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Mit stiller Macht die Welt verändern
Am 13. Oktober jährt sich zum 80. Mal das Sonnenwunder von Fatima: Kann Maria sogar politische Mauern zum Einsturz bringen, wenn man inständig zu ihr betet?
Am 13. Oktober jährt sich zum 80. Mal das Sonnenwunder von Fatima: Kann Maria sogar politische Mauern zum Einsturz bringen, wenn man inständig zu ihr betet?
Den Fall der Berliner Mauer 1989 führt die Gebetsgemeinschaft des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs, die Mitte September im Rahmen der Maria Namen-Feier in der Wiener Stadthalle ihr 50jähriges Jubiläum feierte, auch auf ihr unermüdliches Beten zurück. Für viele klingt solche Erklärung eines politischen Ereignisses allzu wundersam. Mag der Fall der Mauer auch unerwartet gekommen sein, ihn für ein herbeigebetetes Wunder zu halten, erscheint absurd.
Andererseits: Ist es nicht ebenso absurd, solche Ereignisse ausschließlich historisch oder politisch zu begründen? Stichhaltige Beweise sowohl für die politisch-historische als auch für die religiöse Begründung sind ausständig. Auszuschließen ist die Wirkung von Gebet argumentativ aber nicht. Der Mensch ist ein Lebewesen, das Gründe sucht, ein animal rationale - lehrt die klassische Philosophie: Was ihm widerfährt, versucht er in erzählerische Zusammenhänge zu bringen und zu erklären, auf individueller Ebene ebenso wie auf kollektiver. So glauben die Anhänger des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs, durch ihr Gebet (und mit ihm) politische Veränderungen begründen zu können.
Für Franziskanerpater Benno Mi-kocki, den Leiter des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs, bedeutet das aber keinesfalls, daß politische Gründe nicht auch eine wichtige Rolle spielen. Er ist davon überzeugt, daß Gebet und politisches Handeln untrennbar zusammengehören: „Das Gebet verändert zuerst den Gläubigen, bevor dieser in der Welt etwas verändern will”, sagt er. „Es läßt ihn danach fragen, was er denn für sein Anliegen tut.” Mikocki zufolge soll man in einem Atemzug so beten, als hinge alles von Gott ab und zugleich so, als hinge alles von einem selbst ab. Nagelprobe für die Qualität eines Gebetes sei letztlich das konkrete menschliche Handeln des Beters. Gemeinsames Bitten ist für ihn eine „stille Kraft”, die die Welt verändern kann, denn: „Geeintes Gebet ist eine Macht, die Gottes Barmherzigkeit auf diese Welt herabzieht.”
Mikocki steht mit dieser Überzeugung innerhalb einer Gebetstradition, die sich von jenen Ereignissen rund um Fatima herleitet, zu denen auch das sogenannte Sonnenwunder zählt. Am 13.
Oktober 1917 hatten sich auf der Cova da Iria, dem „Ort des Wunders”, einer Wiese nahe dem kleinen Dorf Fatima in Portugal, 50.000 Menschen versammelt, um das Wunder zu sehen, das die Gottesmutter Maria drei Hirtenkindern aus Fatima angekündigt hatte. Genau ein halbes Jahr zuvor hatten die Kinder erzählt, „eine schöne, junge Frau” wäre ihnen erschienen und hätte ihnen gesagt, „die Menschen sollen den Herrn nicht mehr beleidigen, der schon zu viel beleidigt wurde”.
Die Sonne begann zu tanzen
Nach weiteren drei Offenbarungen, die man den Kindern nicht glauben wollte, versprach Maria ein Wunder. Und tatsächlich, im strömenden Regen habe an diesem 13. Oktober die Sonne zu „tanzen” begonnen. Sie habe sich gedreht, bunte Strahlen verschickt und die Leute getrocknet. Skeptiker wie Gläubige an den verschiedensten Orten berichteten von diesem Ereignis, erzählt man sich. Allerdings: Keine Sternwarte registrierte etwas davon. Pater Mikocki vermutet in diesem Wunder ein visionäres Geschehen, das man psychologisch und religiös erklären könne: Gläubige sehen darin eine göttliche Offenbarung, Skeptiker ein optisches oder massenpsychologisch zu erklärendes Phänomen.
Fest steht, daß bis heute unzählige Menschen an dieses Wunder glauben und der Botschaft von Fatima vertrau en: Maria hatte den Kindern vor dem Sonnenwunder drei Geheimnisse offenbart. Am 13. Juni 1917 wurden sie zur Verehrung des Unbefleckten Herzens Maria berufen: Sie sollten sich ganz der Gottesmutter anvertrauen und regelmäßig den Rosenkranz beten. Das zweite Geheimnis am 13. Juli begann mit einer Höllenvision und warnte vor Ereignissen in Rußland, die Krieg und Zerstörung nach sich ziehen würden, stellte aber auch eine Bekehrung des Landes in Aussicht.
Um das dritte Geheimnis ranken sich bis heute viele Gerüchte, von Krieg und Weltuntergang ist da die Rede. Andere bestreiten dies jedoch: Vermutlich handle es sich um allgemeine Glaubensfragen; so äußert sich Wiens Alterzbischof Kardinal König in einem vor kurzem vorgestellten Fatimafilm des Fernsehjournalisten und FüRCHE-Autors Christian Rathner. König beruft sich auf Papst Johannes XXIII., der ihm dies erzählt habe. Der Papst sei auch keinesfalls erbleicht, als man ihm das Geheimnis eröffnete, wie gern berichtet wird. Pater Mikocki wundert sich, wer daran interessiert sein könnte, mit dem Geheimnis Ängste zu schüren. Er selbst glaubt, das dritte Fatima-geheimnis schildere eine Glaubenskrise.
Als Pater Petrus Pavlicek, Vorgänger Mikockis und Gründer des Rosenkranz-Sühnekreuzzugs, in der Kriegsgefangenschaft von der Botschaft Fati-mas las, brachte er seine eigene Eingebung mit ihr in Verbindung. „Tut, was ich euch sage, und ihr werdet Frieden haben”, wurde ihm offenbart. 1947 gründete er den Bosenkranz-Sühnekreuzzug als Gebetsgemeinschaft für die
Freiheit Österreichs, die damals in unabsehbarer Ferne lag. Bis 1955 schloß sich eine halbe Million Menschen an, unter ihnen die Bundeskanzler Julius Raab und Leopold Figl. Als 1955 Österreichs Staatsvertrag unterzeichnet wurde, galt Raabs Dank ausdrücklich diesen Betern und Beterinnen, allem voran der Gottesmutter Maria. Hat die Gebetsgemeinschaft die Freiheit Österreichs herbeigebetet? Mikocki bejaht das, betont aber, daß ohne die zähen Verhandlungen um diesen Vertrag auch alles Beten nichts genützt hätte.
Echte Wunder oder bloß Schimäre?
Die Botschaft von Fatima zieht bis heute unzählige Menschen an. Fatima ist ein vielbesuchter Wallfahrtsort, der Rosenkranz-Sühnekreuzzug zählt heute 700.000 Mitglieder, die regelmäßig für den Frieden in der Welt beten. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob all diese Wunder, auf die sich die Anhänger dieser Bewegungen beziehen, tatsächlich stattgefunden haben. Skepsis scheint vor allem dann angebracht, wenn der Wunderglaube einen Realitätsverlust nach sich zieht. Umgekehrt kann der tiefe Glaube an solche Geschehnisse auch dazu veranlassen, sich - unabhängig von Fatima - zu fragen: Woran glaube ich? Worauf setze ich meine Hoffnungen - auch auf politische Änderungen? Aber muß man an Wunder glauben, um Kraft für politisches Handeln zu gewinnen?
Betrachtet man Wunder als überra sehende Ereignisse im Leben, die gegen Angst und Lähmung hoffen und handeln lassen, muß man sich der Frage stellen, was im eigenen Leben diese Kraft gibt. So verstandene Wunder kann nur erfahren, wer liebt, leidet, hofft. Diese Fähigkeiten sind notwendig, um die Probleme der Welt anzugehen und Lösungen zu suchen - ob man jetzt an das Sonnenwunder und die Kraft des Gebets glaubt oder eher innerweltlichen Erklärungen für optische oder politische Ereignisse anhängt.
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