Mexiko: Volk ohne Helden

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Samuel Ruiz Garcia, Bischof und langjähriger Vermittler in Mexikos Krisenprovinz Chiapas, über die Amtskirche in Mexiko, das korrupte politische System und über seine Ablöse.

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Samuel Ruiz Garcia, Bischof und langjähriger Vermittler in Mexikos Krisenprovinz Chiapas, über die Amtskirche in Mexiko, das korrupte politische System und über seine Ablöse.

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Das Problem ist nicht der Präsident, sondern das Pferd auf dem er reitet - das System!" Mit dieser indianischen Weisheit umriß Bischof Samuel Ruiz Garcia die Situation in seinem Heimatland Mexiko. Der "Vater der Indios", wie Bischof Ruiz liebevoll genannt wird, nahm letzten Samstag in Klagenfurt den "Erzbischof Romero-Preis" der Katholischen Männerbewegung Österreichs entgegen. Der mit 100.000 Schilling dotierte Preis wird seit 1981 an Personen oder Gruppen übergeben, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Auf Einladung von Missio - den Päpstlichen Missionswerken in Österreich - sprach der 75jährige Bischof der Diözese San Cristobal de las Casas in Wien über die Situation in seiner Heimat.

Beinahe sechs Jahre sind mittlerweile vergangen seit dem Aufstand der Zapatisten in Chiapas unter dem legendären "Subcommandante Marcos": Die Erhöhung des Kaffeepreises hatte das Faß zum Überlaufen gebracht. "Die ,Indigenas', die Ureinwohner Mexikos, wollten und wollen nicht mehr als Sklaven, als Menschen zweiter Klasse verstanden werden. Sie sind beinahe erstickt an der systematisierten Gewalt. Ihr Aufschrei ,Ya basta!' - ,Es reicht!' war die logische Konsequenz", warb Bischof Ruiz um Verständnis für seine Landsleute.

56 Volksgruppen leben heute in Mexiko - darunter Mayas und Zapoteken, die die Mehrheit der Bevölkerung in den Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca stellen -, sie alle wollen nicht mehr nur geduldet werden, nicht abhängig sein von einer zweifelhaften Akzeptanz, sondern sie wollen Anerkennung. Hier ortet Bischof Ruiz bereits eine Veränderung der Situation: "Mit dem Aufstand von 1994 wurden die Indigenas erstmals als Subjekt der Geschichte anerkannt, sowohl gesellschaftlich, politisch als auch in der Kirche".

Über 90 Prozent der Mexikaner sind heute noch als Katholiken gemeldet, obwohl sich laut Umfragen nur noch etwa 60 Prozent der Kirche zugehörig fühlen. Dies ist, so der Bischof, nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß sich ein Großteil der höheren Vertreter der Amtskirche mit dem korrupten System arrangiert hat.

"Die Ureinwohner Mexikos haben durch die jahrhundertlange Unterdrückung kein historisches Bewußtsein, sie haben keine Geschichte, keine Helden. Das Volk hat seine Geschichte verschüttet", verdeutlichte Bischof Ruiz die Situation. "Kann sich hier die Kirche als Lösung anbieten?" fragte Don Samuel weiter, um dies klar zu bejahen: "Der Plan Gottes steht in einem deutlichen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen, der politischen und der kulturellen Situation. Das Heilsgeschehen Gottes wird im tagtäglichen Vollzug und in der historischen Wahrnehmung sichtbar."

Auf seine persönliche Zukunft angesprochen, erwiderte Bischof Samuel Ruiz Garcia, daß er an einen reibungslosen Übergang zu seinem Nachfolger Bischof Raul Vera Lopez glaube. Als 75jähriger muß er ja dem Papst seinen Rücktritt als Bischof anbieten. Vera war vor fünf Jahren als Koadjutor in der Diözese San Cristobal de las Casas eingesetzt worden, nachdem es zu erheblichen Spannungen zwischen Ruiz und der mexikanischen Bischofskonferenz sowie der Nuntiatur gekommen war. Don Samuel wurde ein Naheverhältnis zur Befreiungstheologie vorgeworfen, sowie sich zu viel mit politischen Themen zu befassen. "Raul Vera Lopez hat den Widerspruch zwischen der Darstellung der Situation durch Vertreter der offiziellen Kirche und der Realität erkannt. Der Koadjutor hat daraufhin beschlossen, dem zu trauen, was er mit eigenen Augen gesehen hat", betonte Bischof Ruiz.

Schon am Freitag letzter Woche veröffentlichte die mexikanische Bischofskonferenz ein - vom Nuntius mitunterzeichnetes - Kommunique, in dem auf das alleinige Recht des Papstes bei der Bestellung von Bischof Ruiz' Nachfolger hingewiesen wird.

Der Nuntius soll sogar begonnen haben, einen neuen Dreiervorschlag dafür zu erstellen - obwohl das Kirchenrecht klar ist, wie auch Bischof Ruiz betont: "Als amtierender Koadjutor hat Bischof Vera das Recht auf meine Nachfolge. Er müßte abgesetzt werden, um das zu verhindern!"

Der Autor ist Mitarbeiter von Missio Austria.

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