Mischehen sind Hoffnungsträger

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Der Franziskaner Marko Orsoli'c leitet ein multireligiöses Dialoginstitut in Sarajewo. Er erzählt übers schwierige Verhältnis der Religionen in seiner Heimat.

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Der Franziskaner Marko Orsoli'c leitet ein multireligiöses Dialoginstitut in Sarajewo. Er erzählt übers schwierige Verhältnis der Religionen in seiner Heimat.

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Fünf Jahre nach dem Friedensabkommen in Dayton sind die ethnischen Spannungen in Bosnien-Herzegowina immer noch ungelöst. Für die meisten Vertriebenen ist die Rückkehr nur dorthin möglich, wo sie in der Mehrheit sind. Gemischte Ortschaften gibt es kaum.

Die ethnischen Spannungen werden auch durch religiöse verstärkt. So sind in der Republika Srpska, dem "serbischen" Teil Bosniens, alle Moscheen vernichtet worden. Noch Anfang Mai haben serbische Nationalisten verhindert, dass in Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska eine Moschee aufgebaut wird (vgl. furche 20/2001, Seite 6). Erst vor wenigen Tagen konnte die Grundsteinlegung nachgeholt werden - unter massivem Polizeischutz; auch in den Ortschaften Kosarec und Trebina ist es nur mit großer Mühe gelungen, muslimische Gotteshäuser zu renovieren.

Religion und Nation "Die ganze Angelegenheit ist stark politisiert", meint Franziskanerpater Marko Orsoli'c, der in Sarajewo das internationale multireligiöse und interkulturelle Zentrum "Zajedno" ("Gemeinsam") leitet. Orsoli'c war gemeinsam mit Vertretern der anderen Konfessionen und Religionen Bosniens nach Wien gekommen, um beim (Bosnisch-)Kroatischen Kulturverein "Napredak" über das Gemeinsame und Trennende von Christen, Juden und Muslimen zu diskutieren (zum Verein "Napredak" siehe Kasten unten).

Kroaten und Muslime können, so Orsoli'c, kaum in die Republika Srpska zurückkehren. Auch den Serben ist es nicht möglich, kroatische oder muslimische Ortschaften zu bewohnen. Das ist ein Problem nicht nur für Politiker, aber auch für Theologen. Denn die Religion ist mit der jeweiligen Nation in Bosnien stark verbunden. Ein Kroate wird gleich mit der katholischen Kirche identifiziert, ein Serbe mit der orthodoxen und ein Bosniake mit dem Islam. Daher ist Orsoli'c überzeugt: Ein multireligiöser Dialog zwischen allen religiösen Gruppen muss geführt werden, damit die Flüchtlinge in ihre früheren Häuser zurückkehren können.

Als besonders kompliziert charakterisiert der Franziskanerpater die Gespräche mit den Muslimen: Mit der Hilfe und dem Geld von Saudi-Arabien wurden in der letzten Zeit in Bosnien viele Moscheen aufgebaut oder renoviert. Besonders dramatisch sei die Situation in Sarajewo, wo - fast über Nacht - 60 Moscheen entstanden seien. Viele davon würden aber nicht benutzt, weil einfach die Gläubigen fehlen. Aber nicht nur die vielen Moscheen machen, so Orsoli'c, anderen Glaubensgemeinschaften das Leben in Bosnien schwer. "Zur Zeit des Bürgerkrieges sind zu uns viele afghanische Fundamentalisten gekommen", erzählt er: "Sie haben eigene Dörfer aufgebaut und dort islamische Schulen, so genannte ,wehawia' eröffnet. In diesen Schulen werden die gefürchteten ,Gotteskämpfer' ausgebildet. Diese Studenten sind sehr aggressiv. Vor kurzem haben sie in Sarajewo einer katholischen Nonne das Kreuz vom Hals gerissen. Diese Tat hat eine Welle der Empörung in der ganzen Gesellschaft ausgelöst."

Als schwieriger Gesprächspartner erweist sich nach den Worten von Orsoli'c auch die serbisch-orthodoxe Kirche. So hätten etwa die orthodoxen Metropoliten Nikolaj und Grigorje die Störaktion gegen den Moscheebau in Banja Luka ausdrücklich befürwortet. Solche Vorfälle hätten aber wiederum zur Folge, dass in anderen Teilen von Bosnien-Herzegowina serbisch-orthodoxe Kirchen weiter vernichtet werden. Um diesem Prozess entgegenzuwirken haben vor kurzem die orthodoxen Hierarchen vorgeschlagen, ihre Gotteshäuser zu verstaatlichen. Der Staat würde diese Bauten dann nicht nur beschützen, sondern auch renovieren müssen. Pater Orsoli'c: "Solange aber die Politik mit der Religion vermischt wird, solange wird Bosnien nicht zur Ruhe kommen". Orsoli'c ist in Bosnien-Herzegowina auch der Initiator der interreligiösen Gespräche, die regelmäßig abgehalten werden. An diesen Gesprächen nehmen Vertreter der islamischen und jüdischen Gemeinde sowie seitens der katholischen Kirche der Erzbischof von Sarajewo, Kardinal Vinko Pulji'c, und von der serbisch-orthodoxen Kirche Metropolit Nikolaj teil: "Solche Gespräche zu führen ist notwendig - nicht nur zwischen den höchsten Vertretern der Hierarchie dieser Glaubensgemeinschaften. Auch Gruppen an der Basis sollten sich daran beteiligen. Nur so werden wir die Arbeitsweise der Politiker und der religiösen Hierarchien ändern und gegenseitige Vorurteile abbauen können. Als internationales multireligiöses Zentrum motivieren wir auch Theologen und Laien, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen. Unsere Tätigkeit wollen wir auch im Kosovo und in Mazedonien entfalten. Doch in vielen Fällen ist es schon zu spät. So besteht immer eine latente Gefahr, dass der Glaube vor allem durch nationalistische Politiker missbraucht wird."

Grenzen überschreiten Darauf hat auch Papst Johannes Paul II. bei seiner Visite in Sarajewo hingewiesen und betont, dass der Nationalismus zu den Hauptproblemen in Bosnien gehört. Doch die Menschen in Bosnien-Herzegowina sind nicht stark genug, um jeden Missbrauch der Religion für politische Zwecke anzuprangern. So ist ein Dialog notwendig. Doch dieser ist schwer, weil die Angst davor, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Glaubensgemeinschaften, die sowieso an den einen Gott glauben, verwischt werden, groß ist.

Die wichtigste Rolle in diesem Prozess spielen die Mischehen, ist Pater Orsoli'c überzeugt: Jene Eheleute, die aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften stammen, sind auch an der Fortsetzung dieses Dialogs am meisten interessiert. "Unser Institut, das vor zehn Jahren in Sarajewo gegründet wurde, bemüht sich, die multireligiöse Art des Lebens zu unterstützen. Wir veranstalten gemeinsame Gebete und Meditationen. Wir wollen den Menschen zeigen, dass die Religion sie nicht trennt, sondern im Gegenteil ihre Koexistenz fördert. So möchten wir auch diese Ehen, deren Partner aus verschiedenen Religionsgemeinschaften kommen, in ihrem Vorhaben, zusammenzuleben, stärken. Die Kinder aus solchen Familien wollen nicht mehr zwischen der Religion des Vaters und der Mutter unterscheiden und sind nun am religiösen Dialog interessiert. Und eben diese Menschen wollen wir geistig unterstützen. Auf diese Weise helfen wir auch den vielen Flüchtlingen, die nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren wollen. Bislang ist unser Institut im Kontakt mit etwa 2000 Leuten, die in Mischehen leben. Diese Familien sind ein sichtbares Zeichen für andere, dass man multireligiöse Probleme zuerst in der Familie und dann in der Gesellschaft lösen kann."

"Unser Institut bemüht sich auch", so Orsoli'c abschließend, "die orthodoxe Hierarchie zu beeinflussen. Etwa ein Fünftel der Bischöfe dieser Glaubensgemeinschaft unterstützt nationalistisches Gedankengut offiziell . Unser Institut appelliert an die Menschen, mehr Verantwortung für ihre Kirchen zu tragen und die ,Außenpolitik' ihrer Hierarchen stärker zu beeinflussen. Die Menschen sollen verstehen, dass sie wie wir an einen Gott glauben, der gekreuzigt wurde und gestorben ist. Wir wollen sie nicht bekehren, sondern nur zu einem religiösen und ethnischen Dialog bewegen. Auf diese Weise werden sie lernen, über ihre Versöhnung zu reden."

Kroatischer Kulturverein "Napredak" Seit sechs Jahren unterstützt der Kroatische Kulturverein "Napredak" Studenten aus Bosnien und der Herzegowina mit Stipendien. Auch furche-Leser spendeten für diesen Zweck - bisher schon 150.000 Schilling. 18 Stipendien sollen im kommenden Arbeitsjahr vergeben werden. Um die notwendigen finanziellen Mittel dafür aufzubringen, bittet "Napredak" auch heuer um Spenden: Dieser furche-Ausgabe liegt ein Zahlschein dazu bei. Es kann aber auch direkt auf das Konto Nr. 41462852017, BLZ 40000, "KKV Napredak", Verwendungszweck: "Aktion die furche und KKV Napredak", eingezahlt werden.

Weitere Informationen: Napredak, 1090 Wien, Canisiusgasse 16, Tel. & Fax: 01/3170256.

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