Motivation der kleinen Wunder

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Die Caritas Socialis - nicht zu verwechseln mit der Caritas - ist auch nach 80 Jahren ein Trendsetter im Bereich der medizinischen und sozialen Arbeit.

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Die Caritas Socialis - nicht zu verwechseln mit der Caritas - ist auch nach 80 Jahren ein Trendsetter im Bereich der medizinischen und sozialen Arbeit.

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Anna R. war viel allein nach dem Tod ihres Mannes. So fiel es auch lange niemanden auf, daß sie immer wieder Termine vergaß oder beim Einkaufen ratlos vor den Regalen stand, weil sie nicht mehr wußte, was sie eigentlich kaufen wollte. Auch den Heimweg zu finden, fiel ihr immer schwerer. Eine Nachbarin machte schließlich ihre Tochter Inge darauf aufmerksam, daß Anna R. mehr Betreuung brauche.

Inge nahm Anna R. zu sich in die Wohnung und ging mit ihr zum Arzt. Die Diagnose lautete: Alzheimer. Da Inge teilzeitbeschäftigt war, konnte sie ihre Mutter nicht rund um die Uhr betreuen. Das Alzheimer-Tageszentrum im Caritas Socialis Pflege- und Sozialzentrum in der Pramergasse im 9. Wiener Gemeindebezirk nahm Anna R. zunächst zweimal wöchentlich in Obhut. Auch Rat für die Betreuung zu Hause konnte sich Inge hier immer wieder holen. Und manchmal findet sie einfach ein offenes Ohr, wenn ihr die Situation über den Kopf zu wachsen scheint. Trost gibt ihr auch der Gedanke, daß sie ihre Mutter eines Tages - wenn sich ihr Zustand weiter verschlechtert und Inge mit der Betreuung überfordert sein sollte - auf der Alzheimer-Pflegestation im selben Haus unterbringen könnte.

Anna R. und ihre Tochter Inge sind nur zwei von zahlreichen Menschen die in den Einrichtungen der Caritas Socialis Hilfe oder Pflege erhalten. Es herrscht reger Betrieb im Zentrum Pramergasse. Im Hof tummeln sich die Kindergarten- und Hortkinder. Gleich daneben liegt das Mutter-Kind-Wohnheim für alleinstehende Schwangere und junge Mütter mit Kindern. "Jede der Frauen hat hier ihre eigene kleine Wohneinheit für sich und ihre Kinder", erklärt die Leiterin des Wohnheimes, als sie durch die hellen freundlichen Zimmer führt. "Die Frauen können maximal drei Jahre bei uns bleiben, aber die meisten ziehen schon früher aus, um wieder auf eigenen Beinen zu stehen." Auf diesem Weg hilft ihnen auch regelmäßige Begleitung und Betreuung.

Trendsetter war die Schwesterngemeinschaft der Caritas Socialis seit ihrem Beginn an auch im Bereich der Altenarbeit. "Die Not der alten Menschen in der Bevölkerung ist immer mehr angewachsen und da wir gegründet worden sind, um die Not, die sich in der entsprechenden Zeit zeigt, aufzugreifen, widmen wir uns auch besonders der Altenarbeit", meint die Generalleiterin der Schwesterngemeinschaft, Serafine Ogrisek: "Die Menschen werden immer älter und pflegebedürftiger. Früher haben wir eher traditionelle Altenheime gehabt, da sind die Leute mit 60 oder 65 Jahren gekommen und waren dann sehr lange Zeit bei uns. Das hat sich gewandelt. Die alten Menschen kommen erst, wenn sie pflegebedürftig werden, in unsere Heime. Es war nötig, unsere Altenheime gravierend umzugestalten."

Zielgruppe: "sehr Alte" Bereits im Jahr 1987 hat sich dieser Trend abgezeichnet und die Schwestern haben eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag gegeben, welche neuen Zielgruppen sozialer Not es in den nächsten Jahrzehnten geben werde. "Eine Gruppe davon waren die sehr alten Menschen. Wir haben das also wissenschaftlich begleitet und daraufhin unsere Prioritäten gesetzt", so Schwester Serafine. Jede der Caritas-Socialis-Einrichtungen hat ihren besonderen Schwerpunkt.

Im CS-Pflege- und Sozialzentrum Rennweg im dritten Wiener Gemeindebezirk gibt es neben einer Geriatrischen Abteilung und einer Abteilung für Multiple-Sklerose-Patienten auch ein Hospiz, in dem Menschen in ihren letzten Lebenstagen sowohl medizinisch als auch seelisch betreut werden. Im neu gestalteten Stammhaus der CS in der Pramergasse kümmert man sich besonders um Alzheimer-Patienten und hat für sie sogar einen eigenen "Endlosweg" angelegt, damit sie ihrem Bewegungsdrang nachgeben können, ohne sich zu verlaufen. Im CS Pflege-und Sozialzentrum Kalksburg liegt der Schwerpunkt auf der Geriatrie. Dort verbringen auch die meisten Caritas-Socialis-Schwestern ihren Lebensabend. Daneben führt die CS auch noch andere Häuser, wie etwa ein Erholungs- und Seminarzentrum im niederösterreichischen Maissau. "Doch nicht alle unsere Schwestern arbeiten in unseren eigenen Einrichtungen", erklärt Sr. Serafine. Die Schwestern sind nämlich in vielfältiger Weise sozial engagiert. Ihre Ordenstracht tragen sie bei dieser Arbeit kaum noch, das Zeichen der CS an einer Halskette genügt.

Auch die Gründerin der Caritas Socialis war schon immer ihrer Zeit voraus: Hildegard Burjan, geboren 1883, stammte aus einer jüdischen Familie und konvertierte 1909 nach schwerer Krankheit zum katholischen Glauben. Sie zog 1910 mit ihrem Mann nach Wien. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges initiierte sie zusammen mit dem späteren Bundeskanzler Ignaz Seipel den Verein der Caritas Socialis.

Aus diesem Verein entstand die Schwesterngemeinschaft, die Burjan am 4. Oktober 1919 in der Hauskapelle des katholischen Arbeiterheimes im 9. Wiener Bezirk offiziell gründete. Sie war - als Ehefrau und Mutter - die erste Vorsteherin dieser sozial engagierten Schwesternschaft.

Hildegard Burjan kam noch 1919 als erste christlich-soziale Abgeordnete ins Parlament, wo sie sich um den Ausbau der Sozialgesetzgebung und die Gleichberechtigung der Frauen bemühte. Wegen des aufkeimenden Antisemitismus, und um Seipel wegen ihrer jüdischen Herkunft politisch nicht zu schaden, zog sich Burjan nach nur 17 Monaten wieder aus der Politik zurück und verschrieb sich ganz dem sozialen Engagement. Sie führte die Bahnhofsmission in Österreich wieder ein und gründete Heime für ledige Mütter und Obdachlose. Auch die heute bekannte Aktion "Essen auf Rädern" hat Burjan geschaffen, damals unter dem Namen "St. Elisabeth-Tisch".

Parteipolitisch engagieren wollen sich die heutigen Schwestern der CS nicht mehr, meint Schwester Serafine. Dennoch sei man durchaus im Sinne der Gründerin politisch geblieben. "Wir wirken durch unsere Modelleinrichtungen und durch unserer Mitarbeit in Gremien und Verbänden auf die Gesundheits- und Sozialpolitik des Landes", so Schwester Serafine.

Liebe, nicht Mission Sozialarbeit leisten die Schwestern nicht nur in Österreich, sondern auch in Bayern, Italien und Brasilien, wenngleich der Nachwuchs wie in den meisten Ordensgemeinschaften stark zurückgegangen ist. "Wir haben wenig junge Schwestern, die nachkommen", bedauert die Ordensoberin. "Im Herbst wird in Österreich eine Schwester eintreten. Wir haben aber auch in Brasilien zwei Stationen und dort gibt es mehr Nachwuchs. Drei Schwestern sind in der Ausbildung und zwei sind Kandidatinnen."

Darum ist den Schwestern auch der gute Kontakt zu den Mitarbeitern, die nicht der Schwesterngemeinschaft angehören, besonders wichtig - allein in Wien sind es mehr als 500 Mitarbeiter neben 121 Schwestern. Auch viele der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fühlen sich dem Leitsatz von Hildegard Burjan "Die Liebe Christi drängt uns" verpflichtet. "Hildegard Burjan wollte, daß man aus religiöser Motivation diese soziale Arbeit tut, aus einer christlichen Einstellung heraus. Das trifft natürlich hauptsächlich für die Schwesterngemeinschaft zu, das kann nicht für alle Mitarbeiter zutreffen", meint Schwester Serafine: "Wir haben viele Mitarbeiter bei uns, die gar keine Christen sind. Aber der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen. Auf der einen Seite ist fachliches Können und Wissen nötig, und nicht einfach ein bißchen ,gut sein', aber auf der anderen Seite sollte hinter diesem fachlichen Wissen auch diese christliche Einstellung stehen, einen Menschen in seiner Würde zu achten, ihm Annahme, Wertschätzung und Liebe entgegenzubringen." Die Konfession ist dabei kein Kriterium, weder bei den Mitarbeitern, noch bei den Patienten. Jeder ist willkommen, und missioniert werden soll hier niemand.

Bereits seit den fünfziger Jahren setzen sich die Schwestern der Caritas Socialis für die Seligsprechung ihrer Gründerin ein - ein langwieriges Unternehmen. "Der ,Grad der heroischen Tugend' ist schon dokumentiert, aber es fehlt noch ein Wunder", erklärt Schwester Serafine lächelnd. "Wir bräuchten also Menschen, die Hildgard Burjan anrufen und dann überzeugt sind, daß sie auf wunderbare Weise geheilt wurden. Es gibt schon solche Heilungen, die wir als Wunder ansehen, aber das muß jetzt wirklich einmal in einen Wunderprozeß hineingenommen werden."

Meist sind es jedoch die ganz kleinen Wunder, die die Mitarbeiter der Sozial- und Pflegestation in ihrer täglichen Arbeit motivieren. "Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier", meint Schwester Gerda von der Geriatrischen Abteilung, "und es geht eigentlich niemandem schlechter als zu dem Zeitpunkt, als er zu uns kam. Manchen geht es sogar deutlich besser und das ist bei Menschen dieses Alters wirklich ein großes Erfolgserlebnis."

Geistig jung geblieben - trotz ihrer 80 Jahre - ist auch die Caritas Socialis. Gefeiert wird der runde Geburtstag am 24. September mit einer Eucharistiefeier mit Kardinal Schönborn in der Servitenkirche im 9. Wiener Gemeindebezirk um 18.30 Uhr. Anschließend lädt die CS zu einer Agape.

Informationen: Caritas Socialis,1092 Wien, Pramerg. 9, Tel. (01) 3103843-0, Homepage: www.netway.at/soc/

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