Meisterstück religiöser PR

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Weltjugendtag 2005 in Köln: Triumphale Inszenierung von Einheit und lebendigem Glauben. Beobachtungen eines Religions- und Jugendsoziologen.

Wer den Weltjugendtag nur über die Medien verfolgen konnte, der musste den Eindruck gewinnen, als ob die so oft gehörten Prophezeiungen vom Ende der Religion und vom Niedergang der Kirche nichts anderes als übelwollende antiklerikale Propaganda seien. In Köln - diese Botschaft vermittelten jedenfalls die Medien - präsentierte sich die katholische Kirche als eine lebendige, fröhliche, glaubensstarke und vor allem jugendliche Einheit, die in Treue zu ihrem Oberhaupt steht und dessen Botschaft willig und mit Begeisterung folgt.

Allein schon deshalb war der xx. Weltjugendtag ein triumphaler Erfolg der Kirche. Den Organisatoren des Weltjugendtages gelang es, in der Öffentlichkeit ein Bild von Kirche entstehen zu lassen, das mit der Realität in den Kirchengemeinden vor Ort nicht viel zu tun hat - eine Meisterleistung des religiösen Marketing.

Aber stimmt dieses Bild? War der Weltjugendtag wirklich das enthusiastische Glaubensfest einer ergeben zu ihrer Kirche und ihrem Oberhaupt stehenden katholischen Jugend? Wer in Köln vor Ort war, das Geschehen genau verfolgte und mit vielen unterschiedlichen Teilnehmern gesprochen hat, dem kommen schnell leichte Zweifel.

I. Katholischer Pluralismus

Entgegen dem in den Medien transportierten Bild war der xx. Weltjugendtag in Köln nicht das Weltfest der katholischen Jugend. Die katholische Jugend gibt es nicht. Schon auf den ersten Blick war erkennbar, dass das wjt-Publikum keine homogene Einheit bildete, sondern dass sich die allgemein diagnostizierte Pluralisierung des Religiösen auch innerhalb der katholischen Jugend vollzieht.

So ließ sich ziemlich schnell eine Zweiteilung beobachten. Auf der einen Seite standen die zahlreich vertretenen Mitglieder der so genannten Neuen Geistlichen Gemeinschaften vom Neokatechumenalen Weg über die Fokolare- und Schönstatt-Bewegung bis hin zu Sant' Egidio, Totus Tuus und Jugend 2000 - Gemeinschaften also, die - so unterschiedlich sie im einzelnen auch sein mögen - sich alle als "konservative Elitetruppen des Papstes" dem kirchlichen Führungsanspruch fast bedingungslos unterwerfen und dem Weltjugendtag ein traditionell spirituell-religiöses Gesicht verliehen.

Auf der anderen Seite stand eine weitgehend diffuse Masse von Jugendlichen, die von Gelegenheitsbesuchern (auch mit anderer Konfession) über Papsttouristen bis hin zu in volkskirchlichen Milieus verankerten Erlebnischristen und sozial-ökologisch engagierten Verbandskatholiken reichten. Das gemeinsame Kennzeichen dieser Gruppierung lag darin, dass sie sich dem kirchlichen Führungsanspruch - mehr oder weniger deutlich - entziehen und versuchen, ihren eigenen Weg des Katholischen zu finden und zu gehen. Es waren insbesondere Mitglieder dieser Teilmenge, die dem Weltjugendtag sein popkulturelles, buntes, fröhliches, ja ekstatisches Gesicht gaben.

Deutlich wurde diese Zweiteilung beispielsweise an der inoffiziellen Weltjugendtagshymne "Viva Colonia", einem Gassenhauer der Kölner Karnevalsband "Höhner". Während die einen immer wieder das Original "Wir lieben das Leben, die Liebe und Lust, wir glauben an den lieben Gott und haben auch ständig Durst" skandierten und damit zum Ausdruck brachten, dass Religion, Lebensfreude und Spaß durchaus vereinbar sind, sangen die "konservativen Elitetruppen des Papstes" ihre eigene abgewandelte Version "Wir lieben Maria, das ganze Drumherum, wir glauben an den lieben Gott und zieh'n ins Heiligtum!" und machten sich eilig auf den Weg zum nächsten Gottesdienst.

II. Implizite Kirchenkritik

Entgegen dem von den Medien vermittelten Bild einer papst- und kirchentreuen Jugend zeigten sich - insbesondere unter den Mitgliedern der zweiten Gruppierung - deutliche "kirchenkritische" Einstellungen. Zwar wurde nur von den wenigsten eine explizite Kirchenkritik geäußert. Aber es zeigte sich auch in Köln ein für westliche Länder inzwischen typischer Grundzug jugendlicher Religiosität: eine schon selbstverständliche Souveränität im Umgang mit den dogmatischen und moralisch-ethischen Vorgaben der Kirche.

Die kirchliche Lehre wird von vielen katholischen Jugendlichen zwar als Orientierungsrahmen akzeptiert, ob dieser im Einzelfall passt, wird aber situativ entschieden. Die Jugendlichen wissen eben, dass es einen Unterschied zwischen gelehrter Religion und gelebter Religion gibt und sind in der Lage, mit diesem Unterschied selbstbewusst und eigenverantwortlich umzugehen.

Wenn die vormittäglichen Katechesen langweilig wurden, weil der Bischof in seinen Auslegungen die Lebenswelt der Jugendlichen verfehlte, dann verließ man halt die Räumlichkeit und zelebrierte seine Religiosität auf den Plätzen und Straßen in eigener Regie. Und wenn in den Massengottesdiensten in den Stadien oder auf dem Marienfeld vor der Kommunion die Ansage über Lautsprecher erfolgte, dass nur Katholiken, die in voller Einheit mit der Lehre der katholischen Kirche leben, den "Leib Christi" empfangen dürfen, dann nahm der katholische Ministrant seine evangelische Freundin an die Hand und sagte: "Lass die nur reden, komm einfach mit!"

Am deutlichsten zeigte sich diese Souveränität der jugendlichen Laien allerdings beim Streitpunkt Sexualität. In Köln war Sexualität kein Thema, und zwar nicht deshalb, weil die Jugendlichen die katholische Lehre für sich akzeptiert hätten, sondern weil es für sie inzwischen wichtigere Themen und dringlichere Anliegen gibt und sie schon lange souverän genug sind, in diesen Fragen für sich eigene Entscheidungen zu treffen. Typisch hierfür ist die Aussage einer 20-jährigen jungen Frau aus Paderborn: "Es ist gut, dass es da jemand gibt wie den Papst, der das etwas relativiert mit dem Sex, aber wie ich meine Sexualität lebe, das lass ich mir von niemandem sagen."

III. Symbol für das "Andere"

Entgegen der medialen Inszenierung des Papstes als unumstrittenes Oberhaupt einer mächtigen, hierarchisch gegliederten Institution, wurde der Papst von vielen Jugendlichen eher als eine Mischung aus "religiösem Superstar" und "moralischem Weltgewissen" erlebt, als lebendes Symbol dafür, dass es in einer sich ökonomisierenden Welt noch etwas "anderes" gibt, das wichtig ist. Der Papst präsentierte sich als die Alternative zur Mittelmäßigkeit, Unübersichtlichkeit und den vielen technokratischen Zumutungen und Freiheitsverlusten des modernen Alltags.

Jugendliche wussten es zu schätzen, dass hier jemand fest zu seinen zeitgeistresistenten Überzeugungen steht und nicht ständig opportunistisch den Leuten nach dem Mund redet, ihnen nicht mit dem "Geschwafel" von Sachzwängen und funktionalen Erfordernissen auf den Geist geht, sondern individuelle Verantwortlichkeit vor dem Hintergrund unhinterfragbarer Werte einfordert. Auf sie wirkte er als "Werte-Dinosaurier" (so ein junger Volunteer aus Süddeutschland) authentisch und glaubwürdig. Der Papst als moralisches Weltgewissen sprach die innere Sehnsucht vieler Jugendlicher nach Gewissheit, Sicherheit und Halt an.

Zudem präsentierte er sich (und damit auch seine Kirche) als das einzig noch legitime Gegengewicht zu einem überbordenden Neoliberalismus und seinem, wie er selber formulierte, akzelerierenden Werterelativismus. Das kam an, auch wenn die Jugendlichen über die Konsequenzen, die aus dieser Diagnose zu ziehen sind, wohl anderer Meinung sind als ihr Oberhaupt.

Obwohl sich zwischen der medialen Inszenierung und der Perspektive der Teilnehmer deutliche Unterschiede auftun, war der Weltjugendtag für viele der beteiligten Jugendlichen ein wichtiges und für sie gewinnbringendes Erlebnis. Abgesehen von dem "Abenteuer-Charakter" der Veranstaltung und seiner "popkulturell-lässigen Atmosphäre", die unter Beweis stellten, dass Glauben auch "cool" sein kann, war es vor allem die Erfahrung, dass man als bekennender Katholik nicht allein auf dieser Welt ist, die die Jugendlichen begeisterte.

"Ich bin nicht allein"

So meinte eine junge Abiturientin aus Berlin: "In der Schule, im Religionsunterricht, da waren wir gerade noch zwei. Da wird man schon komisch angeguckt, wenn man sagt, dass man in die Kirche geht. Aber hier, da merke ich, dass ich nicht allein bin, dass es noch viele andere gibt, die so sind wie ich!"

Sicher ist dies ein Extremfall. Das Erlebnis aber, im Glauben nicht allein zu stehen, als Katholik keine marginalisierte Stellung in seinem persönlichen Umfeld einzunehmen, sondern Teil einer großen, fröhlichen und selbstbewussten Gemeinschaft zu sein, das ist der wichtigste Eindruck, den viele Jugendliche aus Köln mit nach Hause nahmen - und in diesem Eindruck gründet wohl auch die Hoffnung auf die so oft postulierte Nachhaltigkeit des Events.

Ob diese Nachhaltigkeit aber wirklich, wie die Organisatoren des wjt hoffen, in einem gesteigerten Engagement der jugendlichen Teilnehmer in ihren Herkunftsgemeinden besteht, oder lediglich in der Vorfreude auf den nächsten Weltjugendtag in Sydney, bleibt offen.

Nachher ist vorher

Pläne, nach Sydney zu reisen, wurden in Köln jedenfalls schon geschmiedet und Absprachen, dies gemeinsam zu tun, haben viele Gruppen auch schon getroffen. Nach dem Event ist eben vor dem Event: Vielleicht liegt hier das Geheimnis des großen Erfolgs der katholischen Weltjugendtage.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Koblenz.

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