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Kaum eine Friedensvision wird so hochgeschätzt und zerrissen wie das "Projekt Weltethos": Kann das Bewusstsein globaler gemeinsamer Werte tatsächlich zum Frieden unter den Religionen und Kulturen führen? Oder ist die Welt komplizierter, als Hans Küng uns glauben machen will?

Kein Regisseur hätte es besser zu inszenieren vermocht: Am 9. November, knapp zwei Monate nach den Terroranschlägen von New York und inmitten eines sich zuspitzenden Nahostkonflikts, verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution: die "Global Agenda for Dialogue among Civilizations". Damit sollte das vom iranischen Präsidenten Mohammed Khatami angeregte "Internationale Jahr des Dialogs der Kulturen 2001" seinen finalen Höhepunkt erreichen - und dem Weltethos-Projekt des Hans Küng seinen bisher größten Erfolg bescheren.

In der Agenda wurde nämlich all jenes offiziell anerkannt, was der rastlose Tübinger Theologe mit Schweizer Wurzeln seit zwei Jahrzehnten predigt: Nur durch den Dialog zwischen den Kulturen und Religionen werde die Ausarbeitung gemeinsamer ethischer Standards vorangebracht. Und nur durch diese gemeinsamen ethischen Standards sei ein Überleben des Globus in Frieden und Gerechtigkeit möglich. Anders gesprochen: "Kein Überleben ohne ein Weltethos" - wie es schon in Küngs Programmschrift "Projekt Welt-ethos" (1990) hieß.

Der Weg dieses Gedankens an die Spitze der UNO war freilich hart erkämpft: Ihren Ursprung fand die Idee wohl in jenen Jahren, als der ehemalige Konzilstheologe und leidenschaftliche Romkritiker die größte Enttäuschung seines Lebens erfuhr: den Entzug der kirchlichen Lehr- befugnis im Jahr 1979. Doch die Universität Tübingen fand für den Verstoßenen eine Lösung: Sein Institut für ökumenische Forschung wurde aus der katholisch-theologischen Fakultät ausgegliedert und direkt dem Universitätspräsidenten unterstellt. Folglich wandten sich auch die wissenschaftlichen Interessen Küngs vom Katholizismus ab und den Weltreligionen zu. Herausgefordert vom "epochalen Paradigmenwechsel", den die Globalisierung in Politik, Wirtschaft und Kultur mit sich brachte, fanden seine religionswissenschaftlichen Vorarbeiten schlussendlich ihre Zusammenschau in einem schmalen Bändchen. Sein etwas prätentiöser Titel: "Projekt Weltethos".

Die Stoßrichtung war klar: Angesichts der weltpolitischen Umwälzungen bedürfe es eines globalen, säkularen Ethos für Glaubende und Nichtglaubende, das auf Basis des vorhandenen ethischen Grundkonsenses aller Weltreligionen zu fördern sei. Auch wenn religiös Nichtglaubende in diese "Koalition" eingebunden sind, seien nach Küng die Religionen mit ihrer Fähigkeit zur sittlichen Motivation am besten in der Lage, "Millionen Menschen für ein Weltethos zu mobilisieren".

Worin besteht nun jener ethische Minimalkonsens, in dem nach Küng alle Weltreligionen übereinstimmen? Zum einen im so genannten "Prinzip der Menschlichkeit": "Jeder Mensch - ob Mann oder Frau, weiß oder farbig, reich oder arm, jung oder alt - muss menschlich behandelt werden." Zum zweiten in der "Goldenen Regel", die etwa Christen in der Positiv-Version aus der Bergpredigt kennen (Mt 7,12): "Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu." In vier zentralen Lebensbereichen würden diese Prinzipien entfaltet und die Menschen zur Verantwortung rufen - für eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben, - für eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung, - für eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit und - für eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau.

Obwohl nicht unumstritten, zog die emphatische Programmschrift bald Kreise: 1993 verkündete das Parlament der Weltreligionen in Chicago eine "Erklärung zum Weltethos". Durch die Spende eines Förderers kam es 1995 zur Gründung der Tübinger Stiftung Weltethos, aus deren Zinserträgen seither ein Team unter der Leitung Hans Küngs und seiner "rechten Hand" Karl-Josef Kuschel (siehe Seite 21) Projekte in aller Welt organisiert. Auf Basis der Weltethos-erklärung schlug schließlich 1997 der InterAction Council, eine Gruppe ehemaliger Staats- und Regierungs-chefs mit Helmut Schmidt an der Spitze, die "Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten" vor.

Indessen reiste Küng als Botschafter des Weltfriedens rund um den Globus und warb für sein Projekt - mit Erfolg: Persönlichkeiten wie Roman Herzog, Rigoberta Menchu, Teddy Kollek oder Kardinal Franz König sagten mehr oder weniger ausdrücklich "Ja zum Weltethos". Auch der Papst unterstützte im April das Anliegen im Rahmen seiner Rede vor der Päpstlichen Sozialakademie - freilich ohne das Projekt oder gar dessen Ziehvater beim Namen zu nennen. Zugleich formierten sich Küngs Kritiker: Die einen sahen in ihm einen "Weltpolitiker ohne Mandat" (Gerhard Henschel), andere befanden das Projekt wegen seines hohen Anspruchs als "obszön" (Eckhard Henscheid) oder äußerten gegenüber einem "Welt-ethos als Projekt" grundsätzlichen Nihilismusverdacht (Robert Spaemann).

Küng blieb unbeirrt - und scheint nun vorläufig am Ziel zu sein: Als Mitglied eines 20-köpfigen Expertengremiums, das UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger Kofi Annan berufen hatte, erarbeitete er einen Bericht zum Dialog der Kulturen und gab am 9. November vor der UN-Vollversammlung ein Statement ab (siehe Kasten links). Soeben ist der Bericht auch als Buch erschienen. Sein Titel: "Brücken in die Zukunft".

Tatsächlich wurde eine erste Brücke überquert: Der Weltethos-Gedanke hat UN-Niveau erreicht. Wie er jedoch die interessengeleitete internationale Politik - und den Dialog der Religionen - zu prägen vermag, bleibt abzuwarten.

Informationen zum Projekt Weltethos

unter www.weltethos.org

BRÜCKEN IN DIE ZUKUNFT. Ein Manifest für den Dialog der Kulturen. Eine Initiative von Kofi Annan. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2001. 267 Seiten, TB, öS 140,-/e 10,-

PROJEKT WELTETHOS. Von Hans Küng. 6. Aufl. Verlag Piper, München 2000. 192 Seiten, kart., öS 131,-/e 8,90

Küng vor der UNO

"Einige Politologen sagen für das 21. Jahrhundert einen ,Zusammenprall der Kulturen' voraus. (...) Die Religionen und Kulturen der Welt (...) können einen solchen Zusammenprall vermeiden helfen, vorausgesetzt, sie verwirklichen die folgenden Einsichten: Kein Friede unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Friede unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne globale ethische Standards. Kein Überleben unseres Globus in Frieden und Gerechtigkeit ohne ein neues Paradigma internationaler Beziehungen auf der Grundlage globaler ethischer Standards."

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