Der russisch-orthodoxe Patriarch Aleksij II. ist schwer krank und tritt zur Zeit kaum mehr öffentlich auf.Hinter den Kulissen tobt bereits das Gerangel um Aleksijs Nachfolge.
Aus Krankheitsgründen ist der russische Patriarch Aleksij II. immer seltener in der Öffentlichkeit zu sehen. In der orthodoxen Kirche hat sich der längst begonnene Kampf um die Patriarchen-Nachfolge mittlerweile intensiviert. Jüngste Personalrochaden haben den einflussreichen Leiter des Außenamtes der Kirche, Metropolit Kiril von Smolensk und Kaliningrad, zum aussichtsreichsten Kandidaten gemacht.
In der jüngsten Spezialbeilage Religion der renommierten russischen Zeitung Nesawisimaja Gaseta fühlt sich der Kommentator angesichts der feindseligen Lagerbildungen und Personalpolitik in der russisch-orthodoxen Kirche an eine beliebte Methode aus Sowjetzeiten erinnert: "Aus den Gebietskomitees schickte man die Ersten Sekretäre, die sich nach Meinung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion allzu selbstständig benahmen oder dem Zentrum nicht gefällig waren, in irgendwelche mit der UdSSR befreundete volksdemokratischen Länder."
Kasachstan statt Russland
Anlass für diese Assoziation: die laut- und kommentarlose Entscheidung beim jüngsten Heiligen Synod, dem Entscheidungsgremium der orthodoxen Kirche, am 7. Mai, Metropolit Mefod von Woronesch und Lipezk der Leitung seiner zentralrussischen Erzdiözese zu entheben und ihn zum Metropoliten der neu gegründeten kasachischen Metropolie von Astana und Almaty zu ernennen.
Den zeitlichen Hintergrund für die Personalrochade bildete eine andere Ereignisreihe: Am 19. Mai, kaum zwei Wochen nach der Personalentscheidung, hat der Sprecher des Moskauer Patriarchats, Wsewolod Tschaplin, bestätigt, dass der russische Patriarch Aleksij II. erneut in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert worden ist. Aleksij werde wegen einer "Erkältung" behandelt, es gebe "keinerlei Anlass zur Sorge" um den Gesundheitszustand des 74-Jährigen, sagte Tschaplin gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax.
Aleksijs Gesundheitskrisen
Beobachter sehen das mittlerweile anders. Bereits im vergangenen Oktober war Aleksij während einer Reise durch Südrussland wegen einer akuten Blutdruckkrise - oder, wie andere Quellen vermuten, nach einem Herzinfarkt - in ein Krankenhaus eingeliefert worden; er befand sich danach einen Monat lang in ärztlicher Behandlung.
Seitdem war der Patriarch immer seltener in der Öffentlichkeit zu sehen. Ende April hatte er erstmals darauf verzichtet, die zentrale orthodoxe Osterliturgie in Moskau zu feiern. Offiziell hieß es auch damals, der Patriarch sei erkältet. Sein einziger Auftritt bei einer nachmittäglichen Osterandacht war auf eine 10-minütige Rede beschränkt, in der er hauptsächlich über seine angeschlagene Gesundheit sprach und den Gläubigen für ihr Gebet dankte. Augenzeugen zufolge soll ihn die Rede erschöpft haben. Und auch am letzten Samstag hat Aleksij den Gottesdienst zum hohen orthodoxen Festtag der Heiligen Kyrill und Method nicht selbst geleitet.
Der Gesundheitszustand des Patriarchen Aleksij II. scheint also ernst zu sein, der mittlerweile längst begonnene Kampf um die Nachfolge wird intensiver. "Wie traurig es auch ist, Gespräche über die Nachfolge sind in einer solchen Situation unumgänglich", gab eine anonyme Quelle aus dem Moskauer Patriarchat gegenüber der englischsprachigen Moscow Times zu.
Das Gros der Kommentatoren der Vorgänge in der russischorthodoxen Kirche sieht in der unvermuteten Versetzung Mefods nach Kasachstan - wo übrigens der Vatikan vor wenigen Tagen unter starkem Protest der orthodoxen Kirche ein katholisches Erzbistum errichtet hat - denn auch den entscheidenden Schritt in der Neuordnung der Kräfte vor einer möglichen Patriarchenwahl.
Durch den Schachzug der Versetzung habe der mächtige Metropolit Kiril von Smolensk und Kaliningrad, seinem langjährigen Rivalen Mefod eine schlechte Ausgangsposition im Spiel um die Patriarchennachfolge eingebracht. Mefod wurde aller seiner Ämter in Moskau enthoben. Dass ihm auch der Vorsitz der "Historischen und Juridischen Kommission" der russisch-orthodoxen Kirche entzogen wurde, deutet die Nesawisimaja Gaseta als deutlichen Hinweis auf seine Entmachtung.
Als Schmuggler denunziert
Metropolit Mefod, 21 Jahre lang Leiter der zentralasiatischen Diözese, gilt als starke und ehrgeizige Persönlichkeit. Der aus wohlhabenden Verhältnissen Stammende hat beste Verbindungen zur Moskauer Elite. Wie angenommen wird, zog Mefod auch die Fäden, als Mitte der neunziger Jahre eine mediale Schmutzkampagne gegen Kiril von Smolensk losgetreten wurde, die angebliche dollarmillionenschwere Geschäfte durch den zollfreien Import von Alkohol und Zigaretten aufdecken sollte.
Metropolit Kiril selbst leitet seit 1988 die Abteilung für Auslandsbeziehungen und vertritt in dieser Funktion das Patriarchat im Ausland und im Kreml. Mit dem Schlag gegen seinen Erzrivalen Mefod, der im Patriarchenwahlkampf trotz allem nicht gänzlich abgeschrieben werden kann, hat sich Kirill zum Hauptkandidaten für die Patriarchennachfolge lanciert.
Untermauert wird der Machtgewinn auch noch durch die Tatsache, dass der Heilige Synod einige ehemalige Mitarbeiter aus Kirils Außenamt in bedeutsame Diözesen wie Stawropol oder auch die wichtige Auslandsdiözese Wien, deren Leitung demnächst der Theologe Hilarion Alfejew übernehmen wird, versetzt hat. Freilich ist auch Kirils Wahl nicht ausgemacht, vor allem weil er inmitten der konservativen Kirchenkreise als liberal gilt.
In Woronesch und Minsk
Geteilter Meinung ist man sich über die Karrierechancen eines anderen Gegners von Metropolit Kiril, nämlich des Geschäftsführers des Moskauer Patriarchats, Metropolit Sergej. Bisher Geschäftsführer des Moskauer Patriarchats ohne Diözese wurde Sergej zum Leiter der nach Mefods Versetzung vakanten Diözese Woronesch ernannt, womit eine Kandidatur für das Patriarchenamt ermöglicht wurde. Es kursieren Annahmen, dass sich Sergej - das jüngste und vom Patriarch Aleksij geförderte Mitglied des Heiligen Synods - über Mefods Entmachtung eine gute Position verschafft hat. Jedenfalls behielt Sergej im Unterschied zu Mefod seine Zuständigkeiten in Moskau.
Als möglicher Kandidat gilt schließlich auch Metropolit Filaret von Weißrusslands Hauptstadt Minsk, dessen Verhältnis zum weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko als besonders gut gilt.
Für den Fall, dass ein Patriarch stirbt oder zurücktritt, sieht das orthodoxe Kirchenrecht vor, dass der Heilige Synod einen Interimskirchenleiter wählt. Binnen sechs Monate muss der aus Bischöfen sowie Klerus- und Laienvertretern bestehende Rat den neuen Patriarchen wählen.
KGB-Agent Drosdow?
Der erkrankte Patriarch Aleksij II. leitete als Nachfolger des langjährigen Patriarchen Pimen (1971-90) seit 1990 die Geschicke von Russlands orthodoxer Kirche. Seine Zeit war geprägt von den schwierigen Umständen einer Reetablierung der Kirche nach 70 Jahren Unterdrückung im sowjetischen Kommunismus.
In Fragen der Ökumene zeichnete sich keine Annäherung mit der katholischen Kirche ab, vielmehr kam es zu einer Zuspitzung, seit sich der Vatikan Anfang 2002 dazu entschloss, die Apostolischen Administraturen in Russland in Diözesen umzuwandeln. Aleksij II. wirft Rom eine aggressive Missionstätigkeit auf dem "kanonischen Boden" der Orthodoxie vor und stellt sich daher auch gegen einen Papstbesuch in Russland.
Mehrfache Vorwürfe, unter dem Decknamen Drosdow während der Sowjetzeit für den KGB gearbeitet zu haben, hat Aleksij II. weder kommentiert noch dementiert.
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