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Mönch auf Zeit

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IN DER BENEDIKTINERABTEI NIEDERALTAICH in Bayern ist erstmals ein neues Experiment des Lebens von Laien in und mit der Kirche gemacht worden, nämlich der Versuch eines „Benediktinerklosters auf Zeit“. Dieses „Unternehmen“ fand vom 14. bis 28. März des vergangenen Jahres statt. Es wurde vom 8. bis 23. September und nochmals vom 20. Oktober bis 3.November 1962 wiederholt. Sech-zehnTeilnehmer wurden aufgenommen, nur beim zweitenmal waren es vierzehn. Für mehr als sechzehn Teilnehmer würden Wohnzellen nicht vorhanden sein. Um der Einfügung der „Mönche auf Zeit“ in die Gemeinschaft des Konvents und um der Intensivierung ihrer eigenen Sondergemeinschaft willen wäre eine Steigerung der Teilnehmerzahl auch gar nicht wünschenswert.

Mancher, dem eine „Zeit der Stille“ in Gebet und Betrachtung etwas bedeuten kann und der weiß, daß auch in unserer Zeit des Zweiten Vatikanums das Mönchstum Aufgaben der Welt wahrnehmen muß, soll auf Niederaltaich aufmerksam gemacht werden.

Der Gedanke zu einem „Kloster auf Zeit“ soll von dem Münchener Unternehmer Dr. Gerhard Höper geplant worden sein, und er soll auch konkrete Vorschläge dazu vorgelegt haben. Auf Geschäftsreisen in Süd- und Ostasien hatte dieser Industrielle immer häufiger davon erfahren, daß dortige Staatsmänner, Wissenschaftler und Geschäftsleute sich auf einige Zeit in buddhistische Klöster zurückzogen, meditierten und dann viel ruhigeren Gemütes und ausgeglichen zu ihren Berufsaufgaben zurückkehrten. Doktor Höper, ein gläubiger Katholik, war davon überzeugt, daß die katholische Kirche mit ihren Mönchsorden auch gläubigen Katholiken solche Möglichkeiten bieten könnte und sollte. So kam es zur Erörterung des Gedankens mit r'riesterlichen Freunden, und schließlich wurde der Abt von Nie-doraltaich, P. Emmanuel Maria Heufelder OSB., dafür gewonnen, diesen neuen Versuch des Lebens von Laien mit der Kirche, und zwar mit der Kirche in ihrer Erscheinungsform der klösterlichen Gemeinschaft, zu wagen.

WARUM GERADE NIEDERALTAICH? Das läßt sich für den, der es vorher nicht kannte, erst nachträglich als beinahe selbstverständlich erklären. Auf Niederaltaich (die amtliche Schreibweise Niederaltaich ist, obwohl in Barock-Deckengemälden in der Basilika mit mythischen Eichbaumpflanzungen illustriert, unrichtig; der Name kommt vom niederen Donau-Altwasser, also Nieder-Altach) geht ein Großteil der Christianisierung in Bayern, Böhmen, Österreich und sogar Ungarn zurück. Gegründet 731 oder 741 von der Reichenau aus — St. Pirmin —, wurde es ein Urgrund für so manches Heiligenleben. Zwölf Heilige und Selige haben in der Abtei ihre geistige Heimat, beginnend mit St. Gotthard, dem späteren Bischof von Hildesheim, nach dem auch der gleichnamige Alpenpaß benannt ist.

Ringsum liegen, im bayrischen Wald verstreut, die Einsiedeleien und irdischen Wirkstätten dieser Heiligen in Rinchnach, Frauenbrünndl, Bischofsmais, St. Hermann.

Diese Stätte ist gewiß selbst heiliger Boden, auf dem in guter Absicht unternommenes christliches Bemühen eher Früchte tragen mag, als wenn diese „aura sacra“ fehlte. Niederaltaich ist heute aber auch Mittelpunkt der Una-Sancta-Bewegung, einem katholischen Gegenstück zur ökumenischen Bewegung des Weltrates der Kirchen in Genf, also um die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen bemüht.

Ein „Haus der Begegnung“ ist eingerichtet, wo tatsächlich vielfältige Begegnungen zwischen führenden evangelischen und orthodoxen Christen und katholischen Theologen stattfinden, worüber man auch in der Zeitschrift „Una Sancta“ (Kyrios-Verlag, Meitingen), von P. Dr. Thomas Sar-tory OSB. redigiert, die Berichte findet. Mannigfache Fäden laufen aus diesem Bemühen um interkonfessionelle Begegnung heraus von Niederaltaich nach Taize, mit dessen Prior

Roger Schütz Abt Emmanuel Heufelder in gutem Kontakt steht.

In Niederaltaich gibt es aber auch eine Kapelle für die Eucharistiefeier nach ostkirchlichen Riten (byzantinischer und slawischer Ritus), dies auf Grund entsprechender Erlaubnis von Rom. Mönche des byzantinischen Ritus, an ihrer Spitze P. Johannes Chrysosto-mus OSB., zelebrieren auch für die „Mönche auf Zeit“, und ermöglichen ihnen so ein vertieftes Eindringen in Wesen und Geist des byzantinischen Christentums. Endlich muß wohl auch gesagt werden, daß in der Person von Abt Emmanuel M. Heufelder eine in gleicher Weise gütige, von urchristlicher Liebe getragene Persönlichkeit dem Versuch eines „Klosters auf Zeit“ zu Gebote steht, wie ein Mensch von entschiedener Tatkraft, wo es darum geht, der Kirche neue Kräfte zuzuführen.

In Niederaltaich ist man der Reformrichtung, wenn es eine solche beim Zweiten Vatikanischen Konzil geben sollte, zugeneigt. Die den Kon-ventualen auf Tonband wiedergegebenen Radioansprachen von P. Mario von Galli SJ. zum Konzilsgeschehen konnten wohl anderswo kaum aufmerksamere Zuhörer haben als hier.

NICHTS SENSATIONELLES LIEGT im „Kloster auf Zeit“, sondern lediglich ein neuer Versuch, Christen in der Unrast der modernen Welt die Möglichkeit einer inneren Einkehr und der Besinnung auf die Wesensgrundlagen eines einfachen Lebens zu geben. Daher wird ohne viel Aufhebens von den Teilnehmern erwartet, daß sie sich schlicht und einfach in das Leben der Mönche fügen.

Die „Mönche auf Zeit“ nehmen also an den Tagzeiten des Offiziums, dem Chorgebet, das ja die tragende Mitte im Tageslauf eines Benediktinerklosters ist, teil, und zwar im Chor der Mönche und in Chorkleidung. Nur die Teilnahme am Frühchor — Prim und Laudes; die Matutin ist heute auf den Abend vorher verlegt — ist gesondert, die Laudes am Morgen vor der heiligen Messe werden jedoch in deutscher Sprache in der Hauskapelle gebetet. Dazu dient das Tagzeitenbuch (Monastisches Brevier), das in einer sehr guten lateinischen und deutschen Ausgabe herausgebracht ist. Allerdings wäre die deutsche Übersetzung der Psalmen, von Martin Buber, wohl dem Sinne nach richtiger, packender, sie wird daher auch für die persönliche Meditation empfohlen. Daß das gemeinsame Gotteslob für manchen so etwas wie die Offenbarung einer sonst kaum geahnten Zwiesprache mit Gott ist, läßt viele Einwendungen gegen die Psalmen als unzeitgemäß im wesentlichen schwinden. Freilich ist dabei vorausgesetzt, daß die Beter mit dem Latein vertraut sind, trotz der deutschen Übersetzung, die man gern zu Rate ziehen mag. Gerade Niederaltaich ist aber, das sei erwähnt, sehr auf die Bemühungen für eine verstärkte Hereinnahme der Volkssprache in die Liturgie eingestellt.

DA DIE REGEL DES HEILIGEN BENEDIKT neben dem gemeinsamen Gotteslob die Lesung im weiteren Sinne, also Vorbereitung auf das Offizium, geistliche Lesung, persönliches Gebet, Meditation zu einem Hauptelement des benediktinischen Tages macht, haben auch die „Mönche auf Zeit“ reiche Möglichkeit dazu. Allerdings bedarf es da manch erklärender, anregender Einführung, die ihnen in Form meditativer Vorträge, meist vom Abt des Hauses, geboten wird, um dann in den langen Stunden des absoluten Stillschweigens überdacht zu werden. Vor allem gehen einem da Sinn und Wesen der Psalmen, aber auch die Aufgabe des Mönchtums in unserer Zeit, die unverkrampfte Hin-ordnung zu Gott und seinem Willen, die Gottes- und Nächstenliebe auf.

Abt Heufelder stellt dabei den Anruf „Ausculta, fili“, „Horch, mein Sohn“, des heiligen Benedikt an die Spitze aller Erwägungen, das Horchen auf Gott in der Stille, das In-sich-selbst-hinein-Horchen, das Horchen auch auf andere. Wenn man erwägt, wieviel nutzloses Reden uns alle oftmals von wahren Zielen entfernt, kann man bald der Wichtigkeit dieses Grundsatzes des heiligen Benedikt inne werden.

DER DRITTE TRAGENDE PFEILER mönchischen Lebens, die Arbeit, kommt im „Kloster auf Zeit“ zu kurz. Das bißchen Aufräumen von Zimmern und Gängen, Schuhputzen und die kleine Küchenhilfe als Arbeit zu bezeichnen, wäre wohl übertrieben. Es handelt sich also mehr um das Symbol einer Arbeit. Nun ist allerdings für den, der den klösterlichen Lebensrhythmus nicht gewohnt ist und gerade auch die Medidation ernst nimmt, der Tageslauf anstrengend genug, so daß eine handfeste Arbeit zum Ausgleich vorerst nicht entbehrt wird. Würde sich die Dauer von „Kloster auf Zeit“ auf mehr als nur zwei Wochen erstrecken, so müßte man aber wohl auch an eine Verstärkung dieses Elementes im Tagesablauf denken.

Niederaltaich hat übrigens vor nun mehr als dreißig Jahren den größten Teil der damals aufgelösten Tiroler Kinderfreunde-Benediktiner aufgenommen und enthält auch sonst unverkennbar österreichische Grundsubstanzen tirolischer und salzburgischer Färbung. Je nach Jahreszeit gäbe es im Benediktinerkloster gewiß genug zu tun, da der Ordensnachwuchs zu wünschen übrig läßt, während doch umfangreiche ländliche Wirtschaftsbetriebe vorhanden sind.

Jemand prägte den Ausspruch von den „Bauernbenediktinern“, etwa im

Gegensatz zu den formstrengen Beu-ronern. Diese Variante mag Gott sicher ebenso Wohlgefallen wie die Religionsform der übrigen rund 350.000 Männer, die auf der weiten Welt in etwa 150 Orden, Kongregationen und ordensähnlichen Gesellschaften leben.

Eine Besonderheit in Niederaltaich ist übrigens das völlige Fehlen jeglichen äußeren Unterschiedes zwischen den zu Priestern geweihten Patres und den ansonsten ihnen völlig gleichgestellten Fratres mit einfachen oder feierlichen ewigen Gelübden; allerdings gilt dies nur für die Fratres „neuen Stils“, nicht für die in früheren Zeiten ausgebildeten Laienbrüder, denen die Umstellung nicht mehr zuzumuten war.

EXERZITIEN HABEN NICHTS MIT „Kloster auf Zeit“ zu tun. So wie die Marienverehrung im Jesuitenorden, die dort besonders gepflegt wird, von der benediktinischen völlig verschieden ist, so kann man auch „Kloster auf Zeit“ mit Exerzitien nicht einmal vergleichen. Vor allem geht es ja bei „Kloster auf Zeit“ gar nicht um das Exerzitienschema des Cor contri-tum, das dann aufgerichtet wird. Vielmehr wird vorausgesetzt, daß der „Mönch auf Zeit“ sein Verhältnis zu Gott im grundsätzlichen geordnet hat. Die Exerzitien, falls er sie für richtig ansieht, müßten also schon hinter ihm liegen oder ein Programm für später sein. Es geht ja auch nicht um das „Rette deine Seele“, jenen mit mancherlei Häresie behafteten Satz aus einer eigensüchtig orientiert gewesenen Volksmissionsepoche, nicht einmal um das heute — besonders auch in Wiener Volksmissionen — an die Stelle getretene und ebenfalls nicht häresiefreie „Rette die Seele des anderen“.

Es geht vielmehr um eine neue Art der Teilnahme des Laien, hier ihre Teilnahme am monastischen Leben, am Distanzgewinnen von der Unrast der Welt, um ihr nachher mit mehr Geduld, Aufmerksamkeit, dem Willen zum Dienen, aber auch tieferer Erkenntnisse der Sünde, der eigenen Schwächen und Fehler begegnen, und die Aufgaben in der Welt bewältigen zu können. Die „Zeit der Stille“ ist also zwar auch im Dienste der ander ren, des Nächsten, erfahren, aber nicht missionarisch, sondern von innen heraus. Die „Mönche auf Zeit“ sind untereinander Brüder wie die Brüder in der Regel des hl. Benedikt als Söhne unter Leitung ihres Abtes, um schließlich Brüder aller Christen im Sinne der Urkirche zu sein.

STAATSANWÄLTE UND BETAGTE FABRIKANTEN, Hochschullehrer und Rechtsanwälte, Ärzte und Diplomaten, junge Studenten und Versicherungsinspektoren, Baugesellen des Bauordens und Konvertiten, Lehrer und Journalisten waren bisher im „Benediktinerkloster auf Zeit“. Es scheint, daß dieser in die Tat umgesetzte Gedanke Früchte tragen wird. Möge er noch manchem gläubigen Kraftsuchenden Hilfe und Ruhe bringen.

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