Mariazell - (k)ein Mythos

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Von der Re-Katholisierung des Habsburgerreiches bis zum "Mariazeller Manifest": Spurensuche in 850 Jahren.

Man pilgert nach Mariazell - dies scheint momentan innerhalb und außerhalb des kirchlichen Lebens "in" geworden zu sein. Auf Pilger-oder Wallfahrt begibt sich nicht nur das einfache kirchliche Fußvolk, sondern ebenso Würdenträger der Kirche, Politiker, Wirtschaftsbosse und auch gesellschaftliche Adabeis. Die Wahl des Fortbewegungsmittels reicht vom traditionellen Fuß-marsch, über die Anfahrt mit Fahr-oder Motorrad, Traktor … oder gemütlich auf der 76 Zentimeter breiten "bosnischen Spur" der Mariazellerbahn, bis zum nur hohen Würdenträgern vorbehaltenen An-kommen im Gnadenort per Hubschrauber. Bußrituale wie sie einst üblich waren, nämlich vor dem Einzug in die Basilika diese kniend zu umrunden, sind heute nicht mehr üblich. Die ungewohnte körperliche Anstrengung, einschließlich der Blasen an den Füßen, ist für einen Großteil der Wallfahrer sowieso schon Buße genug.

Der große Wallfahrtszustrom, der derzeit über den steirischen Gnadenort hereinbricht, ist nicht neu. Im Laufe seiner 850-jährigen Geschichte gab es immer wieder Großereignisse, die Mariazell ohne die Logistik des 21. Jahrhunderts zu bewältigen hatte. Am Bartholomäustag des Jahres 1599 brachen von Wien mehr als 20.000 Pilger zu einer Wallfahrt nach Mariazell auf. An ihrer Spitze der Bischof von Wien und spätere Kardinal Melchior Khlesl. Fürst Paul Esterházy kam am 27. August 1692 mit 11.000 seiner Untertanen anmarschiert. Später, im 19. Jahrhundert, bildeten sich einige Prozessionsvereine, die eine jährliche Wallfahrt zur steirischen Gnadenmutter zu ihrem Anliegen machten. Zu den ältesten in Wien angesiedelten Gründungen zählen der noch immer bestehende "Mariazeller Verein Reindorf" und der "Mariazeller Prozessionsverein Simmering".

Vielfältig sind die Gründe für eine Wallfahrt nach Mariazell. An der Spitze steht sicher der persönliche Dank der unzähligen einfachen Pilger für erwiesene Hilfe, oder eine an die Gnadenmutter gerichtete Bitte. Die ungefähr 2500 Votivtafeln im Besitz der Basilika zeugen in meist sehr drastisch dargestellten Szenen von diesen ganz persönlichen Bedrängnissen. Heute können die Pilger ihre Anliegen in sogenannte Gedenk-oder Anliegenbücher schreiben.

Kleine Leute und Herrscher

Zur Gnadenmutter sind aber durch die Jahrhunderte auch weltliche und kirchliche Herrscher gepilgert, deren Anliegen oft sehr irdische Gründe hatte, wofür sie den "Segen des Himmels" aber dringend benötigten. Kaiser Ferdinand I. förderte die Wallfahrtstradition als ein wirksames Mittel der Re-Katholisierung, Ferdinand II. bat die Gnadenmutter, dass die Wahl zum römisch-deutschen Kaiser auf seinen Sohn fiele und Kaiser Leopold I. machte die "allerheiligste Jungfrau Maria" kurzerhand zur "Befehlshaberin im Krieg", um so die Wirrnisse seiner Regentschaft besser bewältigen zu können. Er erklärte Mariazell auch zum Nationalheiligtum des Habsburgerreiches. Die Schatzkammer der Basilika profitierte vom Aufstieg des Gnadenortes zum geistlichen Mittelpunkt des habsburgischen Vielvölkerreiches, denn jeder Herrscher wollte nicht nur seinen Dank, sondern auch seine Macht durch besonders wertvolle Geschenke abstatten.

Auch heute finden Wallfahrten nicht immer nur statt, um Maria im Gebet und mit frommen Liedern zu ehren. Manchmal dienen kirchliche Großveranstaltungen oder Ereignisse wie ein Papstbesuch einfach dazu, wieder "frischen Wind in die Kirche" (Kardinal Schönborn ) hereinzulassen und diese dadurch wieder ins Gespräch zu bringen. Oder es ist der Versuch, das Kirchenvolk dadurch von bestehenden innerkirchlichen Problemen abzulenken. Das Miteinander-Gehen auf ein Ziel hin schafft einen gewissen Gemeinschaftsgeist, wodurch auch für die aufmüpfigste Gläubigenseele für eine Zeit die kirchliche Welt wieder im Lot ist.

Auch Politiker wissen dies geschickt für ihren Bereich zu nützen und wählen bewusst den Gnadenort Mariazell zum Ziel ihrer notwendigen Gesinnungsdemonstrationen. Von besonderer medialen Wirksamkeit ist auch die Fußwallfahrt eines Politikers (oder die Wette einer Politikerin) aus dem der Kirche eher fernstehenden Lager. So gesehen liegt der Unterschied zwischen den einstigen Pilgerfahrten der Habsburger und jenen der heute Regierenden nur im vorgebrachten Anliegen.

Zu kräftigen Lebenszeichen von Kirche und Staat im Ringen um eine neue Identität kam es nach 1945 in Mariazell. Im Mai 1952 wurden hier bei einer Studientagung der Katholischen Aktion Österreichs jene Aussagen formuliert, die als "Mariazeller Manifest" den Weg der katholischen Kirche in der Zweiten Republik bestimmte. Es war die Absage an ein Staatskirchentum der Vergangenheit und das klare Bekenntnis zu einer "freien Kirche in einer freien Gesellschaft". Diese entschlossene Willenskundgebung katholischer Laien und Kleriker geschah zu einem Zeitpunkt, wo Österreich noch fest im Griff der vier alliierten Siegermächte war. Unter dem Schutz der Gottesmutter wagte man aber damals bereits von einem zukünftigen freien und souveränen Österreich zu sprechen.

Die stummen Kerzen

Zwei Jahre später, im Mai 1954, wurde im steirischen Gnadenort nicht nur für die eigene Freiheit gebetet, sondern auch für alle Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs, der Europa für Jahrzehnte spaltete. Mariazell wurde damals zu einer geistigen Klammer vieler Vertriebenen mit der verlassenen Heimat. In einer beeindruckenden Solidaritätskundgebung wurden neun Kerzen aufgestellt, je eine Kerze für jedes Land, in dem die Menschenrechte missachtet wurden und keine Glaubensfreiheit herrschte. Als "Stumme Kerzen" standen sie als Mahnmal in der Nähe des Gnadenaltares bis 1989. Als der Stacheldraht zu diesen Ländern fiel, durften auch sie Licht spenden. Und es war wieder ein Maitag, diesmal 1990, als in 450 Bussen Menschen aus diesen ehemaligen kommunistischen Ländern nach Mariazell kamen, um dort für die Erlangung ihrer Freiheit zu danken.

Die Frage ist noch offen, was eigentlich den Mythos von Mariazell ausmacht. An diesem Ort gab es keine Erscheinungen der Gottesmutter, keine Weissagungen, auch keine spektakulären Wunder. Trotzdem findet hier, seit 850 Jahren, seit der mit einem Missionsauftrag vom steirischen Kloster St. Lambrecht ausgeschickte Mönch Magnus seine aus Lindenholz geschnitzte Muttergottesstatue auf einen Baumstrunk abstellte, eine alle politischen und gesellschaftlichen Wirrnisse überdauernde Verehrung der Gnadenmutter statt. Vielleicht liegt die Antwort in dem seit Generationen bestehenden Vertrauen aller hierher kommenden Pilger, "dass Maria eine Bitte nicht gewährt, ist unerhört, ja unerhört".

Die Autorin ist freie Publizistin.

Mythos Mariazell. Eine Spurensuche

Von Ingeborg Schödl. Leykam, Graz 2007. 135 S., zahlr. Abb., geb., € 21,50

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