Müssen alle Spieler weiß tragen?

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Wir müssen uns zu neuzeitlichen Formen der Glaubensausübung durchringen, um den Weg zu den Herzen der Menschen zu finden.

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Wir müssen uns zu neuzeitlichen Formen der Glaubensausübung durchringen, um den Weg zu den Herzen der Menschen zu finden.

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Der von der Bischofskonferenz eingeleitete "Dialog für Österreich" erfolgt in einer Zeit, in der sich das politische, wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Umfeld rascher als je zuvor verändert; die Frage, was zu bewahren, was neu zu gestalten ist, hat auch für das kirchliche Leben größte Bedeutung.

In der sehr emotional geführten Diskussion wurden bisher meist Themen in den Vordergrund gestellt, die die Betroffenen mit Recht als zentrale Anliegen betrachten. Die eigentlichen Ursachen der Krise der Kirche liegen jedoch tiefer. Sie bestehen nicht darin, daß Priester nicht heiraten dürfen, Frauen zum Amt nicht zugelassen werden und Wiederverheiratete von den Sakramenten ausgeschlossen sind. Wäre dies der Fall, so hätte die evangelische Kirche keine Probleme.

Ausschlaggebend ist vielmehr, daß sich auch praktizierende Christen in der täglichen Praxis an wesentliche Anordnungen, wie sie im "Katechismus der katholischen Kirche" für den heutigen Gebrauch zusammengestellt wurden, ganz einfach nicht mehr halten. Nun könnte man das mit der Sündhaftigkeit des Menschen erklären. Gebote wurden zu allen Zeiten nicht befolgt. Der Unterschied zwischen heute und früher besteht jedoch darin, daß unserer Generation das Unrechtsbewußtsein weitgehend fehlt. Das ist auch der Grund, weshalb die Beichte aus der Mode gekommen ist. Das Confiteor ist in den Hintergrund getreten.

Spielregeln Um das Problem deutlich zu machen, kann man sich einen Tennisclub vorstellen, in dessen Statuten die Spieler verpflichtet werden, weiße Kleidung zu tragen. Die Leitung hat bei Übertretung dieser Vorschrift drei Möglichkeiten: Sie kann die Mitglieder, die bunten Dress tragen, ermahnen und in letzter Konsequenz ausschließen. Sie kann darüber hinwegsehen. Sie kann die Statuten ändern und bunte Trikots offiziell zulassen.

Die Situation wird bedenklich, wenn das Nichtbeachten zu immer häufigeren Übertretungen der Regel führt. Wird der kritische Punkt erreicht, ist ein Darüberhinwegsehen ohne Verlust der Glaubwürdigkeit nicht mehr möglich. Eine Entscheidung, ob der Club auf eine kleine Gruppe satzungstreuer Mitglieder reduziert werden soll oder die Statuten modernen Lebensformen anzupassen wären, ist fällig. In dieser Auseinandersetzung argumentieren die beharrenden Kräfte, daß man den Anfängen wehren müsse und es bei einem Nachgeben nur eine Frage der Zeit sei, bis auch grundsätzliche Regeln des Spiels ungestraft verletzt werden könnten, während die Reformfreudigen gerade in der Anpassung den Garant für die Akzeptanz der substantiellen Normen sehen.

In der kirchlichen Diskussion sind einflußreiche Persönlichkeiten des Vatikan für die Beibehaltung der tradierten Regeln, nach denen sich das Leben zu richten habe. Sie bekämpfen insbesondere den modernen Trend zur ganzheitlichen Spiritualität. Die Vergöttlichung des Kosmos ist - wie Kardinal Ratzinger formuliert - mit dem Glauben an den biblischen Gott unvereinbar, der sich dem Menschen durch Christus geoffenbart hat. Der Leiter der Glaubenskongregation ist zur Verteidigung der Offenbarung, wie er sie sieht, bereit, volkskirchliche Ideen aufzugeben und die katholische Kirche in die numerische Bedeutungslosigkeit zu führen: Das Leben im katholischen Glauben ist "womöglich die alternativste, selbstbewußteste und radikalste Art zu leben, die man sich heute denken kann". Die Religion ist kein psychotherapeutischer Trick.

Verzicht auf Wahrheit Der Verzicht auf Wahrheit führt zur Diktatur der Beliebigkeit, die - nach dem Beispiel von "Hans im Glück" - so lange einen hohen Wert gegen einen minderwertigeren tauscht, bis am Ende aus dem Klumpen Gold ein Stein geworden ist. Ratzinger findet sich mit einem Christentum ab, das lebendig und unverfälscht im Zeichen des Senfkorns, in scheinbar bedeutungslosen, geringen Gruppen das Gute in die Welt hineinträgt und intensiv gegen das Böse anlebt. Das Amt des Bischofs aber ist (nach Thomas von Aquin) "Unruhestifter zurechtzuweisen, Kleinmütige zu trösten, Gegner zu widerlegen".

Die Reformer sehen im Bestreben, den Glauben in der Welt und in sich selbst zu stärken, zugleich die Notwendigkeit, dem Umfeld der modernen Zeit Rechnung zu tragen. Die Kirche ist für das gesamte Volk der Gläubigen verantwortlich, das ja den Kern der christlichen Botschaft immer und überall zu verstehen vermag. Die Wahrheit und der Auftrag dieser Botschaft sind selbst Andersgläubigen und Agnostikern zugänglich. Die Schwierigkeiten beginnen dort, wo die Radikalität des Anspruches im allzu deutlichen Widerspruch zur Beschaffenheit des Menschen in der modernen Zeit steht. Das heißt beispielsweise, auf den sehr wichtigen sozialen Bereich des Lebens bezogen: Es kann nicht die Aufgabe unserer Gesellschaft sein, vollkommene Gerechtigkeit auf Erden zu schaffen. Wohl aber ist es unsere Pflicht, uns zu bemühen, die Welt immer wieder ein wenig besser zu machen, in dem wir ein Stück Ungerechtigkeit beseitigen. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn wir dem sich im Laufe der Zeit ändernden Umfeld Rechnung tragen. So werden viele Interpretationen, die in den Tagen Christi für ein Hirtenvolk einsichtig waren, dem Herrschaftsanspruch der römischen Kaiser dienten, die für die Feudalgesellschaft des Mittelalters oder im Absolutismus Gültigkeit hatten, heute nicht mehr akzeptiert. Daher muß ein neues Verständnis gesucht werden, das den Lebensumständen und dem Denken des beginnenden 21. Jahrhunderts entspricht. Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit dem Aggiornamento begonnen, der weiterentwickelt werden muß. Schließlich hat die Kirche viele, nicht aus der Botschaft Christi abzuleitende Vorschriften gerade in den letzten 150 Jahren, wenn auch meist nach langem, hinhaltendem Widerstand außer Kraft gesetzt. Der Index verbotener Bücher, auf den Rom erst 1966 endgültig verzichtet hat, ist dafür ein Beispiel. Wir müssen uns zu neuzeitlichen Formen der Glaubensausübung und neuen Inhalten von Ethik und Moral durchringen, uns neuen Wertvorstellungen öffnen, um den Weg zu den Herzen der Menschen zu finden.

Die Auseinandersetzung mit diesen gegensätzlichen zentralen Standpunkten bleibt der Kirche nicht erspart. Die Art, wie dieser Konflikt ausgetragen wird, ist für das Ergebnis nicht ohne Bedeutung. Gegenseitiges Mißtrauen, Unterstellungen und Untergriffe erschweren, Zuhören und Bemühen um Verständnis für die Meinung der anderen erleichtern die Aufgabe, an deren Bewältigung wir alle mitzuarbeiten haben, sofern wir Katholiken sind und bleiben wollen.

Der Autor lebt als freier Publizist in Wien.

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