"Maria macht das Beten einfacher"

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Am 13. Mai, dem 83. Jahrestag der ersten Marienerscheinungen in Fatima und dem 19. Jahrestag des Papst-Attentates in Rom, sprach Johannes Paul II. zwei der drei Seherkinder selig. Und er lüftete das "dritte Geheimnis" von Fatima.

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Am 13. Mai, dem 83. Jahrestag der ersten Marienerscheinungen in Fatima und dem 19. Jahrestag des Papst-Attentates in Rom, sprach Johannes Paul II. zwei der drei Seherkinder selig. Und er lüftete das "dritte Geheimnis" von Fatima.

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Ein weiß gekleideter Bischof fällt, von Schüssen getroffen, wie tot zu Boden." Seit Samstag ist ein Teil des "dritten Geheimnisses" von Fatima, jahrzehntelang geheimgehalten und sagenumwoben, bekannt. Wie Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano am Ende des Seligsprechungsgottesdienstes für die zwei Seherkinder in Fatima ankündigte, soll der Wortlaut der Botschaft demnächst veröffentlicht werden. Im Mittelpunkt dieser Botschaft stehe, so der Kardinal, der Kampf des Atheismus gegen die Kirche im letzten Jahrhundert. Der weiß gekleidete Bischof - das habe auch Schwester Lucia, die noch lebende Seherin, bestätigt - sei der Papst.

Tatsächlich versuchte am 13. Mai 1981 der Türke Ali Agca aus bisher ungeklärten Gründen Papst Johannes Paul II. zu ermorden. Die Kugel verfehlte dessen Hauptschlagader um Millimeterbreite. Der Papst ist davon überzeugt, dass er sein Leben der Fürbitte der Muttergottes aus Fatima verdankt - zumal sich die erste von sechs Marienerscheinungen im kleinen portugiesischen Dorf Fatima ebenfalls an einem 13. Mai ereignete. 1917 war die Gottesmutter drei Hirtenkindern erschienen und bat sie, die Menschen an Buße und Umkehr zu erinnern.

Wenn Gott zu hoch ist...

Zufälligkeit oder Schicksalhaftigkeit dieser Ereignisse, zumindest aus päpstlicher Sicht, machen es also nicht weiter erstaunlich, dass der alte und kranke Papst seinen Dank dadurch zum Ausdruck bringen will, dass er zwei der drei Hirtenkinder - selbstverständlich am 13. Mai - selig gesprochen hat.

Francisco (1908-19) und Jacinta Marto (1910-20) sind damit die jüngsten seligen Nicht-Märtyrer der katholischen Kirche. Ihre Kusine Lucia, heute 93 Jahre alt und jene Nonne, die die Ereignisse von damals aufgeschrieben und Papst Pius XII. überreicht hat, lebt noch, konnte also (noch) nicht selig gesprochen werden.

Eine biographisch verständliche, aber dennoch letztlich private Angelegenheit des Papstes? Zudem kirchenpolitische Stärkung der Anhänger der in der Kirche nicht unumstrittenen Marienfrömmigkeit? Oder kann diese Seligsprechung auch für Christen etwas bedeuten, die Marienerscheinungen skeptisch gegenüberstehen?

Vorweg: Francisco und Jacinta wurden nicht wegen der Marienerscheinungen selig gesprochen, sondern weil sie ein tugendhaftes Leben geführt haben, das sich vor allem durch tiefen Glauben an Christus und Vertrauen in Maria auszeichnete. Marienfrömmigkeit liegt dem derzeitigen Papst besonders am Herzen - die dritte Botschaft macht dies verständlicher. Aber wozu verehren andere Menschen Maria?

"Das Gebet zu Maria ist vor allem für die wichtig, denen Gott zu hoch ist!" erklärt Pater Josef Maresch. Maresch ist Pfarrer der Mostviertler Gemeinde Vestenthal, seit 1968 österreichische Fatima-Dependance: "Die Menschen brauchen einen Mittler, und Maria ist viel näher bei uns - das macht das Beten einfacher", sagt Maresch.

Die Pastoraltheologin Maria Widl, die auch kritische Anfragen an die Marienfrömmigkeit formuliert, argumentiert dennoch ähnlich: Sie spricht von "verschobener Dreifaltigkeit". Im Mittelpunkt des Gebets stehe die Heilige Familie - Vater, Sohn und die Gottesmutter: "In patriarchalen Kulturen hat man Angst vor dem Papa und geht mit seinen Anliegen zur Mama." Marienfrömmigkeit als Reaktion auf die Vorstellung eines übermächtigen Patriarchen-Gottes?

Bei aller Kritik betont Widl klar, dass es sich dabei um eine durchaus legitime Form von Volksfrömmigkeit handelt. Es gebe viele Spielarten, religiös zu sein, und jede Form habe ihre spezifischen blinden Flecken: "Volksfrömmigkeit ist immer eine Gratwanderung zwischen Glauben und Aberglauben. Aber ohne sie ist eine Religion steril und ein intellektuelles Gebilde", meint die Theologin: "Außerdem zwingt die Kirche niemanden, das zu glauben!"

Die Kirche behauptet nämlich keinesfalls, dass Erscheinungen wie die in Fatima "objektiv beobachtbar" stattgefunden haben. Indem sie Marienerscheinungen anerkennt (in Fatima war das erst 1930 der Fall), wird nur gesagt, dass die Botschaft der Erscheinung mit Glauben und Lebensform der Kirche konform geht, dass sie also Ausgangsort - und nicht Ersatz! - der Gottesverehrung werden kann.

Aufruf zur Umkehr Insofern kann die Botschaft von Fatima auch für "säkulare" Christen Relevanz haben. Der Aufruf zu Buße und Umkehr ist immer aktuell. Und auch die Impulse, die Pater Benno Mikocki, der Leiter des Rosenkranz-Sühnekreuzzuges anführt (jener Bewegung, die sich in der die Gebetstradition von Fatima dem Fürbittgebet verschrieben hat), stehen durchaus in christlicher Tradition: Die neue Selige Jacinta betone den Gedanken der Stellvertretung; das bedeute, dass Christen dazu aufgefordert sind, sich handelnd und betend für die einzusetzen, denen es nicht gut geht. Der selige Francisco zeige die Bedeutung einer tiefen Christusbeziehung. Ihre heute 93-jährige Kusine Lucia bete vor allem für die Ökumene zwischen katholischer und der orthodoxer Kirche.

"Für mich steht vor allem im Vordergrund, dass die beiden Kinder jetzt bei Gott sind und wir sie um Hilfe bitten können", sagt Mikocki. Warum man zu Heiligen beten soll, wenn es doch ohnedies Christus gibt? "Mit dem Tod geht man doch nicht in Pension! Es wäre komisch, wenn man auf der Erde bei der Gestaltung der Welt mithelfen soll, und plötzlich darf man nicht mehr!" Mikocki rechnet mit einer gesteigerten Aktivität der Verstorbenen im Himmel: "Über den Tod hinaus für andere da sein zu dürfen ist ein Geschenk Gottes. Deshalb können wir voll Zuversicht Heilige und Selige um Hilfe bitten."

Auffallend ist die antihierarchische und antiinstitutionelle Dimension von Marienerscheinungen: Sie zeigen, dass auch ganz einfache Menschen die Botschaft Christi verkünden können. Marienerscheinungen sind, so der Theologe Karl Rahner, "kein neuer Indikativ, sondern ein neuer Imperativ", also keine neue Deutung der Wirklichkeit, sondern eine Aufforderung, wieder christlich zu handeln und zu beten.

Marienverehrung sollte sich jedoch an jenen Regeln orientieren, wie sie Papst Paul VI. in seinem Schreiben "Marialis cultus" (1974) formuliert hat. "Marienfrömmigkeit soll biblisch sein; sie soll sich an der liturgischen Tradition der Marienfeste orientieren. Sie soll so ausgewogen sein, dass sie ökumenisch nicht anstößig ist, und soll auch den heutigen Vorstellungen von Menschsein entsprechen, also nicht ein veraltetes Frauenbild auf heute übertragen", erklärt der Wiener Dogmatikprofessor Josef Weismayer: "Aus christlicher Sicht ist Maria für alle Christen Urbild des Glaubens und der Kirche. Das bedeutet nicht, dass dadurch die jeweiligen zeitgenössischen Strukturen der Kirche für sakrosankt erklärt werden sollen." Die Schlüsselstelle für diese Gleichsetzung, so Weismayer, findet sich in der Apostelgeschichte, wo sich Maria mit den Gläubigen auf den Weg macht, die Spuren des Heiligen Geistes zu suchen: "Das ist Kirche - an Personen, nicht an Strukturen gebundene Glaubenssuche!"

Solches betont auch Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Redemptoris mater" (1987), wo er Maria als unterwegs auf dem Pilgerweg des Glaubens darstellt - ein Weg, der oft von Dunkelheit und Schmerz geprägt ist.

Ein derartiger Zugang zu Maria rückt die Seligsprechung in Fatima auch für skeptische Zeitgenossen in ein etwas anderes Licht.

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