Maßgeblich ist das Wort Gottes

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Die Weitergabe der kirchlichen Tradition ist nichts Lebloses: "Bewahren" bedeutet auch "Verändern" - und umgekehrt.

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Die Weitergabe der kirchlichen Tradition ist nichts Lebloses: "Bewahren" bedeutet auch "Verändern" - und umgekehrt.

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Der "Dialog für Österreich" hat bisher innerkirchlich wenig Begeisterung geweckt - weder unter den Funktionären noch im Kirchenvolk. Das hängt zum einen mit der Unklarheit bezüglich seiner Ziele und der Vorgangsweise zusammen. Zum anderen liegt es an der Allgemeinheit des weitgehend nicht kontroversiellen "Grundtextes", der die innerkirchlich heiß diskutierten Themen ausklammert beziehungsweise nur dezent andeutet und hofft, auf die wesentlichen Fragen der Verkündigung und der gesellschaftspolitischen Verantwortung hinlenken zu können. Dieser Versuch ist gescheitert.

Problemstau - seit dem Konzil Anlaß der "Wallfahrt der Vielfalt"(1995) sowie des "Dialogs für Österreich" war das Kirchenvolks-Begehren (vgl. Kasten auf Seite 14). Dieser kirchengeschichtlich einmalige Vorgang, diese Eruption von weitverbreitetem Unmut und Unzufriedenheit, deutet auf einen Problemstau hin. Diese Eruption ist nur auf den ersten Blick überraschend, denn die aufgeworfenen Themen und Probleme sind nicht neu. Sie sind in der nachkonziliaren Diskussion nahezu allgegenwärtig (vgl. den "Österreichischen Synodalen Vorgang" und die Diözesansynoden in den siebziger Jahren; die verschiedenen Diözesanforen der letzten Jahre) und sind seit Jahrzehnten auch Themen der theologischen Forschung. Gerade Theologen klagen, daß ihre Arbeiten zwar einerseits im Kirchenvolk breit rezipiert wurden, daß das theologische Niveau der Argumentation aber in der allgemeinen Diskussion zu wünschen übrig läßt.

Seit den siebziger Jahren hat sich die Zustimmungskrise nicht verringert, sondern deutlich verschärft. Die Umfragen wie die alltäglichen Gesprächserfahrungen zeigen, daß die Anliegen und Forderungen von rund zwei Drittel der Bevölkerung und auch der engagierten Katholiken geteilt werden (bei den unter 30jährigen von über 90 Prozent!). Es ist zu einfach, diese Zustimmungskrise lediglich als Symptom einer allgemeineren Glaubenskrise zu deuten, weil auch sehr bewußt Glaubende und aus dem Glauben lebende Menschen ihre Änderungswünsche anmelden. Andererseits gibt es zwar eine kleine, aber sehr motivierte und ernstzunehmende Minderheit unter den Katholiken, die in diesen Entwicklungen eine Verflachung und allzu willige Anpassung an den Zeitgeist am Werk sieht. Diese Ungleichzeitigkeiten wachsen, die Klüfte sind tief. Es hilft nicht, davor die Augen zu verschließen. Dialog ist angesagt, um nicht einerseits Resignation und Wut der "Neuerer" weiter zu provozieren und um andererseits nicht die "Bewahrer" lieblos auf der Strecke zurückzulassen.

Wie kann der Dialog gelingen?

Zunächst: Er muß von allen Beteiligten in nüchterner Einschätzung der Situation gewollt werden. Dieses "Wollen" muß glaubwürdig dokumentiert werden, damit sich alle wirklich darauf einlassen wollen und können. Daher müssen gerade die kontroversiellen Themen auf den Tisch; ohne gegenseitige Verketzerung müssen alle Positionen - und zwar auch zahlenmäßig annähernd repräsentativ - eingebunden werden.

Zweitens: Man hüte sich vor der Illusion, die Überwindung der Klüfte und Ungleichzeitigkeiten wäre kein langwieriger, schwieriger und konfliktreicher Weg und man könnte relativ rasch zur "kirchlichen Normalität" und zur "Ruhe" zurückkehren. Diese Ruhe wäre eine Friedhofsruhe - eher ein Zeichen des Todes als des Lebens.

Drittens wünsche ich mir eine theologische Anreicherung: Die Kirche aller Zeiten hat zwischen Schrift und Überlieferung und den Herausforderungen der Zeit und Kultur einen schwierigen Weg zu finden und zu gehen. Die Weitergabe der Tradition besteht nicht (wie manche "Bewahrer" meinen) darin, daß man sie wie "Ziegelsteine" (um ein berühmtes Bild von Hans Urs von Balthasar zu verwenden) dinghaft und leblos tradiert. Tradition ist ein lebendiger Prozeß, der auch Veränderungen und Erneuerungen einschließt, deutlicher gesagt: Bewahren bedeutet auch Verändern. Andererseits ist die "Gängigkeit" und zeitgeistige Stromlinienförmigkeit kein Kriterium der Wahrheit (wie manche "Neuerer" meinen); das Evangelium steht auch quer und kritisch zu den Plausibilitäten einer bestimmten Zeit.

"Unter" dem Wort Gottes "Bewahren" und "verändern" sind Grundworte der Kirche. Beides gehört zu ihrem Wesen. Unterscheidung der Geister, ein reifes Urteil und eine tiefere Erkenntnis der Überlieferung tut not. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht an zumindest zwei Stellen in der Offenbarungskonstitution "Dei Verbum" (DV) ausdrücklich davon.

Theologie und Kirche stehen nicht "über" oder "neben", sondern "unter dem Wort Gottes" (DV 10). Es ist ihr Fundament und bewirkt ständige Verjüngung (DV 24). Alles Bewahren und Verändern hat das Wort Gottes als Kriterium. "Aufgabe der Exegeten ist es, ... auf eine tiefere Erfassung und Auslegung des Sinnes der Heiligen Schrift hinzuarbeiten, damit so aufgrund wissenschaftlicher Vorarbeit das Urteil der Kirche reift." (DV 13) "Die apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt: es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen ..., durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben" (DV 8) Drei "Motoren" von Fortschritt und Wachstum werden genannt; die zwei ersten beziehen sich auf alle Getauften, der dritte auf das Lehramt der Bischöfe. Beides - der "sensus fidelium", der Glaubenssinn der Gläubigen, und die Verkündigung der Bischöfe - sind notwendig. Verständnis und Wachstum gelingt nur, wenn nicht ein Teil sich verabsolutiert, wenn alle aufeinander hören, wenn es Lernbereitschaft im gemeinsamen Ringen und im Dialog gibt.

Wo drückt sich aber dieser Glaubenssinn des Volkes aus?

Dazu abschließend ein Zitat von Bischof Walter Kasper: "Glaubenssinn drückt sich also nicht dort am reinsten aus, wo sich die Kirche in einer rein introvertierten Ghettomentalität und in einer ,ungebrochenen' Gläubigkeit befindet, weil sie die Fragen und Probleme der Zeit noch gar nicht zur Kenntnis genommen hat und einfach hinter verschlossenen Türen ,weiterglaubt', sondern dort, wo der Glaube in der Konfrontation mit der Welt und der Zeit steht und sich von deren Fragen beunruhigen läßt."

Daher meine Hoffnung: Ein Dialog muß gelingen, weil es zu ihm schlicht keine Alternative gibt. Ein Dialog kann gelingen, weil der Geist Gottes seine Kirche nicht verläßt - der Geist der Wahrheit, der zugleich in die ganze Wahrheit einführt (Joh 16,13).

Die Autorin ist Leiterin der Theogischen Kurse und Präsidentin des Forums katholischer Erwachsenenbildung in Österreich Wie es Weitergeht * Gesprächsprozess: Zum "Grundtext" vom September 1997 sollen bis Ende Mai Stellungnahmen übermittelt werden. Zehntausende Grundtexte wurden verbreitet, bis 31. März langten insgesamt 280 Rückmeldungen ein. Etwa die Hälfte davon stammt von Einzelpersonen, die andere kommt von Gruppen.

* Fachtagungen (siehe Seite 16) * Arbeitsdokument: Aus den Stellungnahmen und den Fachtagungen wird unter Berücksichtigung wichtiger sonstiger Themen das Arbeitsdokument für den Delegiertentag erstellt. Die Themen dazu werden von einer bischöflichen Arbeitsgruppe gemeinsam mit Laienvertretern erarbeitet und am 30. Juni von der Bischofskonferenz beschlossen.

* Delegiertentag: Den Abschluß bildet der Delegiertentag vom 23. bis 26. Oktober 1998 in Salzburg. 300 Delegierte werden über Arbeitsdokument und dessen Themen darin beraten. 200 Delegierte kommen aus den Diözesen, 60 aus gesamtösterreichischen kirchlichen Organisationen, 15 wurden von der Bischofskonferenz nominiert (vgl. Kasten links).

* Informationen: Büro "Dialog für Österreich", 1010 Wien, Stephansplatz 3/III, & 01/51552-3738, Fax -3755 Bischöfe & ,Gesprächsforum Kirchenzukunft' Am 30. März beschäftigte sich die Österreichische Bischofskonferenz mit den Forderungen des "Gesprächsforums Kirchenzukunft" (vgl. Kasten Seite 14). Konkrete Ergebnisse dazu: * Einbindung der Kirchenvolksbegehrer: Die Plattform "Wir sind Kirche" kann bei bestimmten Fachtagungen Mitveranstalter sein.

* Fachtagungen zu kirchlich umstrittenen Themen: zusätzliche Tagungen zu "Frauendiakonat", "Bischofsernennungen", "Wiederverheiratete Geschiedene", "Macht-Sexualität-Geld in der Kirche" finden statt (vgl. Seite 16).

* Redaktion und Themenauswahl des Arbeitsdokuments soll transparent sein: Keine konkrete Aussage der Bischofskonferenz dazu.

* Klare Geschäftsordnung für den Delegiertentag sowie Zulassung von Abstimmungen: Die Bischofskonferenz erklärte, daß "Prioritäten durch Voten sichtbar" werden sollen, als "Minderheits- und Mehrheitsvoten." Sonst keine Konkretionen der Geschäftsordnung.

* Zwei Vertreter von "Wir sind Kirche" sollen am Delegiertentag teilnehmen: Diese werden zwei der 15 von der Bischofskonferenz direkt eingeladenen Delegierten (siehe Kasten rechts) sein. In diese Gruppe wurden aber - unter anderem - auch Vertreter der "Schönstatt"-Bewegung, des Cartell- und des Mittelschülerkartellverbandes, der Gruppe "Vision 2000", des "Opus Dei", des "Rosenkranz-Sühnekreuzzugs", des ultrakonservativen "Clubs Österreichischer Katholiken" sowie des "Gesprächsforums Kirchenzukunft" nominiert.

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