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Den Menschen ins Zentrum zu rücken und ihn nicht als reinen Produktionsfaktor einem ungezügelten Turbokapitalismus auszusetzen, fordert der Abt des Stiftes Heiligenkreuz, Gregor Henckel-Donnersmarck.

Ich möchte beginnen mit einem Zitat des neuen Papstes Benedikt XVI. Es wurde Kardinal Ratzinger oft vorgeworfen, er habe das einzig fortschrittsorientierte Modell einer modernen Theologie, der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, im Keim erstickt. In dem Zitat von ihm, das mir dazu eingefallen ist, macht er aber deutlich, worum es ihm dabei geht. Er sagt, durch das, was wir hier an lehrmäßiger Klarlegung uns verpflichtet fühlen vorzutragen, darf niemand entmutigt werden, für die armen Menschen zu handeln - also die Option für die Armen aufzugreifen, wie das ja die Katholische Kirche in bewusster Aufnahme von bestimmten Modellen der Befreiungstheologie getan hat. Aber er sagt auch, er habe gleichzeitig den Eindruck, dass es Menschen gibt, die die Armen sehr groß im Munde führen, aber die Angelegenheiten der Armen - und ich glaube, da schwingt die Erfahrung mit dem Marxismus mit - in ganz schrecklicher Weise verraten.

Also ein reflektierter Vorgang, der sich im Klaren darüber ist, dass es mit romantischen, gut gemeinten, theologisch kurzschlüssigen, auch von der Soziallehre her nicht begründbaren Modellen von Exodus nicht funktioniert. Oder mit der Ansicht von Leonardo Boff, einem der prominentesten Vertreter der Befreiungstheologie: "Die einzige wissenschaftliche Methode, um die Gesellschaft zu untersuchen, ist der marxistische Materialismus." Das ist ein Modell der Theologie der Befreiung aus den 1960er Jahren, das sich logischerweise inzwischen überholt hat, und das nicht nur durch angebliche Erdrosselung durch unseren jetzigen Heiligen Vater.

Für die Armen - ohne Verrat

Das Anfangszitat also: Niemand darf entmutigt werden, für die Armen etwas zu tun, aber alles muss getan werden, damit die Sache der Armen nicht verraten wird. Dieses Prinzip der Option für die Armen, angeregt von der Theologie der Befreiung und von der Katholischen Kirche ganz bewusst aufgenommen, ist einfach das, was Christus in der Synagoge von Nazareth sagt, als ihm die Heilige Schrift gereicht wird und er das Buch Jeremia an der Stelle aufschlägt, wo steht: "Ich bin gekommen, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden." Diese Stunde sei jetzt gekommen, sagt er, allerdings in Christus. Das ist also die konkrete Anwendung der Option für die Armen, im Kurzschluss im Sinne einer synergetischen Kurzverbindung mit der Heiligen Schrift.

In meiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender des Kapitalanlagegesellschaft des Bankhauses Schelhammer & Schattera wurde ich mit der Anforderung konfrontiert, einen gemischten Fonds zu ethisieren. Klingt schön, aber die alten Diplomkaufleute sagten, da könne man nichts tun, der Gewinn sei die einzige ethische Komponente, alles andere müsse sonstwie organisiert werden. Ich glaube, der Hintergrund dieser Ansicht ist, dass man früher vielleicht wirklich davon ausgehen konnte, dass in einem Zusammenwirken von vernünftigen staatlichen Regelungen und einem vorhandenen ethischen Grundkonsens in der Wirtschaft alles ohnehin gut läuft und man ohne Sorge Aktien kaufen kann. Dieses Zutrauen ist nicht mehr gegeben. Und es ist ein Anspruch jener Anleger, die mit ihrem Vermögen verantwortungsbewusst umgehen wollen, dass sie nur in Firmen investieren, die bestimmte ethische Grundregeln in ihrer Produktauswahl, in ihrer Personalbehandlung, in ihrer Achtung der natürlichen Ressourcen einhalten und so handeln, dass man kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man ihnen Geld zur Verfügung stellt und dadurch auch wieder Geld verdient.

"Arbeit" für Johannes Paul II.

Johannes Pauls II. stand als Philosoph der Frage des Sozialen in Gesellschaft und Politik vielleicht um einige Grade näher als unser neuer Heiliger Vater. Die Enzyklika Laborem Exercens von Johannes Paul II. stellt besonders das Prinzip der Personalität in großartiger Weise neu dar. Das Problem des Menschen in der Arbeit wird unter anderem dadurch charakterisiert, dass man die Arbeit auseinander dividiert, bis es am Schluss nur noch ein Konflikt zwischen Management und Labour wäre. Ich bin dankbar für das österreichische Modell der Sozialpartnerschaft, weil hier spürbar wird, dass auch das Management Verantwortung trägt, auch wenn das belastend klingt. Es sitzen in dem Modell arbeitende Menschen aus verschiedenen Bereichen miteinander am Tisch. Der Arbeitsbegriff, den Johannes Paul II. in Laborem Exercens ausspricht, ist der ganz weite Arbeitsbegriff, in der die Arbeit des Künstlers, des Hausmannes und der Hausfrau selbstverständlich als Element des arbeitenden Menschen zu denken ist, egal ob bezahlt oder unbezahlt. Alle diese Begriffe, wo sich ein Mensch engagiert, sind Arbeit. Dieser Arbeitsbegriff führt dazu, dass der Mensch sich auch verwirklichen darf. Ich habe den Eindruck, dass in den letzten Jahren diese positive Sicht der Arbeit, die Motivation abgenommen und die Kälte in der Arbeitswelt zugenommen hat.

"Humankapital"

Oft hört man dieser Tage zum Beispiel den Begriff Humankapital. Dabei sollte man nachdenklich werden. Ich halte das Wort für höchst unhuman. Der Arbeitsbegriff von Johannes Paul II. ist der, dass der Mensch Subjekt, Ursprung und Ziel der Arbeit ist; der, um den es geht und nicht der, der wie in einem Fleischwolf mit den Produktionsfaktoren Kapital und Boden zusammen zur Wurst vermahlen wird. Wenn der Mensch nur als Produktionsfaktor gesehen wird, ist das Verrat am Menschen.

Aber der Pessimismus des Club of Rome ist nicht mehr begründet, denn die Lebensmöglichkeiten und -bedingungen sind weltweit zwar nur minimal, aber doch besser geworden, weil es eine bessere Verteilung gibt. Es scheint, dass es doch bestimmte Dinge gibt, bei denen wir im wirtschaftlichen und sozialen Kontext nicht immer nur das Negative sehen sollten. Nach dem Wegfallen des Konfliktes zwischen Kapitalismus und realem Sozialismus scheint es doch einen Weg geben zu können, auf dem das gemeinsame Wohlvermögen der Menschen steigt und besser verteilt werden kann. Johannes Paul II. sah Globalisierung sogar eher positiv, weil er sagte, die weltweite Gemeinschaft, hergestellt durch Technologien der Information, der Logistik des Transportwesens, sei eine Chance, dass der Globus zusammenwachse. Allerdings sagt er, wir müssen die richtigen Vorzeichen setzen, und das ist Globalisierung in Solidarität und Subsidiarität.

'89: Sieg des Kapitalismus?

In seiner Enzyklika Centesimus Annus setzte sich Johannes Paul II. intensiv damit auseinander, was 1989 eigentlich geschehen ist. Darin hat also einer der Hauptakteure, der zum Zusammenbruch des realen Sozialismus beigetragen hat, in einer Enzyklika ausgesprochen, was 1989 geschehen ist, und er stellt in diesem Zusammenhang die Frage: "Kann man sagen, dass 1989 der Kapitalismus gesiegt habe?" Man kann die Antwort vorwegnehmen: Nein, der Kapitalismus in seiner Reinform hat sich im 19. und 20. Jahrhundert empirisch und wissenschaftlich eindeutig widerlegt. Er führt zu einer sozialen und ökologischen Katastrophe in diesem Markt, in den niemand eingreifen darf, weil er alles selbst regeln will. Der Heilige Vater gibt die Antwort aber sehr differenziert. Er unterscheidet von dieser Reinform des Kapitalismus das, was wir soziale Marktwirtschaft nennen. Das sei jener Kapitalismus, der gesiegt haben dürfe und wo die Weichenstellungen für die Zukunft, die Vorzeichen für die Globalisierung stimmen.

Man muss den Markt also vor seiner Autodestruktion bewahren, die geschieht, weil er - sofern er alleingelassen wird - so unsozial, so unverantwortlich, so gegen Menschenrechte verstoßend wird, dass er an sich selbst kollabiert. Wir müssen daher für den an sich nützlichen Markt, in dem sich ja Menschen zum Austausch von Waren und Dienstleistungen treffen, gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen. Und wir müssen jene Werte kultivieren und erhalten, die die Wirtschaft so dringend braucht.

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