann die Rolle des Geistlichen im Sinne eines Managers oder „Kultbeamten” bloß auf das Feiern der Sakramente und die Koordination der Pastoral für die Gemeinden, für die er die letzte Verantwortung trägt, zusammenschrumpft. Es verwundert nicht, wenn der stellvertretende Präsident des Canisiuswerkes, Franz Gra-benwöger, den Zeitmangel noch vor dem Zölibat als Hauptproblem der Kleriker nennt.

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