Mit den Christen muss man rechnen

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Längst ist die katholische Kirche Nigerias kein "Missionsobjekt" Europas mehr. Im Gegenteil: Ein Gespräch mit Simon A. Okafor, Bischof von Awka im Süden Nigerias.

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Längst ist die katholische Kirche Nigerias kein "Missionsobjekt" Europas mehr. Im Gegenteil: Ein Gespräch mit Simon A. Okafor, Bischof von Awka im Süden Nigerias.

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Noch im Februar 2000 sieht es so aus, als sei das Projekt "Demokratie für Nigeria" gescheitert: Drei Tage lang steht die nordnigerianische Stadt Kaduna in Flammen. Ungefähr 600 Menschen werden getötet, Kirchen, Moscheen und Häuser zerstört und geplündert. Auslöser der Gewalt: Die 19 muslimischen Staaten im Norden Nigerias wollen die Scharia einführen - das islamische Strafrecht, das Amputationen als Strafmaßnahmen oder eine strikte Kleiderordnung vorsieht. Tausende von Christen fliehen aus dem Norden. Im Süden wiederum kommt es zu Racheaktionen an Muslimen. Noch nicht einmal ein Jahr nach der Vereidigung des demokratisch gewählten Präsidenten Olusegun Obasanjo am 29. Mai 1999 steht das bevölkerungsreichste Land Afrikas nach 16 Jahren Bürgerkrieg erneut vor einer Zerreißprobe.

Klares Wort der Kirche "Die Einführung der Scharia durch die Muslime war ein großer Fehler", urteilt Simon Okafor, seit 1994 Bischof der Diözese Awka. "Vier oder fünf Staaten haben sie jetzt. Doch ein zweites Rechtssystem in Nigeria ist nicht akzeptabel." Auch die Bischöfe der 45 Diözesen Nigerias fanden auf ihrer Vollversammlung im März 2000 klare Worte zur Lage der Nation: In einer gemeinsamen Erklärung protestieren sie gegen die Zersplitterung Nigerias und forderten eine einheitliche Gesetzgebung für alle Staaten. Keine Religion solle in der Verfassung einen Sonderstatus haben. Gleichzeitig kritisierten die Bischöfe mangelnden Reformeifer des Gesetzgebers und die ungezügelte Korruption in Nigeria. "Die Christen und auch die Bischofskonferenz sind eine Macht, mit der man in Nigeria rechnen muss", sagt Simon Okafor selbstbewusst. Bei Präsident Obasanjo - selbst Christ, wie die Hälfte der Bevölkerung - stoße man mit allen Vorschlägen auf offene Ohren.

Allerdings ist die wirtschaftliche Lage immer noch schlecht, berichtet Okafor. Die aus den reichen Erdölvorkommen im Süden Nigerias erwirtschafteten Gewinne flössen nach wie vor in die Taschen von Einzelnen. Ein Drittel aller Nigerianer lebt unter der Armutsgrenze, fast die Hälfte sind Analphabeten. Für die finanzielle Hilfe Österreichs beim Bau von Spitälern und Schulen sei man daher in Awka sehr dankbar, betont Okafor. Der Gouverneur habe versprochen, dem Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, ein Grundstück zu schenken. Hier soll eine Schule für Technik und Handwerk entstehen. "Wir erwarten von den Österreichern und vom Kardinal, am Bau mitzuhelfen."

Aaron Ekwu, verehrt Die Schule soll den Namen des Priesters tragen, der heute noch die Diözese Awka mit der Erzdiözese Wien verbindet: Aaron Ekwu. Der 1936 geborene Nigerianer kam 1961 zum Studium nach Wien, wo er vier Jahre später von Kardinal Franz König zum Priester geweiht wurde. Fünf Jahre lang war er Kaplan im zehnten Wiener Gemeindebezirk. 1970 kehrte er nach Nigeria zurück, wo er 1989 bei einem Autounfall ums Leben kam. Sein Lachen und seine Fröhlichkeit blieben sowohl in Wien als auch in Awka unvergesslich: Viele Menschen verehren ihn hier wie dort wie einen Heiligen. Seit Februar diesen Jahres betreiben daher die beiden Erzdiözesen Wien und Onitsha sowie die Diözese Awka seinen Seligsprechungsprozess.

Simon Okafor, der gemeinsam mit Aaron Ekwu 1951 seinen Weg als Priester mit dem Eintritt ins Knabenseminar begann, erinnert sich: "Er war ein guter Mensch - ein liebevoller Mann, der andere Menschen akzeptiert hat, wie sie waren. Ein freundlicher und glücklicher Mensch - das war Aaron. Er war sicher seiner priesterlichen Berufung immer bewusst: Nie verließ er jemanden, ohne ihn vorher zu segnen. Man konnte ihn nur gern haben!"

Zum Seligsprechungsprozess meint Okafor, der Mangel an Personal und Kommunikationsmitteln mache ein rasches Voranschreiten des Prozesses unmöglich. "Wir lassen uns Zeit. Die Geschwindigkeit, mit der in Österreich gearbeitet wird, ist eine andere als die unsere." Er habe einen Priester mit der Sammlung und Sichtung des Materials beauftragt. In der Diözese Awka erinnert das Gesundheitszentrum "Aaron Ekwu Memorial Hospital" bereits an den potenziellen Seligen.

Der Bischof, aus dessen Diözese derzeit sechs Priester in Österreich tätig sind, unterstreicht selbstbewusst die Bedeutung der nigerianischen Kirche für die katholische Welt: die Sendung von Priestern zur Mission in "alle Länder der Erde". Allein in seiner 23 Jahre jungen Diözese mit ihren 600.000 Katholiken gibt es 900 Priesterseminaristen. "Wir brauchen für ihre Ausbildung Hilfe von Österreich, denn wir haben viele Berufungen", sagt Okafor stolz: "Wir bilden intelligente und hochbegabte Leute aus, die in jeder Kultur sehr anpassungsfähig sind und von den Österreichern sehr gut aufgenommen werden. Wir danken ihnen für ihre Opferbereitschaft, Österreich und der katholischen Kirche zu helfen."

"Bekommt Kinder!"

Der Einsatz ausländischer Priester in Österreich sei zwar nicht die Lösung des Priestermangels, aber immer noch besser als gar keine Priester. "Früher sind Priester von Europa und Amerika nach Afrika gekommen. Jetzt ist es umgekehrt" sagt Simon Okafor, der im Materialismus der Europäer einen Hauptgrund für den Priestermangel sieht: "Wie sollen wir Berufungen fördern, wenn keine Kinder da sind? Ihr müsst Kinder bekommen. Nicht Geburtenkontrolle betreiben und gar kein Kind oder nur ein Kind bekommen! Wenn ihr nur einen Sohn in der Familie habt, ist es nicht leicht ihm zu erlauben, Priester zu werden. Aber wenn es drei oder vier sind, dann könnt ihr zu einem sagen: Werde Priester!"

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