"McKinsey regiert die Kirche"

Werbung
Werbung
Werbung

Deutschlands katholische Kirche befindet sich in einer Finanzkrise. Dennoch werkelt jede Diözese allein vor sich hin. Die großen Verlierer sind die Pfarren.

Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Die deutsche Kirche gilt als reich und gut organisiert. Doch die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Die Zahl der Kirchenmitglieder geht zurück, die Kirchensteuern ebenso. Die Haushaltslage etlicher Diözesen ist desolat. Pfarrgemeinden werden zusammengeschlossen, Mitarbeiter entlassen. Kirchengebäude werden aufgegeben oder abgerissen. Die katholische Kirche in Deutschland ist heute mit dem größten strukturellen Umbruch seit 1803 konfrontiert. Nicht zuletzt auf Grund unerwartet hoher Rückgänge bei den Kirchensteuereinnahmen*) mussten viele Diözesen zum Rotstift greifen. Mitarbeiter und Kirchenvolk reagierten darauf in manchen Diözesen mit Mahnwachen, Lichterketten und Demonstrationen - allerdings mit eher bescheidenem Erfolg.

Doch auch wenn es fast überall Probleme gibt, lassen sich die 27 Bistümer in Deutschland nur schwer miteinander vergleichen. Während die reichste deutsche Diözese, das Erzbistum Köln, im Jahr 2005 noch über einen Etat von 678 Millionen Euro verfügte, betrug der Etat der kleinsten Diözese Görlitz im selben Jahr 14 Millionen Euro. Das Erzbistum Berlin hätte 2003 mit mehr als 148 Millionen Euro Schulden ohne einen zinsgünstigen 50-Millionen-Euro-Kredit des Verbandes der Diözesen Deutschlands vor dem Bankrott gestanden. Gab das Erzbistum München 2005 noch 71 Millionen Euro für Neubau und Instandsetzung seiner Kirchen und Kapellen, Pfarr-und Altenheime aus und verbaute das Bistum Regensburg immerhin noch 40 Millionen Euro, so wollen die Diözesen Aachen und Essen möglichst rasch viele Gotteshäuser abstoßen.

Daneben gibt es Bistümer wie Freiburg, in denen zwar auch von Einsparungen die Rede ist, aber noch genügend Spielräume vorhanden sind, sozialverträglich umzusteuern. Besonders schlecht steht es um die Bistümer in der ehemaligen DDR. In Erfurt, Görlitz, Dresden-Meißen und Magdeburg wird nur ein kleiner Teil der Einnahmen durch Kirchensteuern gedeckt; zum größeren Teil hängen sie am Tropf der West-Bistümer.

Anonyme Seelsorge

Hauptverlierer der gegenwärtigen Finanzkrise sind die Pfarrgemeinden. Immer mehr werden zu Großgemeinden zusammengelegt und die Zahl der größeren Einheiten - die in den verschiedenen Bistümern auch unterschiedliche Namen tragen - an die schwindende Zahl der verfügbaren Priester angeglichen. Man setzt auf eine größere Mobilität und geht davon aus, dass Gemeindeleben ebenso gut in überregionalen Schwerpunkten gelebt werden kann. In Großgemeinden mit bis zu 30.000 Gläubigen - wie in Essen oder Hamburg geplant - droht die Seelsorge immer anonymer und geschäftsmäßiger zu werden.

Die Kürzung der Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden trifft vor allem deren Mitarbeiter. Doch wer sparen will, der könnte ja - so wenden manche ein - auch Zuständigkeiten nach unten statt nach oben verlagern. Das hieße: Statt Gemeinden aufzulösen und weiter oben neue Verwaltungseinheiten zu schaffen, könnte man die Verantwortung fürs Geld eindeutig den Gemeinden übertragen. Die momentanen Reformen sind nach Ansicht dieser Kritiker zu wenig von der Gemeinde her und zu sehr von der diözesanen Finanzverwaltung her geplant.

Aachen und Essen

In zwei Bistümern sind die Veränderungen besonders einschneidend. Aachen und Essen. Ein radikaler Umbau der Diözese vollzieht sich in Aachen. Die Veränderungen sind so schnell und tiefgreifend, wie es die Diözese in ihrer 75-jährigen Geschichte noch nicht erlebt hat. Neben der Straffung der kirchlichen Verwaltungsstrukturen auf allen Ebenen reduziert das Bistum seine pastoralen Angebote und die Dienste der Beratungs-und Bildungseinrichtungen.

Um bis zum Jahr 2008 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können, sollen mit weit reichenden Sparmaßnahmen die Ausgaben des Bistums dauerhaft um 65 Millionen Euro abgesenkt werden. Bis Ende 2008 sollen von 709 Vollzeitstellen 318 abgebaut werden; Ende 2007 soll der Stellenabbau weit gehend abgeschlossen sein. Aufs Gesamte gesehen werden sich Bistum und Pfarren langfristig von ca. 25 Prozent ihres Gebäudebestands trennen müssen. Die Pfarrkassen im Bistum Aachen werden in Zukunft leerer sein als je zuvor: Die Gemeinden im Bistum Aachen sollen ab diesem Jahr mit 30 Prozent weniger Geld auskommen, das ihnen per Schlüsselzuweisung ausgezahlt wird. Deshalb sollen die 539 verbliebenen Pfarrgemeinden sich in 72 "Gemeinschaften der Gemeinden" zusammenschließen.

Wie sich die Bilder gleichen: Auch in der Diözese Essen sinken die Kirchensteuereinnahmen drastisch und das Ruhrbistum verliert - wie Aachen - 10.000 Katholiken pro Jahr. Es reagiert mit einer bundesweit beispiellosen Umstrukturierung seiner Gemeinden auf diese Entwicklung. Die Pläne sind nach Einschätzung von Bischof Felix Genn nicht nur für das Bistum, sondern auch für die Kirche in Deutschland "von historischer Bedeutung". Der Ruhrbischof hat angekündigt, dass die 259 Pfarrgemeinden bis Ende 2008 zu 42 Pfarren zusammengelegt werden. 96 Kirchengebäude gibt das Bistum auf; auch Abrisse sind möglich.

Insgesamt werden durch den Umbau der Verwaltungsebenen und die Neustrukturierung rund 1000 Stellen abgebaut. Allein im Generalvikariat fallen etwa die Hälfte aller Stellen weg. Insgesamt soll der Etat von 221 Millionen Euro bis 2009 um 70 Millionen Euro reduziert werden.

Bischof Genn ist sich bewusst, was die radikale Umstrukturierung in den Gemeinden auslöst: "Viele Menschen empfinden angesichts der bevorstehenden Veränderungen echte Schmerzen. Das Herz blutet, weil ihnen ein Stück Heimat genommen wird." Gestützt wird diese Erkenntnis durch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Dimap, die das Verhältnis der Katholiken zu ihren Pfarrgemeinden vor einiger Zeit untersucht hat: Demnach fühlen sich immer noch 53 Prozent der Katholiken einer bestimmten Pfarre zugehörig. Die Territorialgemeinde bietet also immer noch vielen Katholiken Heimat. Für fast zwei Drittel der Katholiken mit Gemeindebindung ist diese "ein wichtiger Teil ihres Lebens", und ein Viertel arbeitet ehrenamtlich mit.

Keine gemeinsame Strategie

Doch welche Schlüsse werden daraus gezogen? Eine gemeinsame Strategie gibt es nicht. Bei der Konsolidierung der Finanzen werkelt jedes Bistum vor sich hin. "Der offene Austausch über die Finanzlage der Bistümer ist - gelinde gesagt - verbesserungsfähig", kritisiert der ehemalige Generalvikar von Köln, Norbert Feldhoff, der wahrhaftig kein Revolutionär ist. Bereits 2004 hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Bischöfe zur gemeinsamen Suche nach Wegen aus der Finanzkrise aufgerufen. Die aktuelle Situation verlange notwendigerweise nach gemeinsamer Anstrengung, meinte schon damals ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer, dem es um mehr gemeinsame Verantwortung von Bischöfen und Laien auf überdiözesaner Ebene geht.

Deutliche Warnungen kommen auch von Seiten des Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner. Die Finanzkrise in der deutschen Kirche dürfe nach Ansicht Zulehners nicht vordringlich aus ökonomischer Perspektive angegangen werden. Die deutsche Kirche werde faktisch von der Unternehmensberatung McKinsey "regiert", sagte Zulehner kürzlich in der Katholischen Akademie Berlin. Notwendig sei stattdessen ein radikaler Umbau der Strukturen, der auf eine Stärkung ehrenamtlich getragener Glaubensnetzwerke setze. Diese, so Zulehner, müssten ergänzt werden durch pastorale Zentren und zeitlich begrenzte pastorale Projekte.

Als bisher einzige deutsche Diözese versucht das Bistum Münster mit einer "Jüngerschule" eine geistliche Antwort auf die Krise der Gemeinden zu geben. "Glaubensvertiefung statt Strukturdebatten", könnte das Stichwort lauten. Nach Ansicht von Weihbischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, pastoraler Vordenker der Diözese, besteht die neue Herausforderung darin, die Bildung größerer Gemeinden nicht einfach als eine strukturelle Gebietsreform oder als Zusammenlegung von Pfarreien zu verstehen, sondern als umfassenderen und inneren Prozess. Im Bistum Münster ist man deshalb dazu übergegangen, über die Grenzen einzelner Gemeinden hinweg Ehrenamtliche aus unterschiedlichen Gruppen, Gremien und Aufgabenbereichen zu geistlichen Wochenend-Kursen einzuladen.

Weihbischof Tebartz-van Elst hat mit den bisher angebotenen Seminaren positive Erfahrungen gemacht, doch sein Ansatz ist betont eucharistie-und kleruszentriert und bekommt dadurch in den Augen kritischer Geister den Anstrich einer interessegeleiteten Absegnung der Gemeindepolitik des Bistums Münster, das ganz offen auf Fusionen setzt.

Keine Stunde der Laien

Völlig vergessen zu sein scheint in Deutschland die Gemeindetheologie der 60er und 70er Jahre. Damals wurde überall die Hochschätzung der Wortgottesdienste gepredigt. Es wurde empfohlen, endlich von der "priesterzentrierten Gemeinde" loszukommen. Inzwischen sind der einzigartige Rang der Eucharistiefeier und die Unentbehrlichkeit des priesterlichen Dienstes wiederentdeckt worden. Nicht mehr das Weiterbestehen der Ortsgemeinde steht - wie in den 70ern - im Vordergrund, sondern die sonntägliche Eucharistie. Kommt es in der deutschen Kirche zu einem Rollback, einem Rückzug ins geistliche Getto? Das ist zumindest die große Befürchtung liberaler Kreise.

Eines lässt sich auf jeden Fall sagen: Die Stunde der Krise ist nicht die Stunde der Laien. Im Blick auf das Verhältnis zwischen Klerus und Laien gibt es derzeit einen massiven Reformstau; nichts geht voran. Ganz im Gegenteil droht eine Reklerikalisierung, ein Zurück zu einer Priesterkirche. Der Streit um das Kerngeschäft wird immer erbitterter geführt; erzkonservative und traditionalistische Kreise triumphieren. Sie sehen ihre Stunde gekommen und setzen darauf, dass die Kirche sich endlich auf das nach ihrer Meinung einzig Wichtige konzentriert: Glaubensverkündigung, Liturgie und Seelsorge.

Wird es in 20 Jahren in Deutschland überhaupt noch (Territorial-) Pfarren im heutigen Sinn geben? Wenn es in dem bisher eingeschlagenen Tempo weitergeht, sind da starke Zweifel angebracht. Über kurz oder lang - so scheint es - stehen die "klassischen" Gemeinden vor dem unvermeidlichen Aus.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Münster/Westfalen.

*) Anders als in Österreich wird in Deutschland der Kirchenbeitrag von der Höhe der Lohn-bzw. Einkommenssteuer her berechnet (meist neun Prozent). Wenn nun der Staat diese Steuern senkt (wie in den letzten Jahren geschehen) oder das Steueraufkommen wegen wirtschaftlicher Probleme sinkt, sind die Kirchen, ohne dass sie dies beeinflussen könnten, betroffen (Anm.-d. Red.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung