Mit Vollgas aus der Krise

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"Automobil-Cluster": Dieses häßliche Wort steht für die erfolgreiche Bündelung von über 130 steirischen Automobil-Zulieferfirmen.

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"Automobil-Cluster": Dieses häßliche Wort steht für die erfolgreiche Bündelung von über 130 steirischen Automobil-Zulieferfirmen.

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In der Diskussion über das "Tempo des Wandels" hatte sich John Naisbitt einst gefragt, "warum in einer Welt der Riesen die Kleinen überleben werden". Den Versuch einer Antwort liefert seit gut zwei Jahren die Steiermark, wo drei Leitbetriebe und 130 kleine Zulieferfirmen das Erfolgsmodell "Automobilcluster" in die Tat umsetzen. Es ist die Geschichte der größten regionalen Sanierung in Österreich: Aus der Asche der Verstaatlichtenkrise erhob sich der Phoenix einer konkurrenzfähigen Zukunftsindustrie, die 12.000 Menschen beschäftigt, betont export- und technologieorientiert arbeitet und in allen Bereichen für überdurchschnittliche Wirtschaftsdaten sorgt.

Cluster: Das häßlich neudeutsche Wort meint nichts anderes als Vernetzung, ja Bündelung der vorhandenen Kräfte, um in einem bestimmten Produktionsbereich gemeinsam als "player" auf dem Weltmarkt aufzutreten. Für die extrem kleinstrukturierte Wirtschaft der Steiermark, wo 95 Prozent der Unternehmen weniger als 250 Mitarbeiter haben, geradezu ein Muß angesichts der Rahmenbedingungen einer globalisierten Wirtschaftsstruktur. "Wir treten als Schwarm auf, um überhaupt wahrgenommen zu werden", sagt der steirische Wirtschaftslandesrat Herbert Paierl (ÖVP), der als Mentor und Geburtshelfer der Cluster-Idee gilt.

Der Cluster ist keine klassische Form der Förderung. Es gibt nicht Geld, sondern Beratung, Motivation und gebündeltes Marketing, wobei alle Aktivitäten über einen speziell abgestellten Projektmanager des Landes koordiniert werden. "Wir wollen verhindern, daß Förderungen quasi als Ersatz für unternehmerische Innovation betrachtet werden", so Paierl. Ziel sei nicht das Abschotten und Abkapseln der heimischen Industrie, sondern im Gegenteil eine Art "Ertüchtigungsprogramm" für den internationalen Konkurrenzkampf. Dies vor dem Hintergrund, daß die Steiermark mit einem 20prozentigen Anteil am österreichischen Exportvolumen (derzeit rund 715 Milliarden Schilling) dem rauhen Wind des Weltmarktes besonders stark ausgesetzt ist.

Investiert wird folglich nicht in Fließbandfertigung, sondern - auf gut steirisch - in Hirnschmalz. Im Sog der Technischen Universität Graz und der jungen Fachhochschule für "Automotive Engeneering" wächst vor allem im Süden der Steiermark eine Vielzahl von einschlägigen High-Tech-Schmieden aus dem Boden. Jüngster Akzent ist das im Juni eröffnete Entwicklungszentrum der Steyr-Fahrzeugtechnik (SFT) in Graz-Thondorf, wo 800 hochqualifizierte Ingenieure für Audi und Mercedes forschen. Die oft beklagte Randlage des Landes erweist sich zumindest in diesem Punkt als Vorteil: "In der Steiermark gelingt es uns leichter, Top-Ingenieure zu halten, als etwa in Mitteldeutschland", berichtet Steyr-Vorstandsvorsitzender Alfred Koch. Ursache dafür ist der geringe Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt. Das Paradoxon des "Automobilclusters" besteht nämlich in der Tatsache, daß es in der Region - abgesehen von SFT und Eurostar - keinen Fahrzeughersteller gibt.

Somit sind steirische Auto-Komponenten zwar in mehr als 40 renommierten Fahrzeugmarken enthalten - von Mazda bis Porsche, von Peugeot bis Jaguar, ja selbst die Rückspiegel für Rolls Royce werden bei Magna Auteca im oststeirischen Weiz ge-baut -, eine eigenständige, steirische Autoproduktion ist aber nicht in Sicht. Dies, obwohl man technologisch längst über die "Gesamtfahrzeug-Kompetenz" verfügt, wie der Chef des weltweit tätigen Motorenentwicklers AVL, Helmut List, versichert.

Viel eher ist es die Marktentwicklung, die es einfach nicht lohnend erscheinen läßt, den gigantischen Werbeaufwand für eine neue Automarke zu tätigen. Welches Marken-Signet letztlich auf der Kühlerhaube einer steirischen Entwicklung prangt, ist kaum von Bedeutung, da sich die Produktion im Rahmen der "Wertschöpfungskette" ohnedies immer mehr zu den Zulieferern verlagert. Landesrat Paierl beschreibt diesen Trend plastisch: "Der Autohersteller wird künftig nur mehr ein Marketinginstrument sein, der unter seinem Markennamen die Technologie vieler unbekannter Spezialfirmen verkauft."

Gerade diese "unbekannten Spezialfirmen" haben im Land an der Mur eine reiche Tradition, die teilweise noch auf die eisen- und stahl-dominiete Industrievergangenheit zurückgeht. Firmen wie Austria Druckguß in Gleisdorf, AT&S in Fehring, die Draht- und Walzwerke Pengg in Thörl oder Schmidt-Leder in Wollsdorf bildeten das Fundament für den "Cluster", der offiziell im Juli 1996 aus der Taufe gehoben wurde. Nach einer zweijährigen Aufbauphase mit professioneller Betreuung durch die Landesregierung wird das steirische Erfolgsmodell noch im heurigen Herbst durch die Eröffnung des Magna-Preßteilewerks mit 300 Beschäftigten in Albersdorf - einem Zulieferwerk für die Eurostar-Produktion in Graz - eindrucksvoll abgerundet.

Die in der Zwischenzeit gelegten Bilanzen sind bestechend. Allein in den letzten zwei Jahren wurden zehn Milliarden Schilling in die Automobilindustrie des Landes investiert. Für 1997 weist die Steiermark fast 7.000 neue Arbeitsplätze aus, während in allen anderen Bundesländern zusammen nur 3.000 Jobs entstanden. Laut der EU-weiten Regionen-Studie ERECO dürfen die Steirer bis zum Jahr 2001 mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent rechnen, während etwa Tirol, Salzburg, Vorarlberg oder Kärnten nur 0,5 bis 0,6 Prozent Zuwachs erwarten können.

Bei SFT in Graz erhärtet sich dieser theoretische Befund in der Praxis: Die Jeep-Produktion für Chrysler wird im nächsten Jahr neuerlich von 30.000 auf 35.000 Fahrzeuge gesteigert, für Mercedes sollen demnächst bis zu 30.000 Autos der M-Klasse gefertigt werden. Neben Investitionen von 1,6 Milliarden Schilling - unter anderem ist ein neues Lackierwerk geplant - bereitet man derzeit die Einstellung von einigen hundert neuen Mitarbeitern vor.

Ein Problem bildet freilich die regionale Verteilung dieser Erfolge: Während in der südlichen Steiermark seit 1980 rund 32.000 neue Jobs entstanden sind, mußte die Obersteiermark im gleichen Zeitraum den Verlust von 18.000 Arbeitsplätzen verkraften. Bezirke wie Leoben, Bruck/Mur und Judenburg - also die klassischen Heimstätten der früher verstaatlichten Industrie - führen die Negativliste mit bis zu minus 30 Prozent an. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß im Aichfeld mit dem revitalisierten "A1-Ring" nunmehr ein symbolträchtiges Wahrzeichen des international anerkannten "Automobillandes Steiermark" beheimatet ist.

Die politische Unterstützung für den Auto-Cluster neigt sich nicht zuletzt deshalb ihrem Ende zu, wie Projektleiter Gerd Holzschlag berichtet: "Getreu dem Motto ,Hilfe zur Selbsthilfe' wird für Juni 1999 die Selbstträgerschaft dieses Netzwerkes vorbereitet." Die steirische Wirtschaftsförderung will sich dann neuen, ebenso lohnenden Themen zuwenden - etwa dem im Aufbau befindlichen "Holz-Cluster", der vornehmlich der Obersteiermark zugute kommen soll.

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