Moderner Islamunterricht

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Die Öffentlichkeit interessierte sich bloß für die politische Einstellung muslimischer Religionslehrer. Dem Autor der viel zitierten Studie ging es aber um andere Fragen.

Sowohl die Politik als auch die Medien interessierten sich in den letzten Tagen lediglich für die politischen Einstellungen der islamischen Religionslehrer. Daten aus meiner Studie "Islamischer Religionsunterricht zwischen Integration und Parallelgesellschaft" zieren inzwischen die Wahlplakate rechter Politiker, die islamische Glaubensgemeinschaft ist unter Beschuss geraten, Rücktrittsforderungen an Präsident Anas Schakfeh wurden laut, islamische Religionslehrer gerieten unter Generalverdacht, von muslimischer Seite kam Kritik am Studienautor. Auch Bildungsforscher Stefan Hopmann kritisierte anfangs die Studie, bezeichnet diese nun jedoch in einem Interview als "sehr gut gelungen", sie sei "das Beste, was wissenschaftlich in Österreich bisher zu diesem Thema geleistet wurde". Das Einzige, worüber sich die Schüler, die letztendlich die Betroffenen sind, freuen können, ist das beschlossene Fünfpunkte-Paket, das viele Verbesserungen bringen soll.

Von Gelehrtenlehre zu moderner Pädagogik

Für den Studienautor bleibt allerdings die wichtigste Frage der Arbeit noch offen. Die Studie untersuchte nämlich die Vorstellungen der Religionslehrer von Aufgaben und Zielen des islamischen Religionsunterrichts. Das Ergebnis war für den Autor nicht sehr überraschend: Viele Religionslehrer sehen sich lediglich als Vermittler religiöser Inhalte im Dienste der Theologie, sie geben den Schülern deren Inhalte unreflektiert weiter. Durch ein solches Verständnis des Religionslehrers werden die Schüler im Religionsunterricht kaum dazu befähigt, ihre eigene Religiosität wahrzunehmen und die Bedeutung religiöser Inhalte individuell zu reflektieren: "Was bedeutet Religion bzw. bedeuten religiöse Inhalte für mich? Welchen Bezug haben diese zu meinem Alltag?"

Schon seit dem 9. Jahrhundert waren die islamischen Gelehrten bemüht, ein normatives Schema für alle Lebensbereiche zu entwickeln. Daraus entstand allmählich ein Verständnis vom Islam als Gesetzesreligion, die alle Lebensbereiche bestimmt. Daher verwundert es nicht, wenn für viele islamische Religionslehrer die vorrangige Aufgabe des islamischen Religionsunterrichts darin besteht, den Schülern einen Katalog an Erlaubtem und Verbotenem zu präsentieren. Aufgabe einer zeitgemäßen islamischen Religionspädagogik ist es jedoch nicht, einen solchen Katalog zu vermitteln und Heranwachsende somit zur unkritischen Befolgung religiöser "Gesetze" anzuhalten. Nicht zu Richtern sollen Schüler erzogen werden, sondern zu frommen, verantwortungsvollen Menschen. Eigene Religiosität entwickeln zu können, setzt Freiheit voraus, Bevormundung jedoch blockiert jede Form von Freiheit. Religiöses Lernen geschieht heute weniger durch Autorität, es muss sich viel mehr unter modernen Bedingungen neu begründen. Auch in einer modernen islamischen Religionspädagogik geht es um dia- logische Begegnung zwischen Lehrer und Schüler, und nicht um eine einseitige Belehrung des Schülers durch den Lehrer. Wie Joachim Kunstmann in seinem Buch "Religionspädagogik" schreibt, ist die Befähigung zu kritischer Reflexion und die Entfaltung von Emotionalität in religiösen Fragen Ziel einer modernen Religionspädagogik. Schüler sollen befähigt werden, ihr Leben in religiöser Hinsicht selbst entwerfen und diesen Lebensentwurf verantworten zu können. Sie sollten in der Lage sein, zwischen lebensfreundlichen und lebensfeindlichen religiösen Angeboten unterscheiden zu können.

Die Besonderheit einer modernen Religionspädagogik ist ihr Gegenwartsbezug. Daher nimmt sie von allen theologischen Fächern am stärksten an den Veränderungen der Lebenswelt teil. Aufgabe einer islamischen Religionspädagogik ist es, jungen Menschen den Sinn von religiösen Grundsätzen und Handlungen plausibel zu machen, ihre individuelle Religiosität zu entwickeln und sie dazu zu befähigen, den Bezug der Religion zum Leben herauszuarbeiten.

Überlegenheitsgefühl als Toleranzfaktor

Die Religionspädagogik ist Anwalt des Gegenwartsbezugs von Theologie, dies setzt allerdings eine interdisziplinäre Arbeit mit anderen Disziplinen voraus. Eine moderne islamische Religionspädagogik muss die Rahmenbedingungen, unter denen Religion gelebt wird, gut kennen und berücksichtigen. Gerade in der Situation der Migration hat die Religion eine spezifische Funktion; in ihr wird Schutz und Identität gesucht, was mit einer Verstärkung des "Wir-Gefühls" und mit einer Betonung des Eigenen einhergeht. Ein interessantes Ergebnis der Studie zeigt, dass das Ziel der Vermittlung von Überlegenheitsgefühlen im Religionsunterricht mit dem Ziel der Vermittlung von Dialogfähigkeit und Toleranz positiv korreliert, dass also diese beiden Ziele einander nicht ausschließen. Dies stützt die Annahme, dass Überlegenheitsgefühle eher eine Schutzfunktion darstellen als gezielte Abschottung.

Dadurch, dass eine moderne islamische Religionspädagogik nach dem Menschen fragt, stellt sie wichtige Rückfragen an die traditionelle islamische Lehre. Dabei ist es wichtig, die traditionelle Lehre nicht zu verwerfen, aber auch nicht unreflektiert zu übernehmen. Durch ihre Rückfragen wird, aufbauend auf humanistische Ansätze, die in der islamischen Tradition zum Teil schon vorhanden sind, die Entwicklung neuer Konzepte veranlasst. Beide, die islamische Lehre und die moderne islamische Religionspädagogik, sind somit aufeinander angewiesen und können sich gegenseitig bereichern.

Jenseits des beschlossenen Fünfpunkte-Pakets bleibt die Frage nach einer modernen islamischen Religionspädagogik, die den Bedürfnissen der Schüler nach Entfaltung ihrer eigenen Religiosität gerecht wird, unbeantwortet. Dies wird die Aufgabe einer kommenden Generation muslimischer Pädagogen sein, die in Europa aufgewachsen sind und sich für eine innerislamische Aufklärung stark machen. Damit dies aber Wirklichkeit wird, ist es notwendig, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft mehr Platz für reformorientierte junge Muslime bietet.

Der Autor ist Islamwissenschafter und u. a. in der Religionslehrer-Ausbildung tätig

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