Marcellus Benedictus

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Warum eigentlich strebt der Papst nur nach Versöhnung mit den Reaktionären, sendet bloß Signale in Richtung der Ultratraditionalisten? Das verträgt sich schlecht mit der von Benedikt so betonten Synthese von Denken und Glauben.

Papst Benedikt XVI. hat in seinem knapp vierjährigen Pontifikat etliche leise, aber nicht minder deutliche Akzente gesetzt. Leitend dürfte dabei in allem das Bestreben gewesen sein, das Christentum im religiös weitgehend indifferent gewordenen Europa wieder als geistige Kraft zu etablieren, europäische Vernunft und christlichen Glauben wieder zusammenzuführen und aufzuzeigen, dass aus dieser Synthese ein vielfach müde und "alt" gewordener Kontinent neues Selbstbewusstsein schöpfen und seine Vitalität wieder erlangen könnte.

Vor dem Hintergrund der Kirchengeschichte empfiehlt es sich freilich, bei solchem Unterfangen genau hinzusehen. Ein Monopol auf Glaubens-, Welt- und Lebensdeutung wird und soll es nicht mehr geben. Die Kirche kann ihrem Selbstverständnis nach zwar nicht auf den universalen Geltungsanspruch ihrer Botschaft, des Evangeliums, verzichten; wohl aber muss sie diesen als eine Stimme unter vielen in den öffentlichen Diskurs einbringen, sich also als Teil einer pluralistischen Gesellschaftsordnung verstehen und behaupten.

Autonomie von Vernunft und Gewissen

Die entscheidende Grundlage dessen bilden die Anerkennung der Autonomie der menschlichen Vernunft und der Respekt vor der Würde des Gewissens. Dorthin zu gelangen, war für die Kirche ein mühevoller, langer und schmerzlicher Prozess. Historische Manifestation dieses Wandels und gleichzeitig kräftiger Impuls für dessen Fortschreibung war das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65). Seit damals ist die Kirche im Begriff, sich mit der Moderne auszusöhnen, deren Entwicklungen nicht mehr bloß defensiv ("antimodernistisch") zu begegnen. Schlüsseldokumente des Konzils in diesem Sinne sind vor allem die "Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" (insbesondere dem Judentum!) und die "Erklärung über die Religionsfreiheit" sowie die "Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute".

Mit dem Geist der Öffnung und Neuerung, der aus diesen Texten weht, hatten konservative Bischöfe, Priester und Laien seit jeher ihre liebe Not. Sie fürchteten Preisgabe der Identität, Anpassung an den Zeitgeist, Verwechselbarkeit und dergleichen mehr. Die Speerspitze der Fundamentalopposition gegen das II. Vaticanum bildet freilich die 1970 gegründete "Priesterbruderschaft St. Pius X." (Papst Pius X. erließ 1910 den Antimodernisteneid) des 1991 verstorbenen Erzbischofs Marcel Lefebvre. Eine unerlaubte Weihe von vier Priestern zu Bischöfen durch Lefebvre nahm Rom 1988 schließlich zum Anlass, hier eine klare Trennlinie zu ziehen und die Exkommunikation auszusprechen. Neben vielen Abgrenzungen gegenüber reformorientierten Theologen und Gruppierungen konnte man darin ein deutliches Signal erblicken, dass der Vatikan immerhin auch in der bloßen Zementierung und Glorifizierung der Vergangenheit kein taugliches Konzept für die Zukunft sieht.

Wie soll eine Einigung möglich sein?

Mit der Aufhebung der Exkommunikation der vier lefebvrianischen Bischöfe hat Benedikt XVI. diese Trennlinie nun verwischt. Man mag darin, wie der Kirchenrechtler Stephan Haering, "Taktik" erkennen: Nun, da sie wieder in Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl stünden, müssten die Lefebvrianer anerkennen, dass das Ernennungsrecht für Bischöfe beim Papst liege, dieser könne so die künftige Richtung der Bruderschaft bestimmen. Aber wie soll es Einigung über die "künftige Richtung" geben, wenn Bischof Bernard Fellay, der Generalobere der Bruderschaft, an den zuständigen Kurienkardinal geschrieben hat, er sei "bereit, mit unserem Blut … den Antimodernisteneid zu unterzeichnen", möchte aber "hinsichtlich des Zweiten Vaticanums … Vorbehalte zum Ausdruck bringen"?

Dass aufgrund der Tatsache, dass einer der vier Bischöfe den Holocaust leugnet, das ohnedies fragile Verhältnis zum Judentum belastet wurde (s. S. 19), stellt - so schmerzlich dies ist - nicht einmal das Hauptproblem dar. Die Sorge gilt vielmehr tatsächlich der "künftigen Richtung" der Kirche als Ganzer.

rudolf.mitloehner@furche.at

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