Mitgefühl macht Schule

Werbung
Werbung
Werbung

Durch das Projekt "Compassion" gelingt es dem Gymnasium St. Ursula in Salzburg, die Schülerinnen mit Kopf und Herz für ihre Mitmenschen zu sensibilisieren.

Berührungsängste sind hier fehl am Platz. Viel Zeit habe ich mit einer Frau verbracht, die zwar den ganzen Tag nur lacht, aber nicht weiß, worüber. Fragt man sie, wo sie hingeht, antwortet sie mit ,Ja, ja' oder ,Ja, genau'. Die meiste Zeit saß sie neben mir, hielt meine Hand und schaukelte sie hin und her. Irgendwann verliert man seine Scheu vor den Leuten, weil man lernt, dass diese Menschen einfach ganz anders auf uns zugehen. In vielerlei Hinsicht wie Kinder, mit einer gewissen Naivität und sorglosen Offenheit."

Diese Tagebucheintragung einer 17-jährigen Schülerin berührt. Zwei Wochen hat sie im Senioren Tageszentrum Rauchgründe in Salzburg alte Menschen betreut, hat mit ihnen geredet, ihnen zugehört. "Es ist immer wieder ein wunderschönes Erlebnis", schreibt die Schülerin am Schluss ihrer Eintragung, "wenn eine alte Frau sagt: ,Schön, Ihre Hand zu halten!' oder ,Bleiben Sie bitte ein bisschen bei mir sitzen!'"

Geteilte Erfahrungen

Erfahrungen wie diese zu machen, sich berühren zu lassen von den Gefühlen, Sorgen und Ängsten der Mitmenschen, einfach mitzufühlen: Das alles sind Ziele von "Compassion". Seit dem Schuljahr 2004/05 wird dieses einjährige Projekt im Gymnasium und Oberstufenrealgymnasium St. Ursula in Salzburg für die Schülerinnen der siebten Klassen angeboten. Mit großem Erfolg, wie die Direktorin des reinen Mädchengymnasiums, Eva-Maria Vogel, erklärt: "Mittlerweile werden wir schon an vielen anderen privaten und öffentlichen Schulen ,herumgereicht', um von unseren Erfahrungen zu berichten", erzählt sie freudestrahlend.

Entwickelt wurde "Compassion" freilich nicht in Salzburg, sondern in Deutschland. 1992 hatte Adolf Weisbrod, Direktor der Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg, von der Deutschen Bischofskonferenz den Auftrag erhalten, ein Projekt für katholische Privatschulen zu entwickeln. Im Mittelpunkt sollte der junge Mensch in seiner Persönlichkeitsentwicklung und Verantwortung gegenüber anderen Menschen stehen - besonders jenen, die sich am Rand der Wohlstands-und Leistungsgesellschaft befinden. Um Herz und Hirn gleichermaßen zu erreichen, sollte das Thema "Mitgefühl" während des gesamten Schuljahres fächerübergreifend behandelt werden - "gekrönt" von einem zweiwöchigen Praktikum am Schulschluss.

Weisbrods Konzept stieß auf reges Interesse - auch in Österreich: 2002 war eine gesamtösterreichische Tagung der Direktoren an privaten höheren Schulen dem Thema "Compassion" gewidmet. Schließlich stellte Karin Domany, Professorin am Religionspädagogischen Institut (RPI) der Erzdiözese Wien und Religionslehrerin am Gymnasium St. Ursula in Wien, das Projekt im Rahmen eines RPI-Studientages vor.

Sr. Maria Elisabeth Göttlicher, Obfrau des Schulvereins St. Ursula in Österreich, war von der Idee sofort begeistert: "In einer so Ich-bezogenen Gesellschaft wie der unseren ist es umso wichtiger, dass sich junge Leute mit der Lage anderer Menschen auseinander setzen", stellt sie fest. Schon in Bangkok, wo die Ursulinen zwei Schulen betreiben, hatte sie die beeindruckende Wirkung von Schülereinsätzen in Slums beobachtet.

Überzeugte Lehrer

Umso erfreuter war sie, dass Karin Domany bereit war, am Gymnasium der Ursulinen in Wien-Mauer das "Compassion"-Projekt umzusetzen. Bereits im Schuljahr 2002/03 wagte man den Schritt. "Und bis heute hat es sehr gut funktioniert", freut sich Domany. Kein Wunder, schließlich wurden die Einsätze nicht nur zielgerichtet vor-und nachbereitet, sondern auch von Lehrerinnen und Lehrern begleitet. In der Folge wurde "Compassion" an andere Schulen "exportiert" - auch an die zwei weiteren Schulen von St. Ursula in Klagenfurt und Salzburg.

"Am Anfang waren einige Kolleginnen und Kollegen noch skeptisch", erinnert sich Heidi Soucek, die im Gymnasium St. Ursula in Salzburg Deutsch und Geografie unterrichtet und für die Koordination von "Compassion" zuständig ist. "Aber mittlerweile sind alle davon überzeugt". Egal ob in Religion, Deutsch, Geschichte, Musik, Physik, Zeichnen oder Latein: Sämtliche Lehrerinnen und Lehrer der siebten Klassen werden gebeten, den Lehrplan zu durchforsten und Themen auszuwählen, anhand deren man Fragen wie Leid, Gerechtigkeit, Solidarität, Verantwortung und Mitgefühl veranschaulichen könnte. "Wenn immer dann etwas zu ,Compassion' gemacht wird, hat man das im Klassenbuch eingetragen", beschreibt Direktorin Eva-Maria Vogel das Prozedere.

Beeindruckte Schüler

"Wir haben uns während des Jahres oft gefragt: Wozu machen wir das?", erinnert sich die 17-jährige Anna. "Aber beim Praktikum sind wir dann dahinter gekommen." Altenheime werden ebenso als Einsatzort gewählt wie Integrationskindergärten, Lebenshilfe-und Flüchtlingsbetreuungseinrichtungen, Krankenhäuser, Geburtenstationen, Notschlafstellen oder Hospize. Anna selbst lernte in der Seniorenresidenz Schloss Kahlsperg in Salzburg die Lebenswelt alter Menschen kennen und war "sehr beeindruckt"; ihre Kollegin Meggy durfte im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder bei Operationen assistieren und lieh den Patientinnen und Patienten ihr offenes Ohr; Julia hat im Seniorenheim Hellbrunn gelernt, auf demente Menschen einzugehen; und Teresa kümmerte sich im Salzburger Diakonissenkrankenhaus um Kranke und Rekonvaleszente. Am Ende haben sie alle ein Zertifikat erhalten. "Unsere Erfahrung das dieser Nachweis bei Anmeldungen für Fachhochschulen sehr gut ankommt", ist die Direktorin sehr überzeugt.

"Insgesamt ist die Akzeptanz bei den Schülerinnen mit 98 Prozent sehr hoch", ergänzt Heidi Soucek, die selbst Feuer und Flamme für "Compassion" ist. "Die Palette reicht von ,Das hat Sinn gehabt' bis zu ,Das war die größte Herausforderung meines Lebens'."

Nähere Infos unter

www.ursulanet.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung