"Mit Scham und Reue geben wir zu "

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In einem einzigartigen Schreiben nimmt Papst Franziskus zu den kirchlichen Missbrauchsskandalen, die zuletzt durch den Bericht der Grand Jury von Pennsylvania in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen sind, Stellung. Klare Worte, aber keine Handlungsverpflichtungen.

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In einem einzigartigen Schreiben nimmt Papst Franziskus zu den kirchlichen Missbrauchsskandalen, die zuletzt durch den Bericht der Grand Jury von Pennsylvania in den Fokus der Öffentlichkeit gekommen sind, Stellung. Klare Worte, aber keine Handlungsverpflichtungen.

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Einen "Brandbrief" habe Franziskus am Montag veröffentlicht, titelte die Kathpress. Tatsächlich markiert das "Schreiben an das Volk Gottes" etwas bislang Unerhörtes: Der Papst nimmt darin in scharfer Klarheit zu den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche Stellung, die zuletzt durch den Bericht der Grand Jury von Pennsylvania, der penibel den Missbrauch von 300 Priestern an mehr als 1000 Kindern und Jugendlichen während der letzten 70 Jahre auflistet, wieder in den öffentlichen Fokus gerückt sind.

Was den Bericht so brisant macht, ist die Tatsache, dass da auch die systematische Vertuschung der Fälle durch die Kirche offenbar wird. Nach dem emeritierten Washingtoner Kardinal Theodore McCarrick, der persönlich zahlreicher Missbrauchsfälle beschuldigt wird, und den Franziskus aus dem Kardinalskollegium entließ, steht nun auch dessen Nachfolger, Kardinal Donald Wuerl, in der Kritik: Wuerl habe in den 18 Jahren als Bischof von Pittsburgh, Pennsylvania, priesterliche Missbrauchstäter versetzt und nicht aus dem Verkehr gezogen. Wuerl hat aus diesem Grund seine Teilnahme am dieser Tage in Dublin stattfindenden Weltfamilientreffen abgesagt.

Weltfamilientreffen in Dublin

Zum Weltfamilientreffen kommt der Papst am 25. und 26. August nach Irland, und es schien undenkbar, dass er dort nicht auf die Missbrauchskrise zu sprechen kommt - auch die irische Kirche ist seit Jahren von den diesbezüglichen Skandalen gebeutelt. In den letzten Tagen hatten sowohl der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, sowie sein Namensvetter Eamon Martin, Erzbischof von Armagh und Primas von Irland, festgestellt, der Papst könne nicht nach Irland kommen, ohne das Missbrauchsthema anzugehen. Man erwarte sich von Franziskus, so Diarmuid Martin, keine bloße Entschuldigung, sondern Taten. Ins gleiche Horn stieß die irische Ordensfrau Marie Collins, die als Missbrauchs opfer der Päpstlichen Kinderschutz-Kommission angehört hatte, diese aber wegen deren ihrer Meinung nach nicht adäquaten Umgangs mit der Missbrauchskrise wieder verlassen hatte.

Das Weltfamilientreffen, das den Fokus auf eine pastorale Sicht der Familie, wie sie das Päpstliche Schreiben "Amoris laetitita" propagiert, legen wollte, wird so von der Missbrauchsthematik dominiert. Dabei wäre die Intention, den realen Familien Hoffnung und Stärkung zu bieten und nicht auf ein kaum lebbares idealisiertes Familienbild zu setzen, durchaus eine brennende Herausforderung, der sich die katholische Kirche zu stellen hätte.Zuletzt sagte auch der Bostoner Kardinal Seán O'Malley, immerhin der Leiter der Päpstlichen Kinderschutz-Kommission seine Teilnahme in Dublin ab, weil er sich in seiner Erzdiözese mit einem Sex-Skandal rund ums Bostoner Priesterseminar herumschlagen muss.

Schuld der Kirche eingeräumt

In diesem Kontext wollte Franziskus mit seinem Schreiben ans Volk Gottes ein klares Zeichen setzen, in dem er schwere Schuld der Kirche in der Frage des Missbrauchs durch Priester und Ordensleute einräumt: "Mit Scham und Reue geben wir als Gemeinschaft der Kirche zu, dass wir nicht dort gestanden haben, wo wir eigentlich hätten stehen sollen und dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten." Die Wunden der Missbrauchsopfer "verjähren nie", so der Papst in seinem "Brandbrief": "Der Schmerz dieser Opfer ist eine Klage, die zum Himmel aufsteigt und die Seele berührt, die aber für lange Zeit nicht beachtet, versteckt und zum Schweigen gebracht wurde."

Der Schrei der Opfer aber sei stärker gewesen "als die Maßnahmen all derer, die versucht haben, ihn totzuschweigen", oder die meinten, das Leid mit Entscheidungen zu kurieren, die letztlich alles nur schlimmer gemacht hätten. Franziskus spricht zwar den Bericht aus Pennsylvania an, richtet aber sein Schreiben an alle Gläubigen, die er zu Reue, Beichte, Fasten und Gebet aufruft.

Es sei unmöglich, "sich eine Umkehr des kirchlichen Handelns vorzustellen, ohne die aktive Teilnahme aller Glieder des Volkes Gottes".

Als eine Hauptursache für den Missbrauch benennt der Papst den "Klerikalismus", den er als falsches Verständnis von Autorität in der Kirche bezeichnet. Dieser sei in Gemeinschaften, in denen sich sexueller Missbrauch und Macht-oder Gewissensmissbrauch ereignet hätten, "sehr verbreitet":"Klerikalismus, sei er nun von den Priestern selbst oder von den Laien gefördert", erzeuge "eine Spaltung im Leib der Kirche, die dazu anstiftet und beiträgt, viele der Übel, die wir heute beklagen, weiterlaufen zu lassen". Das gesamte Volk Gottes müsse sich daran beteiligen, auf die Übel des Missbrauchs und der Vertuschung zu antworten.

Erste Reaktionen auf den Brief

Kardinal Christoph Schönborn, der am Weltfamilientreffen teilnimmt, meint gegenüber der Kathpress, der Papst habe mit seinem Brief Klartext gesprochen, und er wies gleichzeitig darauf hin, dass die Kirche in Österreich einen entschiedenen Weg der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen sowie verstärkter Präventionsarbeit gehe.

Auffällig am Papst-Schreiben ist, dass es keinerlei konkrete Aussagen über kirchliches Handeln angesichts der Missbrauchskrise trifft. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchbeauftragter der deutschen Bischöfe, meinte denn auch, es stelle sich die Frage, "warum der Papst dieses Schreiben an das ganze Volk Gottes richtet, wo doch die Schuld und Verantwortung in erster Linie bei den Priestern, den Bischöfen und Ordensoberen liegt". Ackermann: "Spricht der Papst nicht allzu leicht in der Wir-Form und nimmt damit diejenigen in der Kirche mit in Haftung, die aufgrund des skandalösen Verhaltens von Priestern selbst eher zu den Leidtragenden gehören?"

Andererseits, so Ackermann weiter, lasse Franziskus keinen Zweifel daran, "dass er dem Klerus allein nicht die notwendige Kraft zur Erneuerung zutraut". Vielmehr setze er dabei auf die Hilfe des ganzen Gottesvolkes.

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