Werbung
Werbung
Werbung

Moses war auch nur ein Mensch, meint Michael Köhlmeier

Sigmund Freud, Martin Buber, Thomas Mann haben über ihn geschrieben, Michelangelo hat ihn in Stein gehauen, Rembrandt hat ihn gemalt, Charlton Heston hat ihn gespielt, DreamWorks hat ihn zum "Prince of Egypt" gemacht: Moses. Nun hat Michael Köhlmeier, der Erzähler mit der einschmeichelnden Stimme, nach "Von der Erschaffung der Welt bis Josef in Ägypten" einen zweiten Band "Geschichten von der Bibel", der ganz Moses gewidmet ist, vorgelegt. Mir ist allerdings nicht ganz klar, was das "von" im Untertitel "Geschichten von der Bibel" bedeutet. Es kann damit nicht "aus" gemeint sein, denn für die Zeit von Mose Geburt bis zur Begegnung mit dem brennenden Dornbusch sind es in meiner Bibelausgabe etwa drei Seiten, bei Köhlmeier etwa 160, bei Thomas Mann rund zehn. Auszuschließen ist auch "Geschichten über die Bibel", denn da müssten wohl auch Ergebnisse kritischer Bibelexegese von Reimarius bis Levinas in den Text eingegangen sein. Es handelt sich bei diesem "Moses" also um eine Art Roman, der von den biblischen Erzählungen, rabbinischer Literatur und jüdischen Sagen inspiriert ist.

Was wir an Moses finden, sagt viel über uns aus. Eugene Rivers etwa, Pastor einer Pfingstgemeinde in einem schwarzen Ghetto in Boston, hat aus Moses einen afrikanischen Revolutionär gemacht, der jugendlichen Gang-Mitgliedern den Weg aus der Knechtschaft der Drogen zeigt. Dem Leiter von New York City's Hebrew Union College, Norman Cohen, wurde der sprechbehinderte Prophet Vorbild, mit der eigenen Unzulänglichkeit zurechtzukommen. Was ist Moses für Michael Köhlmeier? Sicherlich nicht "the most solitary and most powerful hero in biblical history", wie ihn Elie Wiesel nennt. Wenn ich Adjektive aufzähle, die mir zu Köhlmeiers Moses einfallen, sind das: verschroben, eigenwillig, grantig, manchmal gutherzig, ironisch, unsicher, alt. Es sind nicht die Eigenschaften, die einem als erste für eine weltweite Symbolfigur für Befreiung, Gesetzgebung und Durchsetzungskraft in den Sinn kommen. Dieser Moses eignet sich überhaupt nicht als Held unterdrückter Völker oder Feind tyrannischer Machthaber.

Der Ton Köhlmeiers ist zuerst märchenhaft. Dazu kommt eine Dosis Ironie, die sich aus der Religionskritik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts speist. Sie ist heutzutage jedermanns Besitz und wird erwartet. Köhlmeier kommt entgegen, er zeigt nur auf, was nicht weh tut und produziert auch Plattheiten ("Der kleine Moses war der Sonnenschein im Haushalt des Pharao") und Stilblüten: "Und seine Tränen flossen ihm noch aus den Augen, da schlug sein Herz schon lange nicht mehr."

Ziemlich am Ende dieser fiktiven Biographie weiß der allwissende Erzähler unserer Tage, dass sich Moses nicht ganz sicher war, ob Gott auch tatsächlich mit ihm gesprochen hatte. "Der Gedanke, dass all seine Gespräche mit Gott in Wahrheit Selbstgespräche gewesen sein könnten, entsetzte ihn nicht, sondern amüsierte ihn." Denn: "Die Wahrheit ist: Moses erzog Gott." Welchen Gott hat sich Moses da "erzogen"? Man kann sich von ihm ein Bild nur im Herzen machen, er ist maßlos in Forderungen, Versprechungen, Strafen, aber auch Gnade; er wirbt um sein Volk mit den Mitteln der Unterhaltung (meist auf Kosten anderer), "ist der anspruchsvollste aller Götter", ist "ein eifersüchtiger Gott". Moses als eine Art Proto-Buddhist begegnet ihm erstmals in einem Zustand des Nichts-Wollens meditierend in der Wüste. Er lernt ihn als Gott seiner Herkunft kennen, und hat den Namen "Ich-bin-der-ich-bin".

Ein Schriftsteller ist kein Prediger, schon gar nicht ein christlicher. Ich finde es trotzdem schade, dass die Auseinandersetzung um zentrale Aspekte des biblischen Gottesbildes wie Gerechtigkeit, Parteinahme für den Schwachen, Garant der Freiheit ebenso ausgespart bleibt wie das biblische Wissen darum, dass der Gottesname eigentlich ein No-Name ist, der Gott als den Unverfügbaren garantiert. Rabbi Gunther Plaut erklärt die Unverständlichkeit des Gottesnamens damit, dass Moses danach gefragt habe, und nur für ihn sei auch die Antwort bestimmt gewesen. Was wohl meint, dass jeder für sich den Namen Gottes finden muss.

Köhlmeier sieht in Moses, nachdem er so viele griechische Mythen nacherzählt hat, auch eine Art Heros mit göttlichen Attributen, einen Erlöser nach der Art des Herakles. Walter Kaufmann, Philosoph in Princeton und bekannt für seine Nietzsche-Interpretation, meint dazu, ungeachtet aller außerordentlichen Verehrung für Moses habe diesen noch kein jüdischer Denker für etwas anderes als für einen Menschen gehalten.

Moses. Geschichten von der Bibel.

Von Michael Köhlmeier

Piper Verlag, München 2001

269 Seiten, brosch., e 9,52

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung