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Mission und Psychiatrie

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Die Berufung an die Catholic University (Fu-Yen) in Peking gab dem Verfasser 1948 Gelegenheit, Ostasien als Ner-ven-a r z t kennenzulernen. Das eigentliche Ziel, Peking, wurde infolge des chinesischen Krieges nicht mehr erreicht, wohl aber konnte der Autor in Schanghai an der dortigen (protestantischen) St.-John-University Vorlesungen halten. Sein wissenschaftliches „Hauptquartier“ konnte er dann in Singapore aufschlagen, zufolge einer Berufung an das dortige „King Edward VII. College of Medicine“. Drei Universitäten finanzierten somit diese Forschungsreise: die Universität Innsbruck bestritt den Unterhalt der zurückgebliebenen Familie, die Universität Singapore den Aufenthalt in Malaya, die Reisekosten die Fu-Yen-Universität in Peking. Ihrem Protektor, P. Kappenberg, Generalsuperior S. V. D., auch an dieser Stelle zu danken, ist mir ein Bedürfnis. Er hat in seltener Weise erkannt, welche Bedeutung Psychiatrie und medizinische Psychologie gerade für eine katholische Hochschule haben. D. V.

Das Wort von P. Thomas Moore OSB. (Professor em. für Psychiatrie an der Catholic University in Washington DC.USA), ,.There is a crying need for catholic Psychiatric Clinics“, gilt auch für Missionsgebiete, vor allem für China, wo etwa nur ein „psychia-trisehei Bert“ uf ein Million Menschen entfällt. Praktisch gab es ja nur zwei Anstalten für Geistesgestörte in ganz China, von denen ich eine, Min-Hong, bei Schanghai kennenlernte. Sie ist eine Gründung von Frau F. Halpern (Professor für Psychiatrie an der St.-Johns-University in Schanghai, früher Wien). Es ist ein Zeichen für den Weitblick Lo-Pa-Hongs, des katholischen Phiiantropen von Schanghai, daß er gerade ein psychiatrische Anstalt erbaute. Denn den Chinesen fehlt für dieses Fach der Heilkunde meist das Verständnis; dementsprechend traurig ist auch vielfach dos Los der Irren, überhaupt im Orient: Gefängnis, Tod durch Hunger oder Mord.

Damit allein ist wohl die Berechtigung, ja Verpflichtung gerade für die katholische Mission und ihre Anstalten gegeben, sich der Irrenpflege und -bebandlung anzunehmen, um so mehr ab die bisherigen katholischen Hochschulen und Krankenhäuser im Orient dieses Fach vernachlässigt haben. Dies ist um so bedauerlicher, als es sich ja bei der Psychiatrie um eine Disziplin handelt, die aufs innigste mit Weltanschauungsfragen verknüpft ist. Aus Teil- und Scheinergebnissen auf diesem Gebiet waren daher in den letzten Jahrzehnten Waffen gegen die Religion geschmiedet worden, denen damals oft nichts Entsprechendes gegenübergestellt werden konnte, da die fachlichen Voraussetzungen fehlten. Hier hat sich ja in verschiedenen Ländern seither ein erfreulicher Wandel vollzogen, in der Erkenntnis, daß der medizinischen (Tiefen-) Psychiologie eine apologetische Bedeutung zukommt und somit christlichen Psychiatern eine apostolische Mission obliegt. Erinnert sei nur an die Tagung der Internationalen Gesellschaft für katholische Tiefenpsychologie 1949 in Notre-Dame du Bec bei Paris, ferner an die bei „Tyrolia“, Innsbruck, Austria, erscheinenden ..Blauen Hefte“ über Grenzfragen: „Medizin — Philosophie — Theologie“ usw.

Die Missionsgesellschaft, die einen Nervenarzt an ihren Spitälern anstellt oder an ihre Lehranstalten beruft, hat also sicheren Gewinn auch für ihre eigene religiöse Arbeit zu erwarten. Dies gilt vor allem für jene Länder, wo der Dämonenglaube noch eine große Rolle spielt. Hier das Krankhafte zu erkennen, ist die dankbare Aufgabe des Psychiaters, um zu helfen, zwei Irrtümer zu vermeiden: kritiklose „Wundersucht“ auf der einen Seite und engstirnige Ablehnung alles Parapsychologischen und Paraphysischen durch überhebliche Schulmediziner auf der anderen Seite.

Noch größer ist aber wohl der Vorteil, den die Medizin, vor allem die Psychiatrie, daraus zieht, daß man ihren Vertretern die Möglichkeit zur Arbeit unter Exoten gibt. Denn medizinische Fakultäten in den verarmten Universitäten Europas werden nur ßelten ausgedehntere Forschungsreisen für Psychiater finanzieren wollen und noch seltener können. Der Mission hingegen mit ihrem weitverzweigten Netz von Zwischenstationen von der Heimat bis mitten in den Eschungel fällt die Durchführung der Reise, der Beratung bei der Ortswahl usw. viel leichter. Gerade das Sprachenproblem ist für die Psychiatrie von besonderer Bedeutung. Das Ideal, die Erlernung der betreffenden Eingeborenensprache, wird sich schon aus Zeitmangel selten verwirklichen lassen. Bei dem Sprachengewirr, etwa wie in Singapore und andernorts, wird mit einem Idiom gar nicht das Auslangen gefunden. Für die sprachlichen Feinheiten der psychiatrisch geführten Diskussionen bedarf es daher schon williger und genauer Übersetzer, die außerdem weder spöttisch erhaben, noch furchtsam sind; letzteres ist wichtig bei der magischen Einstellung, mit der Orientalen vielfach Geisteskranken gegenübertreten. Hier ist die Hilfe der Mission von überragender Bedeutung.

Welche Fundgruben medizinischer, vor allem psychiatrischer Erkenntnis noch der Erschließung harren, möge nur ein Beispiel aus Malaya dartun: der bekannte Amoklauf (Dämmerzustand mit Mord- und Selbstmordversuchen), ferner Latah (hysterieforme Echolalie und Echopraxie) und schließlich Koro (Kastrationsangst unter seltsamen Symptomen). Besonders die zwei letzteren Krankheitsbilder sind in Europa auch in Fachkreisen kaum bekannt, geschweige denn geklärt.

Unerwähnt soll bleiben die Anzahl von somatischen Krankheiten, die, da in Europa sehr selten, an Ort und Stelle einer genaueren Besdireibung und Therapieangabe bedürften. Umgekehrt kann das Fehlen von Krankheiten, zum Beispiel in Asien, wie „Multiple Sklerose“, ein Nervenleiden, das in Europa und Amerika zunimmt, anregen zur Erforschung der Gründe, warum diese Krankheit dort nicht vorkommt. Das Ergebnis kann zu Schutz- und Therapiemaßnahmen führen, die der Heimat zugute kommen. Längeres Studium in Nord-, Mittel- und Südamerika sowie ein kürzerer Aufenthalt im Vorderen Orient hatten in früheren Jahren nur entsprechende Teilerkenntnisse gebracht. Erst Ostasien gab die Gewißheit: vergleichende Medizin, vor allem vergleichende Psychiatrie, ist ein Gebot der Stunde. Hier könnte sich die Mission ähnliche Verdienste für die Wissenschaft erwerben, wie dies bereits auf völkerkundlichen und anderen Gebieten in vorbildlicher Weise geschehen ist. Auch das eigentliche Missionarische würde dabei gewinnen. Zur Psychologie der Bekehrung und der Frömmigkeit usw. gibt es seit James unter anderem vorzügliche Bücher, aber wohl für das Abendland. Dank der erwähnten Arbeiten klärten sich hier auch auf psychiatrischem Gebiet die angrenzenden Probleme. Längst wird nicht mehr alles als Hysterie, als schizoides Symptom, als überwertige Idee usw. ins Pathologische gewiesen, was immer an Außergewöhnlichem, etwa bei frommen Europäern auftritt. Wo sind aber die Grenzen für einen Konvertiten aus einer der asiatischen Religionen? Als Schiffsarzt unter mohammedanischen Matrosen • im Ramadam, als Gast im Buddhistenkloster oder in Hindutempeln lernt man einen wesentlich anderen Wertmesser kennen für körperliche und seelisdie Haltungen, die durchaus als normal zu bezeichnen sind. Man muß nur den westlichen Maßstab beiseitelegen. Dies fällt den durch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte ernüchterten Europäern leichter als unseren Vorfahren.

Damit die Mission aus dem kürzeren oder längeren Aufenthalt eines Nervenarztes aber den größtmöglichen Nutzen ziehe, bedarf es einer geeigneten Vorbildung, wie sie etwa an missionsärztlichen Instituten gepflegt wird. Diese sollten aber ihre Überbetonung der somatischen Medizin zugunsten einer besseren Ausbildung in Psychiatrie ändern. Vertrautheit mit tiefenpsychologischen Test- und Behandlungsmethoden ist wohl eine Notwendigkeit. Vertrautheit damit wäre von Nutzen für alle missionarisch Wirkenden, ob Priester oder Laien, auch für die Auswahl derselben bereits in der Heimat. Denn die Hauptbelastung in Übersee, besonders in den Tropen, ist ja nicht so sehr eine körperliche als eine seelische.

Zur Lösung dieser Aufgaben bedarf es vor allem einer Arbeitsgemeinschaft aus Missionären, Ethnologen, Psychologen und Psychiatern mit fallweisen Tagungen und eines Mitteilungsblattes bei einer der bestehenden internationalen Missionszeitschriften.

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