Mehr als Kirchen bauen

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Der aus Feldkirch stammende, in Indien lebende Konzilstheologe Josef Neuner SJ erhält am 23. Juni in Innsbruck das theologische Ehrendoktorat.

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Der aus Feldkirch stammende, in Indien lebende Konzilstheologe Josef Neuner SJ erhält am 23. Juni in Innsbruck das theologische Ehrendoktorat.

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Es war bei seiner ersten Weihnachtsaushilfe, 1936, in Stuttgart. Der Provinzial der Oberdeutschen Jesuiten, Augustinus Rösch - der später dem "Kreisauer Kreis" angehören und seinen jungen, von den Nazis kurz vor Kriegsende hingerichteten Mitbruder Alfred Delp in diese Widerstandsbewegung lotsen wird - fragte den wenige Monate zuvor zum Priester Geweihten: "Pater, wären Sie bereit, nach Indien zu gehen und dort Theologie zu dozieren?" Josef Neuner sagte ja, ließ sich tags darauf seine Tropentauglichkeit bescheinigen, machte seine Schlussexamina und kam 1938 nach Indien. "Eine Verlegenheitslösung", wie er rückblickend einmal meinte. Etliche Mitbrüder wollten es ohnehin besser wissen: "He will not last very long" - "Lang wird er's nicht aushalten".

Mittlerweile sind 63 Jahre daraus geworden. Trotz seines hohen Alters reist Pater Neuner noch in seine alte Heimat. Geistig wie körperlich wirkt er topfit. Sein theologischer Eros ist noch nicht versiegt. Die heutigen theologischen Probleme freilich, sagt er, müssten indische Theologinnen und Theologen lösen, da könne er nichts beitragen. Altersweisheit oder natürliche Bescheidenheit?

1908 in Feldkirch geboren und nach der Matura 1926 in die Gesellschaft Jesu eingetreten (Vorarlberg gehörte damals zum Gebiet der Oberdeutschen Jesuitenprovinz), absolvierte er nach dem Noviziat in Feldkirch die ordensüblichen Studien in Pullach bei München und im niederländischen Valkenburg.

"Das ist nix für Sie" Ironie der Geschichte: Schon früh interessierte sich Neuner für Indien. Doch der damalige Provinzial, Franz Hayler befand: "Das ist nix für Sie!" Dessen Nachfolger war anderer Meinung. Denn als junge Professoren gebraucht wurden, um eine neue Theologische Hochschule, das "De Nobili College" in Pune, aufzubauen und die zwei dafür bestimmten Jesuiten sich als nicht tropentauglich erwiesen, kam Josef Neuner zum Zug.

Weil Neuner so jungenhaft wirkte, ließ er sich als erste Maßnahme einen Vollbart wachsen. Das sollte Autorität einbringen. "Ich wurde", erinnert er sich, "damals auch gleich ins theologische Wasser geworfen". Am 30. Mai 1938 reiste er nach Indien ab, am 10. Juni hatte er bereits die erste Vorlesung zu bestreiten. "Meine Rettung war, dass wir damals unsere Vorlesungen noch in Latein gehalten haben. Also fing ich an, und es funktionierte. Die indischen Studenten wollten das damals auch so. Mir war natürlich klar, dass es auf die Dauer so nicht weitergehen konnte. Es war in den Vorlesungen auch noch wenig vom sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund Indiens zu spüren. Seltsamerweise brachte der Krieg die Lösung."

Mit Harrer interniert Lange nämlich währte die erste Vorlesungszeit nicht. Sofort bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden alle Reichsdeutschen in (der britischen Kolonie) Indien in ein Internierungslager gesteckt. "Dort hatten wir Zeit genug, uns mit Fragen indischer Kultur und Theologie zu befassen. Ich hatte Bücher, im Lager mit uns waren bedeutende Indologen und vor allem auch die deutschen protestantischen Missionare. Wir haben dort auch Theologie doziert ... Das war echt, ,Theologie im Kontext', wie man heute vielleicht sagen würde." Die Lagerbaracke von Dehra-Dun wurde bis Kriegsende zum Hörsaal.

Im selben Lager war auch ein Mitglied der (missglückten) deutschen Nanga Parbat-Expedition interniert: Heinrich Harrer. An dessen Spitznamen "Ausbrecherkönig" kann sich Neuner gut erinnern, denn nach jedem Ausbruchversuch verschlechterten sich die Lebensbedingungen für die Internierten.

Konzilstheologe Nach dem Krieg promovierte Neuner an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom in vergleichender Religionswissenschaft und dozierte danach am De Nobili College in Pune, an dessen Aufbau er maßgeblich beteiligt war. Englisch hatte mittlerweile das Latein als Unterrichtssprache abgelöst. Der Bischof von Pune nahm Neuner als seinen Theologen und Berater (Peritus) auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962/65) nach Rom mit. Neuner arbeitete in den Kommissionen für Mission, für die Priesterausbildung und - echtes Neuland - für die nichtchristlichen Religionen mit. "Da habe ich gespürt", weiß er noch, "dass unsere indischen Probleme die Probleme der Weltkirche sind". In den Kommissionen "herrschte ein sehr offenes Klima, man konnte frei reden." Das Missionsdekret "Ad gentes" trägt deutlich die Züge Josef Neuners und des Generaloberen der Steyler Missionare John Schütte.

Die auf dem Konzil erlebte Offenheit vermisste Neuner später. In einem Doktorandenkreis im Sommersemester 1997 an der Universität Innsbruck beurteilte der Dogmatikprofessor die Chancen für die bevorstehende asiatische Bischofssynode eher negativ. Es bestünde, urteilte er damals pessimistisch, kein guter Dialog zwischen Asien und Rom.

Ost-West-Vermittler Diesen Dialog hat Pater Neuner gesucht und betrieben, lange bevor das Leitwort "Inkulturation" aufkam. Er verstand und versteht sich als Brückenbauer zwischen europäischer Theologie und der Vielfalt östlicher Religionen. Der Rede von "Missionsländern", worin er eine Bevormundung sah, stellte er die Rede von "jungen Kirchen in Entwicklungsländern" gegenüber. Er warb stets um Hochachtung vor dem kulturellen Eigengut der indischen Kirche. Auf dem Eucharistischen Kongress in Bombay 1964 spielte Neuner eine wichtige Rolle.

Und er war nur nie als Professor tätig. Er war ein gesuchter Berater in Gremien, gründete eine Schwesterngemeinschaft, begleitete Seminaristen und gab zahlreiche Exerzitienkurse. Auch Mutter Teresa schätzte den Seelsorger Josef Neuner. Neuners 1985 erschienenes Buch "Walking with Him. A biblical guide through thirthy days of spiritual exercises" wurde ein Klassiker und 1988 für eine deutschsprachige Leserschaft adaptiert ("Mein Leben mit Christus gestalten", Verlag Echter 1988).

Der "Neuner-Roos" Theologiestudierenden ist der "Neuner-Roos" ein Begriff, sie sind aber nicht selten verwundert, dass hinter dem "NR" der in Indien wirkende Josef Neuner steckt. Bevor er 1938 dorthin abreiste, hatte er zusammen mit Lothar Roos SJ zusammen eine Reihe kirchlicher Dokumente zusammengestellt. Denn als man merkte, dass mit Latein nicht mehr viel zu machen ist, haben die beiden jungen Jesuiten eine Auswahl aus den lehramtlichen Dokumenten der Sammlung "Denzinger-Schönmetzer" ("DS") herausgegeben, allerdings nicht wie diese chronologisch, sondern thematisch geordnet. Der "NR" wurde zu Neuners Abschiedsgeschenk an Europa - und ein Kassenschlager. Bald etablierte sich das Kürzel "NR". Das blieb auch so, als in den 70er Jahren Karl Rahner SJ und Karl-Heinz Weger SJ die weitere Bearbeitung übernahmen.

Was bei uns der "Neuner-Roos" ist, wurde im angelsächischen Sprachraum der "Neuner-Dupuis", weil Jacques Dupuis SJ (jener Theologe, gegen dessen Maßregelung durch die Glaubenskongragtion sich vor wenigen Monaten unter anderem Kardinal König in furche 16/2001, Seite 6, engagiert zur Wehr setzte) zusammen mit Pater Neuner eine englische Übersetzung des NR herausbrachte ("The Christian Faith").

Mission heute Josef Neuner lebt seit über sechs Jahrzehnten in Indien. "Mission", ist seine Lebensbilanz, "heißt nicht einfach Kirchen bauen oder neue Mitglieder werben, sondern auch Einfluss nehmen auf das wirre, oft so leere Leben der modernen Welt."

Er zählt zu den großen alten Männern der indischen katholischen Kirche. Aufhebens um seine Person ist dem indischen Alemannen zuwider. Am 23. Juni muss er eine Ehrung über sich ergehen lassen: Die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck verleiht ihm, dem 93-Jährigen, ein theologisches Ehrendoktorat.

Der Autor ist Redakteur der von den Jesuiten herausgegeben theologischen Zeitschrift "Stimmen der Zeit" in München.

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